Islandreise 2003
oder: Warum manch einer mit einem Laptop auf Radtour geht.

Der Übersicht wegen gibt es diesen Reisebericht auf mehrere Teile aufgespalten:
Gesamt Teil 1 Teil 2 Teil 3

Im Wintersemester 2003/2004 wollte ich endlich mal ein wenig länger in Island bleiben, um dort mal einen Winter zu erleben. Eigentlich wollte ich das schon lange mal, aber in dem Jahr hat es endlich mal geklappt: Ein Auslandssemester an der Uni in Akureyri. Die ganze Geschichte gibts auch noch irgendwann mal zu lesen, aber erst das Vergnügen dann die Arbeit. Denn so ein Semester fängt in Island meistens Ende August an, wenn die Reisezeit zuende ist. Und was liegt da näher, als schon ein wenig früher zu kommen und noch ein wenig durchs Land zu reisen.
Und in Island bin ich am liebsten mit dem Rad unterwegs, so also auch diesmal. Den Großteil von dem Zeug, was man in einem halben Jahr Auslandsstudium so braucht, wollte ich mir nachschicken lassen per Post. Das war sowieso etwas mehr als das übliche Freigepäck, das man im Flieger so mitnehmen darf. Aber meinen Laptop wollte ich doch nicht so gern auf dem Postweg aufgeben, also kam zu meiner üblichen erprobten Ausrüstung doch noch ein wenig was dazu.

Reisevorbereitung ist irgendwie immer so ein Thema für sich bei mir. Mittlerweile kenne ich Island doch einigermassen gut und plane höchstens ein paar grobe Ziele und halte dafür unterwegs um so mehr Ausschau nach schönen Abstechern und Nebenstrecken. Über ein paar ausgefallene Ecken von Island hab ich mich dann doch noch ein wenig schlauer gemacht, hauptsächlich indem ich Bekannte gefragt hab. Aber so richtig Vorbereitet war ich höchstens durch mein vieles Radfahren zuhause, was dies Jahr auch ein wenig kurz gekommen war.
Die grobe Route stand sowieso fest, ich wollte erstmal so schnell wie möglich nach Akureyri und ein bißchen Ballast irgendwo unterstellen. Dann wollte ich in die Gegend von den Kárahnjúkar, weil dort gerade ein großes Staudammprojekt am Laufen ist und man wohl nicht mehr so oft Gelegenheit hat die dortige Landschaft im Urzustand zu bewundern. Und weil das alles im Osten und im Hochland zu finden ist wollte ich auch endlich mal zur Askja kommen, wenns irgendwie dazupassen würde. Liegt ja schliesslich fast auf meinem Rückweg nach Akureyri, wo ich dann zum Studieren antreten musste.
Die Flüge hab ich wieder so etwa eine Woche vor Abflug gebucht, diesmal waren es zwei Etappen mit Zwischenstop in London und einem Tag Aufenthalt dort. Kann nicht schaden. Ich hatte nämlich davor Zuhause an der Uni noch eine Menge zu tun und nicht wirklich Zeit zum Überlegen und Packen. Eventuell Vergessenes konnte ich dann in der Großstadt noch besorgen. Ausserdem konnte ich so zum ersten mal von Nürnberg aus losfliegen und hatte keine Probleme mit der Bahn, Rolltreppen und ähnlichem. Jaja, das ist gar nicht so einfach mit nem Fahrrad.

Der Reiseverlauf war dann sehr erholsam und genau die Art von Islandurlaub die ich mir nach all dem Stress des vergangenen Jahres verdient hatte. Ich hatte nicht wirklich viel Regen, eher Probleme mit trockenem Sand. Auch der Wind war alles in allem nicht so schlimm wie manches andere Mal. Abgesehen vom Anfang hatte ich auch keine wirklichen Pannen oder Probleme. Ingesammt verlief alles viel besser als "geplant". Wahrscheinlich weil ich von der letzten Reise her deutlich schlechteres Wetter gewohnt war und damit auch dieses Jahr wieder gerechnet hatte. Achja, eine kleine Karte mit der endgültigen Route hab ich mittlerweile auch zusammengebastelt.


30. Juli 2003
Anreise
Der stressigste Tag der ganzen Reise. Abends sollte es losgehen nach London, Direktflug von Nürnberg. Genaugenommen hab ich am Tag vorher noch eine kleine Party gefeiert mit meinen Freunden die ich ein halbes Jahr lang nicht mehr sehen würde, irgendwann zwischen 3 Uhr nachts und 7 Uhr morgens ein wenig geschlafen. Morgens dann nochmal an die Uni, meine Studienarbeit fertigschreiben und abgeben, am Nachmittag noch kurz beim Fahrradladen vorbeigeschaut und zwei neue Mäntel besorgt, schnell meine Wohnung ein wenig aufgeräumt und auf dem Weg zu meinen Eltern, wo meine ganze Reiseausrüstung normalerweise lagert, nochmal kurz in der Arbeit vorbeigeschaut und ein paar Formulare abgegeben. Dann hatte ich noch etwa drei Stunden Zeit zum Packen, Zelt, Schlafsack und Anhänger aus ihren Winterquartieren hervorzusuchen und alles was sonnst dazugehört. Außerdem musste ich in der selben Zeit noch irgendwie zum Flughafen kommen, einchecken und alles. Vergessene Kleinteile könnte ich irgendwo in England dann sicherlich noch nachbesorgen...
Man soll ja immer anderthalb Stunden vor Abflug am Check-In sein. Das war ungefähr die Zeit, als mein Vater mit mir, Rad und Gepäck von Zuhause losgefahren ist, in Richtung Flughafen. Trotzdem war ich noch rechtzeitig, hab meine Sachen beim Sperrgepäck abgegeben und bin sogar mal ganz ohne Piepsen durch die Sicherheitskontrolle gekommen. Im Flugzeug war ich dann einigermassen erschöpft und hab aus dem Fenster raus Abschied genommen vom Alltagsstress.
Die Landung in London Stanstead sah dann aber gar nicht einladend aus. Alles war regennass und nicht wirklich sommerlich freundlich. Aber der Flughafen hat eine gut funktionierende Gepäckausgabe und alle meine Sachen kamen zügig an. Genaugenommen hatte ich mein erstes "Verrückter-Radler-Erlebnis" schon dort im Flugzeug als ich und meine Sitznachbarn zuschauen konnten wie mein Sperrgepäck als erstes ausgeladen wurde. "Was man nicht alles im Flugzeug mitnehmen kann heutzutage".
Es dämmerte schon ein wenig als ich endlich herausgerollt bin aus dem Flughafengebäude. Ich hatte etwa 23 Stunden Zeit bis zum Weiterflug und wollte erstmal wenn möglich irgendwo hin wo es schön ist und wo man gut zelten kann. Radeln versteht sich. Aber ich hatte mich noch kaum an den Linksverkehr und die etwas mangelhaft beschilderten aber wuderschön einsamen englischen Landstraßen gewöhnt, Krach, Stop, Pause. Mein Anhänger hatte ein Problem. Und was für eins. Die senkrechte Achse an der sich das Ding normalerweise so schön dreht und die ihm seine guten Fahreigenschaften ermöglichen, die war gebrochen. "Pivot-Bolt" heißt das Ding in der Fachsprache. Im Endeffekt hieß das, der Hänger war tiefergelegt und schrammte beim Fahren recht unsanft auf der Straße.
Als eine erste Notlösung steckte ich die beiden gebrochenen Teile verkehrtherum wieder an ihren Platz. Auf Asphalt konnte ich damit ganz gut fahren, aber wenn das kurze Ende oben herausgerüttelt würde, wäre ich wieder genausoweit wie vorher. Mein überarbeiteter, neuer Plan: mit der Bahn oder wie auch immer erstmal nach London ins Zentrum, eine Jugendherberge aufsuchen und Schlafen!
Die zwei drei Kilometerchen die ich schon geschafft hatte war ich schnell wieder zurück, nach ein wenig Rumfragen und Warten saß ich dann im Zug Richtung London Zentrum. Dort fand ich mich überraschend schnell zurecht, es gab fast nur Einbahnstraßen und, nachdem es mittlerweile schon fast 11 Uhr nachts war, nicht mehr viel Verkehr. Im erst besten Youth Hostel hab ich mich dann einquartiert und bin weggedöst bevor ich mir Sorgen machen könnte wie ich in dieser riesen Stadt morgen einen Radladen finden könnte.

31. Juli 2003
London

Der nächste Tag sah schon gleich viel besser aus. Alles war nämlich trocken und sommerlich warm. Meine Sachen waren bald beisammen und ich machte mich auf Sightseeing-Tour per Rad durch eine Großstadt. Mit Anhänger. Und nebenbei hielt ich Ausschau nach Radläden. An Bordsteinkanten hatte ich immer Sorgen aber ansonsten hielt meine Notlösung noch ganz gut. Und ich hatte auch schon recht bald das Glück an einem ersten Radladen vorbeizukommen. Denen hab ich mein Problem gezeigt und gleich waren die recht freundlich zu mir und versuchten mir bestmöglich weiterzuhelfen. Daheim in Deutschland bekomme ich meistens nur große Augen zu sehen wenn ich den Namen meines Anhängers "BOB Yak" erwähne. Hier wurde ich erstmal an ein paar Kollegen verwiesen die öfters mal solche Dinger verkaufen.
Und so hab ich dann den Laden "Bikefix" kennengelernt. Dort wurde auch gleich wieder in Verzeichnissen und Telefonbüchern rumgeblättert, niemand hatte das entsprechende Ersatzteil auf Lager. Die Bestellzeit von einem Tag konnte mich auch nicht wirklich erfreuen, noch am Abend ging mein Weiterflug nach Island. Nachdem ich also lange genug mit langem Gesicht dreingeschaut hatte kam plötzlich jemand auf die Idee, einen originalverpackten neuen Anhänger zu zerlegen und mir das ausgebaute Teil zu verkaufen. Somit war mein Anhänger und mein Urlaub gerettet, nach 10 Minuten Bastelei konnte ich wieder vernünftig fahren und mich auf Island freuen. Keine Ahnung was ich gemacht hätte, wenn das in Island passiert wär. An dieser Stelle nochmal herzlichen Dank an diesen netten Laden!
Beruhigt konnte ich also mit ein paar britischen Pfund bewaffnet das übrige Touristenprogram abklappern. Entlang der Themse radeln, Big Ben und Westminster Abbey, irgendein großer Aufzug am Buckingham Palace mit berittener Garde und den schicken roten Uniformen und allem was sonst dazugehört. Leider sind die meisten Parks für Radler gesperrt, und mit meinem Gespann wäre ich sicherlich negativ aufgefallen, wenn ich das missachtet hätte. Immerhin hatte ich Schlafsack, Zelt, einen Benzinkocher und einen Laptop hinten am Hänger, mich wundert es, daß mich nicht schon so jemand angesprochen oder komisch angeschaut hat.
Wie auch immer, ich wollte noch zurückradeln nach Standstead, zum Flughafen. Ich hoffte mich an irgendwelchen Schildern orientieren zu können, laut Karte wußte ich, daß ich an irgendeinem Fluss entlang radeln könnte. Und so radelte ich dann munter über die Tower Bridge und am Lloyds-Tower vorbei, ließ den King-Cross Bahnhof, an dem ich gestern angekommen war, links liegen und kam in mehr und mehr kleine Stadtteile, Orte, alles mögliche. Aber so richtig die Orientierung behalten und mich zurecht finden konnte ich nicht, obwohl mir das normalerweise wirklich nicht schwer fällt. Aber wenn eine Straße wie die andere aussieht, an jeder Ecke ein arabisch aussehender Supermarktangestellter Melonen vor die Ladentüre stellt, überall ein Off-License-Store nebenan ist und auch die Frisörläden gegenüber alle gleich ausschauen...
Kurz und gut, nach einer Stunde drehte ich um und suchte den Weg zurück zur Kings-Cross-Station und war in Gedanken schon in den kleinen ländlichen Ortschaften Islands, wo es nur eine Tankstelle gibt, vielleicht noch einen Supermarkt, oder wo man zumindest am Horizont schon ein Ende und eine ruhige Landstraße ausmachen konnte. Schließlich haben mich die Schalterangestellten der Bahn wieder ein wenig komisch angeschaut, als verrückten Radler, dem man noch ein Extra-Ticket verkaufen muss.
So bin ich dann schon am frühen Nachmittag am Bahnhof in Bishops Stropford rausgekommen, was ungefähr noch 5 Kilometer vom Flughafen entfernt ist. Am englischen Land radeln ist doch gleich etwas ganz anderes, mit Baumreihen überall entlang der Straßen, rollenden Hügeln und gemütlichen kleinen Ortschaften. Bloß die Beschilderung ist recht abenteuerlich und reicht meistens nicht über den Nachbarort hinaus. Allerdings hilft mir das natürlich auch nicht weiter, weil ich nunmal leider nicht alle fünf Dörfer zwischen Bishops Stropford und dem Flughafen Stanstead kenne. Irgendwie hab ichs trotzdem geschafft mein Ziel zu finden. Starten und landen ja schließlich genug Flieger dort.
Das Einchecken zum zweiten Mal in zwei Tagen war diesmal ein wenig langwieriger und abenteuerlicher. Man hatte mir gesagt ich sollte mein Fahrrad einfach mitbringen, das wird dann dort am Flughafen schon geregelt. Naja, der verwirrte Mann am Schalter musste erstmal seine Kollegin fragen "Do we charge something extra for bikes?"... Irgendwann wusste dann auch er was ich schon lange im Internet nachgelesen hatte, 15 Britische Pfund extra flossen in seine Kassen und ich hatte wiedermal nur meinen Laptop als Handgepäck dabei.
Im Tax Free Shop hab ich dann noch "Hitchhikers Guide through Galaxy" erstanden, dann nur noch warten auf den Abflug. Leider waren keine anderen Radler da, nicht so viele verwegen gerüstete Outdoor-Gurus, nur schweigsame Isländer auf dem Heimweg vom Urlaub. Aber ein lustiges Erlebnis gab es doch noch vor dem Start. Scheinbar hatte jemand eingecheckt, Gepäck aufgegeben und war dann spurlos verschwunden. Als "übliche Sicherheitsmaßnahme" musste das Gepäck wieder rausgekramt und aus dem Flieger entfernt werden, weil das ist ja schonmal verdächtiges Verhalten. Zehn Minuten Verspätung. Und noch etwas was ich mir beim nächsten mal merken werde: der Billigflieger IcelandExpress verlangt extra wenn man im Flug was zu Essen oder Trinken will. Aber für den kurzen Flug kann man auch verzichten.
Abends dann Ankunft in Keflavík, zum zweiten mal in zwei Tagen die Uhr um eine Stunde zurückstellen. Die Ferienbomber von LTU kamen erst später, so bin ich weiterhin der einzige Radler der seine Sachen zusammenbaut. Immernoch nichts verlorengegangen, der neue "Pivot-Bolt" an meinem Hänger funktioniert bestens.
Im letzen Dämmerlicht dann das erste Stück Weg in Island. Erstmal wie immer die fünf Kilometer zum Zeltplatz in Keflavík, das hat Tradition. Dort dann mein Zelt aufgebaut, in den hinterlassenen Vorräten der anderen ein wenig gekramt. Schnell hatte ich Benzin und als wahren Schatz ein paar Kartoffeln gefunden. Ein erstes Abendessen, willkommen in Island. Es war ein wenig wolkig, windig, trocken und angenehm kühl, kein schlechtes Wetter also. Und es war Schlafenszeit.
Bilder der Tages:

1. August 2003
Erster Tag in Island

Über Nacht waren noch deutlich mehr Leute angekommen, Radler. Schnell kam ich morgens mit denen ins Gespräch, ich war nicht der einzige mit Anhänger. Gegenüber von meinem "Stammstein", an dem ich hier immer mein Zelt aufbaue, hat sich eine Gruppe von vier Deutschen breit gemacht, mit nochmal zwei Anhängern. Ein wenig Fachsimpelei wie üblich, welche Route, ein paar Tips und alles was noch dazugehört. Bestimmt sehen wir uns später wieder...
Aber erstmal brauchte ich wieder ein paar Kilometer Auslauf. Und eine Route die ich langfahren mochte. Irgendwie Richtung Þingvellir, also zwangsläufig erstmal durch Reykjavík oder daran vorbei. Na das war doch schonmal ein Ziel für eine Mittagsrast. Also, packen und auf gehts. Ich war glaub ich der erste Radler der an dem Tag losgekommen ist, auf die 41 Richtung Hafnarfjörður. Natürlich war viel Verkehr wie immer, aber mit ruhigeren Straßen in Aussicht konnte ich das verschmerzen. Reykjavík mit dem Großstadtverkehr wollte ich links liegen lassen, auch die meist vergebliche Suche nach einer ruhigeren Alternative als das letzte Mal davor hat bei mir Tradition. Unterwegs fiel mir auf, daß zwischen Keflavík und Raykjavík wohl eine zweite Spur in Bau ist, also die Straße bald noch breiter wird und noch weniger schön zum Radeln wird, was bisher auf dem Seitenstreifen eigentlich noch ganz gut ging.
Unterwegs begegnete mir auch bald der nächste Radler. Er war auf der 420 an der Küste entlang geradelt, um dem Verkehr ein wenig zu entgehen, und nun radelten wir gemeinsam ein Stück weiter bis nach Hafnarfjörður. Die Zeit und die Strecke vergingen dabei wie im Fluge, mit schönem sonnigen Wetter, kaum Wind und schon gar keinem Gegenwind. Mittags rollten wir dann auf den Hauptplatz in Hafnarfjörður, dort gabs erstmal eine Mittagspause und noch ein ausgiebigeres Schwätzchen. Mein Mitradler hatte nicht so lange Zeit für seinen Islandurlaub und wollte erstmal nur die Südküste erkunden mit all ihren Sehenswürdigkeiten. Und zuhause hat er auch einen Anhänger, den selben wie ich, bloß hatte er Bedenken wie er den im Flieger mitnehmen könnte und hat deswegen doch die traditionellen Packtaschen. Ich hatte dieses Jahr im übrigen einen leichten Rucksack am Rücken und das übrige Gepäck im Anhänger. Irgendwie traue ich nach diversen schlechten Erfahrungen der Stabilität des Hängers (und des "Pivot-Bolt") immer weniger und packe da nur noch etwa 20 kg drauf, mehr nicht.
Während wir im Sonnenschein auf der Bank saßen und Karten studierten, fiel mir plötzlich eine gute Route ein die ich heute noch radeln könnte, eine die ich noch nicht kannte. Irgendwo hinter Reykjavík als kleiner Abzweig von der 431 führt sie direkt zum Südufer des Þingvallavatn. Also verabschiedte ich mich von meinem Begleiter, der erstmal einen Tag hier in der Metropole bleiben wollte. Irgendwie suchte ich mir einen Weg durch die Vororte der Großstadt in dem hoffnungslosen Versuch, die "Autobahnen" zu meiden die alles durchziehen. Die kürzeste Route war das wohl wiedermal nicht, aber immerhin nur einmal Verfahren und Umdrehen, ich bekomm langsam Übung. Außerdem traf ich einen isländischen Radler, der machte wohl auch öfters solche Touren, war heute aber nur in der Stadt unterwegs. Bemerkenswert, einen der wenigen Isländer am Fahrrad zu treffen.
Aber dann endlich fand ich meine Straße, die natürlich nicht ganz so ausgeschildert war, wie ich erwartet hatte. Sie führte neben einer Stromleitung und neben einer Heißwasserleitung entlang, und erstmal monoton bergauf. Die Landschaft rundherum war eine flache Heide und insgesamt hatte ich das Gefühl überhaupt nicht vorwärts zu kommen. In der Ferne vor mir konnte ich die Dyrafjöll sehen, die nur sehr langsam näherrückten. Dahinter irgendwo lag mein Ziel für heute, der Þingvallavatn.
Als ich die Berge endlich erreicht hatte, die erste "Ich-komme-überhaupt-nicht-voran-Ebene" durchquert hatte, und mich so langsam wieder ans Langsam-Sein gewöhnte, hatte ich mit dem nächsten Problem zu kämpfen. Die Landschaft war hier zwar endlich wirklich reizvoll und interessant, viele kleine grasig grüne Täler mit kleinen Bergrücken dazwischen. Mit ein paar Wolken, Sonnenschein und dem schönen Wetter also wirklich sehr schön. Aber ich musste eben auch immer rauf und runter radeln. Und das war ich noch nicht so recht gewöhnt auf meiner ersten Tagesetappe. Also hatte ich schon wieder das Gefühl, überhaupt nicht vorwärtszukommen. Und langsam beunruhigte mich das, denn langsam brach der Abend herein.
Letztendlich kam ich dann weit oberhalb des Geothermalkraftwerks Nesjavellir heraus und weiß jetzt endlich, was für die riesen Dampfwolken am Südufer des Þingvallavatn verantwortlich ist. Ich war jedenfalls mitten in einer schönen Ecke Island. Leider war es ein wenig diesig geworden und die Aussicht über den See hätte besser sein können. Ich war auch endlich so gut wie an meinem Tagesziel angekommen. Nur noch ein kurzes Stückchen bis zu einem Zeltplatz, und dabei ging es wieder bergab. Was will man mehr.
Landschaftlich fand ich die paar Kilometer auf der Piste 360 am Südufer des Sees sehr schön und nahm mir vor, irgendwann nochmal eine komplette Seeumrundung miteinzuplanen auf einer meiner Reisen. Aber für den Tag war ich heilfroh als ich endlich am versprochenen Zeltplatz am Úlfljótsvatn angekommen war. Und ich war ziemlich fix und fertig, die letzten paar Wochen vor meiner Abreise hatte ich nicht so viel Radtouren unternommen, so daß diese 80 km Tagesetappe mir für ersten Tag auf Tour völlig ausreichte.
Bilder der Tages:

2. August 2003
Am nächsten Morgen hab ich erstmal lange ausgeschlafen. Über Nacht waren einige Wolken aufgezogen, es sah ein wenig nach Regen aus. Aber erstmal musste ein wenig Frühstück sein. Noch hatte ich mehr als genug Vorräte, die hatte ich in Keflavík und in Reykjavík bei kurzen Stops im Supermarkt besorgt. Heute wollte ich auf dem Weg zum Geysir in Laugarvatn gleich nochmal ein wenig einkaufen gehen, morgen sollte es ins Kjölur-Hochland losgehen, ohne Einkaufsmöglichkeiten. So plante ich in Gedanken meine weitere Tour an diesem Morgen, daß ich noch vor kurzem daheim ordentlich Stress in der Uni hatte und in London mit meinem Anhänger, das war weit weit weg und lange vergangen.
Als ich dann gegen 10 Uhr fertig zum Packen war hatte sich immer noch niemand um irgendwelche Zahlungsformalitäten gekümmert, wahrscheinlich wäre es bei dem Hochbetrieb der heute herrschte nicht weiter aufgefallen wenn ich einfach verschwunden wäre. Das Bankfeiertagswochenende war angebrochen, also waren überall um mein Zelt herum die typischen isländischen Campingmobile. Durch diese suchte ich mir jetzt einen Weg zum Verwaltungsgebäude, fand deren Bewohner und schwatzte mit denen ein wenig, natürlich auch über meine Route. "Highway" nannten die den Kjölur, ein passender Name...
Jedenfalls hab ich dann endlich gepackt, mein Regenzeug vorsichtshalber schonmal griffbereit ganz oben drauf gespannt und es ging los. Entlang des Ostufers am Þingvallavatn entlang. Die Landschaft war wiedermal völlig anders als gestern, ein flaches ödes Lavafeld aus dem sich ab und zu mal ein größerer Berg erhebt. Und der See ist auch größer als man so denkt. Jedenfalls war ich motiviert und frisch, die gestrige Etappe war ein gutes Training und heute kam ich langsam wieder in Form. Bloß hatte ich das Gefühl daß mein Anhängerrad ein wenig Luft verlor.
Bald kam ich in das bekannte überwucherte Lavafeld am Nordende des Sees, in dem auch die üblichen Touristenattraktionen der Gegend liegen. Die Bäume und Sträucher zwischen den scharfkantigen Felsen waren grün und üppig, Sommer in Island. Bald zweigte ich ab auf die 365 Richtung Laugarvatn und Geysir, meinem heutigen Tagesziel. Und dort hatte ich auch endlich den Verkehr den ich für das Bankfeiertagswochenende gewohnt war. Bisher hielt sich das nämlich noch ziemlich in Grenzen. Und ich traf außerdem endlich mal wieder auf Radler, die sich genau wie ich den Berg hinaufquälten. Es war eine ganze Familie, auch Deutsche natürlich, und sie hatten sich auch den Kjölur und den Weg nach Akureyri vorgenommen. Respekt, sowas mit Kind und Kegel zu unternehmen.
Eine Weile radelten wir gemeinsam, den Berg rauf und den nächsten runter. Dort machten wir irgendwo mitten im Nichts eine Mittagspause. Nach der Pause fuhr ich aber alleine weiter, die Familie war mir zu langsam unterwegs, mit Kind und Kegel eben, und das passte nicht ganz zu meinem Rhytmus. Ich hatte es einigermaßen eilig nach Norden und Osten und ins Hochland zu kommen. Und meinen Laptop irgendwo loszuwerden, der irgendwo vergraben und weich gepolstert im Hänger schlummerte. Auf dem Weiterweg hab ich auch noch einen isländischen Radler überholt, der nun wirklich sehr trödelig unterwegs war. Aber immerhin, es gibt nicht nur deutsche Radler in Island, wie man sieht.
Ein paar Kurven weiter in der Abfahrt nach Laugarvatn hielt ich aber dann gleich ganz an und wurde meinserseits wieder überholt. Ich machte eine Pause um mein Regenzeug endgültig anzulegen. Bisher war es ja nur wolkig, aber nun auch nieselig und das wurde definitiv stärker und stärker. Als ich dann am Supermarkt in Laugarvatn eine Rast machte war es definitiv schon Regen. Während ich mich drinnen ein wenig unterstellte und meine letzten Besorgungen machte, trudelte auch die deutsche Familie ein. Die hatten die selbe Idee wie ich: erstmal ein wenig unterstellen, ein Eis essen, und warten. Nach ein wenig Schwätzen und einem beeindruckenden Großeinkauf für die ganze Familie klarte es draußen auch schon wieder auf. Also abermals Abschied nehmen, mein Regenzeug wieder auf den Anhänger gespannt und es ging weiter.
Die folgende Strecke war recht eintönig, grüne Farmlandschaft ab und zu ein wenig Dampf, der aus dem Boden aufsteigt, und unter den Rädern eine recht gerade und flache Asphaltpiste mit der Nummer 37. Viele Radler kamen mir unterwegs entgegen, die Strecke steht wohl bei den meisten mit auf dem Programm. Der Himmel klarte immer weiter auf und wurde immer freundlicher blau. Bald kam hinter einer letzten Biegung auch das Haukadalur in Sicht mit der nächsten großen Touristenattraktion, dem Geysir.
Dort an der Tankstelle wieder Hochsaison wie immer, Busladungen von Touristen standen im Kreis, wie immer, der Geysir spuckte ein wenig, wie immer. Mir persönlich kam es aber so vor als wären die Eruptionen irgendwie nicht mehr so häufig und nicht mehr so hoch wie früher. Heute jedenfalls machte ich mal kein Foto, das mit der blauen Blase lass ich sein, ein hoffnungsloses Unterfangen.
Ich stand ein wenig ratlos da zwischen all den Menschenmassen. Keine Ahnung was die alle noch vor hatten heute. Bestimmt mehr als ich, so eilig wie sie's hatten. Ich selber hatte eigentlich keinen genauen Plan mehr, hier am Geysir gab es einen Zeltplatz und ein Freibad. Ein Stückchen weiter vermutete ich einen ruhigeren Zeltplatz in Brattholt, ohne Freibad. Danach Kjölur, das wollte ich heute nicht mehr anfangen.
Während ich so ein wenig rumstand, fiel mir noch ein Radler auf, noch ein Isländer wie sich bald herausstellte. Der Dritte seiner Art, der mir in so kurzer Zeit begegnet. Ich schwatzte auch mit ihm ein wenig, er reiste mit seiner Familie ein wenig in Island herum und unternahm dann immer kurze Tagestouren mit seinem Mountain Bike. Und er meinte, vielleicht treffen wir uns wieder im Norden, da fährt er nämlich auch hin. Den langen Weg außenherum und mit dem Auto, nicht durchs Hochland wie ich. Na mal sehen.
Ich selbst beschloß, noch weiter zu radeln, hier war mir irgendwie zu viel Betrieb. Auch wenn das Bad natürlich verlockend wäre. Nach wenigen Kilometern kam ich an das Hinweisschild Brattholt, der nächste Zeltplatz. Allerdings war da das Zeichen "Zeltplatz" eindeutig vor kurzem entfernt worden. Also überlegte ich mir das nochmal, machte schließlich doch wieder kehrt in Richtung Geysir. Das mit dem Bad ist eigentlich eine recht verlockende Idee, ich war ja schließlich noch in keinem isländischen Freibad dies Jahr. Und vielleicht ergibt sich Abends oder Morgens auch mal eine Gelegenheit, den Geysir ohne Menschen zu sehen.
Also baute ich mein Zelt in einem kleinen geschützten Nebental am Campingplatz am Geysir auf, machte mich dann an meinem Anhängerreifen zu schaffen der definitiv Luft verlor und suchte dann das Freibad auf. Entspannen bei 40 Grad, so muss das sein. Dabei entdeckte ich zwei weitere Fahrräder, eines davon ein Liegerad. Die Radler selbst waren aber wie vom Erdboden verschluckt, und die Räder standen vor dem Hotel, was mir einigermaßen komisch vorkam. Auf dem Rückweg zum Zelt traf ich noch zwei Franzosen, beide mit Rad und Anhänger unterwegs und beide recht abenteuerlich. Also war der Abend mit weiteren Fachsimpeleien gerettet, auch wenn das Englisch recht zäh und französisch klang. Sie waren schon auf der Gæsavatnaleið unterwegs, und wollten eigentlich auf der anderen Hvításeite ins Kjölur Hochland und dann auf der Hauptroute F35 zurück. Hochland pur also.
Später trafen am Zeltplatz noch zwei Schweizer mit Mietwagen ein. Die hatten keinen Kocher dabei, weil die Flughafenkontrolle ein wenig zu streng war. Also fragten sie mich ob sie meinen haben könnten. Klar, ich hatte sowieso genug Benzin, also gabs für uns drei noch ein paar mehr leckere Nudeln. Weil, ich bekam natürlich was ab...
Bilder der Tages:

3. August 2003
Kjölur



Das Wetter hatte sich über Nacht noch weiter gebessert, die drohenden Regenwolken vom Vortag waren schon seit Laugarvatn wieder vergessen. Leichter Nordwind, gute Bedingungen für Südisland also. Aber vor dem Aufbruch zum Kjölur stand erst noch das alltägliche lästige Packen, was ich gerne noch ein wenig vor mir her schob. Nebenan am Geysir hab ich selten so wenig Leute gesehen. Nur zwei drei verlorene Seelen waren an dem Morgen schon auf. Trotzdem fiel mir der Abschied nicht schwer, in spätestens einer Stunde würde hier wieder ein vollklimatisierter Reisebus nach dem anderen auftauchen.
Bei blauem Himmel arbeitete ich mich die kleinen Hügel hinauf zum Gullfoss. Im Vorbeifahren merkte ich im übrigen, daß der Zeltplatz in Brattholt tatsächlich irgendwas zwischen geschlossen und nicht mehr vorhanden war. Naja, wenigstens der Gullfoss fällt weiterhin seine zwei Stufen hinab und wird weiterhin von unzähligen Touristen umschwärmt. Von einem Regenbogen war so früh allerdings noch keine Spur zu sehen, also alles in allem recht unspektakulär - wie mans nimmt. Ich jedenfalls fand die Pferde, die sich auf der anderen Straßenseite direkt gegenüber vom Parkplatz von Neugierigen streicheln und fotografieren ließen, viel interessanter als den altbekannten Wasserfall.
Aber bei dem wunderbaren Wetter hielten mich auch die nicht allzulange auf, es war Radelwetter. Nicht umsonst hatte ich meine kurze Radhose angezogen heute. Also ging es los auf die holperige Staubpiste. Die war hier am südlichen Ende im übrigen noch genau so holprig und ungemütlich, wie ich sie in Erinnerung hatte.
Unterwegs begegneten mir bald schon wieder zwei Schweizer, diesmal aber am Rad. Einer von ihnen hatte, so ein Zufall, auch einen Anhänger. Außerdem kamen sie gerade von den Kerlingarfjöll. Das Wort "Nachmacher" kam mir ein wenig in den Sinn, und ich musste an meine Tour vor zwei Jahren zurückdenken. Jedenfalls hat der BOB Yak offensichtlich enorme Popularität unter Islandradlern.
Natürlich begegneten mir auch ne Menge Autos an dem Tag, Feiertagsverkehr am "Highway" eben. Ich selbst kam trotz der ständigen Staubwolken ebenfalls gut voran. Bald fuhr ich an der Blechhütte "Hotel Sandá" vorbei. Ich radelte auch an einigen interessanten Abstechern und Nebenrouten vorbei, die ich mir irgendwann nochmal vornehmen wollte. Zum Gletschersee Hagavatn oder auf dem alten Reiterweg auf der anderen Seite vom Bláfell entlang. Ein andermal, wenn ich nicht gerade meinen Laptop mit mir herumschleppe. Für heute ragte der Bláfell immer drohender, näher und höher vor mir auf.
Schließlich und endlich stand ich vor dem letzten tief eingeschnittenen Tal das ich durchqueren musste. Danach müßte die Piste bergauf gehen, bis ich am Bláfellsháls ganz oben angekommen wäre. Also rollte ich das letzte Mal abwärts und schaltete dann auf den "Bergauf-Gang". Und ich kam gut vorwärts. Fast ganz ohne Schieben kam ich den ganzen Bláfell hinauf. Ich war mittlerweile wohl schon wieder einigermaßen gut in Form und die Eingewöhnungsphase war vorbei. Trotzdem gabs oben am größten Steinhaufen Islands erstmal eine ausgiebige Rast als Mittagspause. Mit strahlend blauem Himmel und grandioser Aussicht.
Links der Langjökull mit seinen Gletscherzungen, an dessen Fuß der Hvítárvatn. Nur wenige Eisberge trieben heute auf ihm. Dahinter in der Ferne unter ein paar Wolken die markanten Berge des Kjölur-Tales, Hrútfell, Kjalfell, Innriskúti und Fremriskúti. Auf der anderen Seite konnte man schon den Hófsjökull erahnen mit den Kerlingarfjöll davor. Während ich genüßlich ein paar Kekse verdrückte, ließ ich das Panorama wirken. Willkommen Zuhause, oder so ähnlich.
Natürlich legte ich einen Stein auf den Haufen, daneben rasten ein paar Autos vorbei, ohne Rast oder Halt. Sicherlich müssten die Insassen heute noch Gullfoss und Geysir abhaken, ein kleiner Aussichstpunkt mehr oder weniger zählt da nicht. Eines der Autos zögerte dann doch ein wenig, bremste auf Schrittgeschwindigkeit, was ist denn das da für eine komische Gestalt, achso nur ein Radler, warum hält der denn hier mitten im Nichts, ach er genießt wohl nur ein wenig die Aussicht, naja weiter. Schließlich hielt noch ein Reisebus, gerade als ich wieder weiterfahren wollte. Das war zwar Zufall, aber gar kein so schlechter wie ich finde.
Die zweite Hälfte des Bláfellsháls war jetzt natürlich die leichtere, wie das Pässe so an sich haben. Ich genoß den Fahrtwind. Zwar war es hier am Nordhang ein wenig schattig und kühl, aber insgesamt war ein angenehmer und warmer Tag und ich werd bestimmt gleich wieder warm wenn die Abfahrt zuende ist. Unten vor der Hvítá-Brücke, wo ich keine Viertelstunde später schon angekommen war, begegneten mit auch schon die nächsten Radler, nochmal zwei Schweizer die bei den Kerlingarfjöll waren und nach Süden unterwegs waren. Aber sie hatten keinen Anhänger, das beruhigt. Dafür hatten sie ansonsten alles was teuer und gut ist an ihren Rädern verbaut, Scheibenbremsen, noble Federgablen und Schnick und Schnack...
Auch ein Auto nutzte die Hvítá-Brücke für einen kurzen Fotostop. Als sie weiterfahren wollten, ging ihr Autoalarm los und weil ich grade in dem Moment vorbeifahre riefen sie mir fröhlich zu "Did you hear that, somebody wanted to steal our car". Das waren dann aber auch für eine Weile die letzten Menschen die mir begegneten. Etwa 10 Kilometer weiter ist eine einsame Berghütte, dort hatte ich meine nächste Pause eingeplant. Und dort ist mir auch der nächste Radler begegnet. Einer von den beiden, die am Vortag am Geysir waren. Sein Liegeradelnder Kollege fuhr den Kjölur per Bus weil er nämlich irgendwelche Probleme mit seinem Liegerad hatte. Während dem kurzen Pauseschwätzchen, das wir hatten, bekam ich außerdem den Eindruck, daß die beiden irgendwie in Cowboy-Manier durch die einsamen Länder der Welt reisen, nicht so sehr um sie kennenzulernen, sondern mehr um dagewesen zu sein. Naja, jedem das seine, aber mir meine isländischen Hochlandpisten bitte. Bei Sonnenschein, genau so wie heute!
Von Norden waren langsam ein paar dunkle Wolken immer weiter nach Süden gezogen. Richtig bedrohlich sah das nicht aus, eher nach ein paar kurzen Schauern, die ich weit vor mir auch schon herunterpasseln sah. Als ich bei der Hütte losfuhr, war noch alles trocken und sonnig, aber ich radelte geradewegs auf das schlechte Wetter zu. Weil es noch so früh war, hatte ich beschloßen heute noch zu den Kerlingarfjöll zu kommen. Das schien mir ein erreichbares Ziel zu sein. Die Piste ist ganz ordentlich, erst hinter meiner Abzweigung wird sie wieder ungemütlich, soviel wußte ich von meiner letzten Kjölur-Tour. Direkt neben der Piste standen immer wieder einige sonnenbeschienene Steinhaufen, ansonsten sah ich hinter mir und zu meinen beiden Seiten noch eine sonnige und öde Steinwüste. Als Kontrast dazu hatte ich vor mir die dunklen Regenschauer. Islandlicht eben, wie aus dem Bildband.
Als ich dann nach zwei Stunden bei einem großen Hinweisschild ankam, "Þú ert í Hálendið, Kerlingarfjöll 15 mínútar", und mittlerweile schon eine geraume Weile unter schattigen Wolken dahingeradelt war, war ich mir nicht mehr ganz so sicher, daß das Weiterfahren so eine gute Entscheidung war. Die selbe Tagesetappe Kerlingarfjöll-Geysir hatte ich von der letzten Kjölur-Tour als recht lang in Erinnerung. Und außerdem war das doch recht frisch geworden mit der kurzen Hose heute. Andererseits war es natürlich schon lange zu spät zum Umdrehen und das warme Bad bei den Kerlingarfjöll-Hütten lockte.
Also bog ich hinter dem Innriskúti rechts ab und stand schon bald bei der ersten Furt. Noch zwei weitere hatte ich vor mir, wenn die Piste sich nicht allzusehr verändert hatte, allesamt nicht tief und mit etwas Mut leicht zu durchschieben. Also Schuhe und Socken irgendwo befestigt und mit den Watsandalen weiterradeln. Es begann schon ganz leicht zu dämmern als ich am Flugfeld vorbeiradelte, schon seit längerem war nichts mehr los mit Verkehr oder so etwas. In ein bis zwei Stunden sollte ich spätestens mein Zelt stehen haben, dann wird es finster.
Die zweite und tiefste Furt. Letztes Mal wollte ich hier nicht durchschieben und hatte stattdessen abgeladen und rübergetragen. Aber darauf hatte ich heute keine Lust mehr, und so richtig tief schien sie mir heute eigentlich auch nicht mehr. In der Zwischenzeit hatte ich eine Menge ganz anderer isländischer Furten erlebt. Also ab und durch, auch das ging problemlos, auch wenn ich mir in Gedanken aufschrieb: Kette mal wieder frisch einölen.
Auf der Weiterfahrt, hinter dem nächsten Bergrücken, wieder eine tolle Aussicht auf dicke Wolken über den Gipfeln der Kerlingarfjöll, Lichtstimmungen wie man sie sich besser nicht wünschen könnte. Das Tal hinuntergerollt nahm ich nicht die Abzweigung zurück zum Gullfoss, dachte aber an die beiden Franzosen die dort lang wollten und einen Holländer von dem ich weiß, daß er dort schonmal langgeradelt ist. Noch sowas, was ich bei Gelegenheit nachholen müßte.
Für heute war ich froh, als ich nach nach ein paar weiteren kleinen Hügeln und Bächen die Hütten greiffbar vor mir hatte. Die letzte Furt, die vor zwei Jahren frisch überbrückt war, entwickelte sich wieder mehr und mehr zur Furt. Denn der Bach verlegte sein Bett ein wenig. Trotzdem, hinter dem letzten steilen Berg müßten die Hütten liegen und ein ruhiger Zeltplatz mit Bad nebendran...
...und heute außerdem eine Campingburg. Es war Feiertag, da fährt man ins Hochland und genießt mal ein wenig Natur. Die Ausländer waren eindeutig in der Unterzahl auf dem gerammelt vollen Zeltplatz.
Naja, erstmal in der Haupthütte kurz Hallo sagen, Zelt aufbauen und ab in den Hot Pot. Der Preis war mit 750 ISK incl. Bad höher als erwartet, aber ich war schon froh, daß es die Hot Pots und das schöne grüne Fleckchen überhaupt gab. Während ich im heißen Wasser lag und den Himmel anschaute, überlegte ich ein wenig: Ich hatte gehört, daß das Wetter in Südisland schon die ganze letze Woche sonnig und warm war. Die Wolken denen ich heute entgegengeradelt war kamen eindeutig mit dem Nordwind, waren also vermutlich für Südisland nicht wirklich gefährlich. Andererseits, wenn das so weiterging und ich so weiterfuhr wie bisher, würde das für mich bald ungemütlich und nass. Andererseits, wenn das schon eine Woche lang so ging mit Nordwind, wirds langsam Zeit, daß der Wind dreht und dem Süden Regen und dem Norden Sonne bringt. Vielleicht hätte ich dann weiterhin Glück mit dem Wetter. Und während ich mich so stundenlang im warmen Wasser eingeweicht hab, merkte ich, daß der Wind tatsächlich gedreht hatte. Südwind. Ich sollte mich morgen beeilen nach Norden zu kommen.
Eigentlich hatte ich aber erstmal einen Wandertag eingeplant gehabt, weil das Wandern war bei meinem letzten Besuch in den Kerlingarfjöll ein wenig zu kurz geraten. Mal sehen wie das morgen wirklich wird, aber erstmal ist es noch Heute und Abend.
Von irgendwo hinter den Bergen leuchtete der tägliche einzigartige rotgoldene Sonnenuntergang herüber, und in der Zeltburg kehrte langsam Leben ein. Bier und Hochprozentiges wurde ausgepackt, ein großer Holzhaufen, der extra dafür aufgeschichtet war, wurde angezündet, die Hüttenbewohner kamen herunter. Die Besitzer und Hüttenwärte brachten ein paar Noten und Liedtexte, die anderen brachten Instrumente mit, an Schlaf war nicht zu denken. Bankfeiertag, man entkommt ihm nirgends. Am ersten Augustwochenende kann man nur auf schlechtes Wetter hoffen, sich ärgern daß irgendjemand nebenan so laut feiert, daß man nicht schlafen kann, oder sich dazustellen und ein wenig mitfeiern. Was auch immer eigentlich gefeiert wird.
Immerhin, allzulange ging das nicht, gegen Mitternacht hatte sich jeder in sein Wohnzelt zurückgezogen, trank vielleicht noch ein wenig, aber es war ruhig und ich konnte gut schlafen, nach einem anstrengenden und wunderschönen Sonnentag.
Bilder der Tages:

4. August 2003
Kjölur

Nach all meinem Philisophieren über das Wetter am Vortag konnte es mich nicht mehr wirklich überraschen, daß es am nächsten Morgen dick zugezogen und bewölkt war. Südwind. Es fiel mir ein wenig schwer mich zu meiner geplanten Wanderung aufzuraffen. Besonders oben in der Bergen wo die heißen Quellen direkt am Gletscherrand zu sehen sind, dort sah es richtig neblig und unangenehm aus. Naja, dachte ich mir, probieren kann ichs ja mal. Meine nächste Etappe bis Hveravellir sollte sowieso nicht so anstrengend sein. Wenn ich jetzt loswandere klart es heute entweder noch auf oder ich dreh irgendwann wieder um und radel gemütlich am Nachmittag noch weiter.
Also meine Wanderstiefel hervorgekramt zwischen Laptop und Digitalkamera und aufgebrochen. Ich wollte über den Hveradalahnjúkur oder daran vorbei auf einem angeblich markierten Wanderweg ins Tal der heißen Quellen und dann auf der anderen Seite des Flusses wieder zurück. Zumindest so ungefähr. Der Anfang war einfach, bergauf von einem Stecken zum nächsten, soweit konnte man trotz Nebel noch problemlos schauen. Aber dann war irgendwie kein Stecken mehr auszumachen in dem Nebel. Oder den Wolken. Schwer zu unterscheiden.
Nach ein wenig Zögern bemerkte ich, daß der Weg hier eine scharfe Biegung nach Osten machte, fast im rechten Winkel. Und als ich in der richtigen Richtung gesucht hab, fand ich auch weiterhin Wegmarkierungen. Also bergauf bergab, an Schneefeldern vorbei, an einem Schneefeldern entlang. Dann fand ich definitiv keine Markierung mehr. Und zu sehen war eigentlich auch noch nichts anderes als Nebel. Nach ein wenig herumtapsen und Spurensuchen gab ich auf. Und nach Wetterbesserung sah es auch noch nicht gerade aus. Dann eben nicht, dachte ich nach dem einstündigen Ausflug. Hab ich wenigstens einen guten Grund mal wieder hierher zu kommen.
Den Rückweg hab ich vergleichsweise einfach wiedergefunden, war ja noch nicht lange her, daß ich ihn in der anderen Richtung marschiert war. Das gab mir auch wieder Hoffnung, daß meine Orientierung doch gar nicht so schlecht war, wie ich ein paar Tage zuvor in London noch gedacht hatte.
Als ich endlich wieder aus den Wolken herauskam und das Tal mit den Hütten unter mir liegen sah, war auch die Zeltburg der Isländer wieder zum Leben erwacht. Einige mutige Spaziergänger kamen mir sogar entgegen. Sie hatten wohl die selbe Idee mit den heißen Quellen und ein wenig Wandern. Kein guter Tag für diese Idee, und so kam ich gegen Mittag zu meinem Zelt und meinem Rad zurück. Ein wenig enttäuscht war ich schon, aber bei dem Südwind hoffte ich im Norden wenigstens auf weniger Wolken.
Nach dem alltäglichen Packritual zog ich kurze Zeit später von dannen. Immerhin, es regnete noch nicht mal. Auf der Piste kamen immer wieder Autos an mir vorbei, eines sogar zweimal. Das war der Hüttenbesitzer der ein paar Wanderer zurück zur Hauptpiste und zu ihrem Busanschluss brachte. Das macht er öftermal soweit ich weiß. Für mich ging das alles etwas langsamer vorwärts, dafür aus eigener Kraft.
Ein wenig überrascht war ich, als ich kurz hinter der zweiten Furt eine einsame Gestalt mit großem Rucksack ausmachte. Ein Wanderer der die Strecke zu Fuß bewältigen wollte. Wir kamen natürlich ein wenig ins Gespräch, er war auch aus Deutschland und wollte die nächsten Tage in den Kerlingarfjöll wandern und auf gutes Wetter warten. Na dann viel Glück.
Als ich eine kleine Furt und eine kurze Weile später am "Highway" ankam und wieder nach rechts auf die Hauptpiste einbiegen wollte, sah ich in der Ferne zwei Radler in die selbe Richtung rasen. Mit gemütlichem Radeln hatte das nicht viel am Hut, schon bald hatte ich sie hinter einigen Hügeln wieder aus den Augen verloren. Und ich dachte eigentlich, daß ich selber schon viel zu zügig unterwegs bin.
Die Piste wurde zusehends holpriger, steiniger, schlechter. Ich war ungefähr genau in der Mitte von nirgendwo. Und vor mir ragte die Wasserscheide und der höchste Punkt der ganzen Route auf. Klar zu erkennen war auch der große Steinhaufen, der dort als Denkmal für den Planer der heutigen Route errichtet ist. Und dort holte ich dann auch endlich die beiden anderen Radler ein, die ich vorhin schon gesehen hatte.
Es waren natürlich "alte Bekannte", die beiden Franzosen mit den Anhängern, die ich schon am Geysir getroffen hatte. Und sie machten gerade zwischen den Steinen eine Mittagspause. Natürlich gesellte ich mich ein wenig zu ihnen. Sie waren vor drei Wochen oder so schonmal hier, damals hatte es geschüttet und war richtig ungemütlich. Heute waren sie mit kurzer Hose recht zufrieden unterwegs. Und sie wollten sowieso gerade weiterfahren als ich daher kam. Da bot es sich natürlich an, ein wenig gemeinsam zu radeln.
So machten wir uns also auf, mit drei Anhängern, nebeneinander, hintereinander, jedenfalls nahmen wir mit unseren Gespannen die ganze Breite der Piste ein. Nicht daß das irgendjemanden gestört hätte, nur ein unvergessliches Erlebnis war das schon, drei Räder, drei Hänger.
Unterwegs hatte ich auch ein wenig Zeit die Räder der anderen zu studieren. Auch wiedermal die Creme de la Creme die da verbaut war, Magura Scheibenbremsen, eine hochwertige Vollfederung, alles was man sich so wünschen kann. Außerdem fiel mir auf, daß der eine von den Anhängern ordentlich mitgenommen aussah. An mehreren Stellen waren scheinbar Schweißnähte gebrochen, nun notdürftig geflickt mit Baumarkt-Teilen die richtig zum abenteuerlichen Gesamteindruck passten. Und das Rad lief auch ein wenig schief. Das ist irgendwo auf der Gæsavatnaleið passiert, erfuhr ich später. Keine Ahnung ob sie da einen isländischen Super-Jeep drüberfahren haben lassen, sie selber meinten es sei wohl ein Montagsmodell. Naja, wenn erstmal eine einzige Schweißnaht nicht mehr hält kommt wohl die ganze Konstruktion an die Grenzen der Belastbarkeit und fällt leichter mal auseinander. Und eine Schweißnaht bricht bei diesem Tempo schnell mal.
Viel Zeit blieb für solche Betrachtungen nämlich nicht, die verging wirklich wie im Fluge. Wir rasten zu dritt durch das Hochland, daß man es beim besten Willen schon nicht mehr als ungefährlich bezeichnen konnte. Der kleine Bach, die einzige "Furt", war in null komma nichts durchbraust, nichtmal richtig angehalten wurde für so eine Pfütze. Weiter bergauf, bergab, über Steine hoppeln, vor den gröbsten Schlaglöchern irgendwie beiseitespringen... Ein Höllenritt! In zwei Stunden kam ich so von der einen Kreuzung, wo es zu den Kerlingarfjöll geht, zur nächsten, wo es nach Hveravellir geht. Ein Wunder, daß noch alles ganz war.
Dort bei der Kreuzung machten wir mal wieder eine kurze Pause, auch wenn es nicht mehr weit war zu den heißen Quellen. Ein paar Kekse wurden ausgetauscht und verspeist. Und während wir da ein wenig rasteten, kam ein Jeep an und blieb vor den vielen Wegweisern stehen. Erstmal wurde im Inneren heiß diskutiert. Nach ein paar Minuten kam jemand auf die richtige Idee. Eine Karte wurde herausgekramt und aufgeschlagen, daß sie die volle Breite des Wagens einnahm. Wir draußen bei unseren Rädern beobachteten das ganze eher gelassen bis amüsiert und verdrückten weiter Kekse. Nach weiteren fünf Minuten fuhr der Jeep noch ein Stückchen, um die Wegweiser aus einer anderen Perspektive zu sehen, danach weitere Beratungen. Wir drei überlegten langsam schon, ob wir nicht hingehen und ihnen helfen sollten, ließen das dann aber. Und Tatsache, nach weiteren fünf Minuten hatten sie es auch alleine geschafft, die Karte wurde wieder zusammengefaltet und verschwand. Man hat sich geeinigt, daß die Route nach links womöglich die richtige nach Hveravellir ist. Wir applaudierten ein wenig und lachten herzhaft als der Jeep umständlich seinen Weiterweg antrat.
Auch wir packten unsere Sachen. Es war wie gesagt nicht mehr weit, ein paar letzte kleine Hügelchen, dann rollten auch wir hinab zu den Hütten Hveravellir, wo natürlich wiedermal Hochsaison war. Irgendwie verlor ich die Franzosen bald aus den Augen, die haben wohl erstmal gekocht oder so. Nach einem Gruppenfoto der drei Räder schob ich mein Gespann bald alleine auf den Zeltplatz um nach den Flecken mit Fußbodenheizung Ausschau zu halten. Und ich hatte Glück. Scheinbar wußten die anderen Gäste nichts von dem unterirdischen Bach der da langfließt. So wie ich bei meinem ersten Besuch ja auch nicht. Mittlerweile weiß ichs aber besser und für mein kleines Zelt war genau noch richtig Platz. Das Rad lehnte ich an die steile Böschung vor meinem Eingang. Frieren würde ich heute nicht mehr!
Erstmal machte ich mich aber ein wenig zum Wandern oder besser Spazierengehen auf. Das Wetter war mittlerweile deutlich einladender dafür, wenn auch immernoch recht bewölkt. Außerdem war es mir schon einigermaßen spät. So kam ich nur noch zu Eyvindurs Höhle und zu seinem Schafstall, einigen Basaltformationen nicht weit vom Zeltplatz. Dieser Geächtete hat überall im isländischen Hochland ein paar Spuren und Ruinen hinterlassen. Nachweislich, versteht sich. Na, wenns nicht stimmt ists gut erfunden.
Danach besuchte ich noch ein wenig die heißen Quellen. Sie spuckten ihren Dampf wie eh und je, die Warmwasserversorgung für den Hotpot funktionierte einwandfrei wie immer. Und nach ein wenig Abendessen ging es ab ins warme Wasser. Es war richtig spät, und auch wenn ich heute nicht allzuweit geradelt war, es war ein Höllenritt der mir noch ordentlich in den Knochen saß. Das Entspannungsbad tat da richtig gut.
Im Pool hörte ich dann nicht nur "Ach, mit sowas könnte man zuhause ein Vermögen verdienen" und die anderen üblichen Poolgespräche. Statt dessen traf ich zwei Deutsche die mit Auto unterwegs waren und heute ins Þjófadalur gewandert waren. Sie schwärmten von dem unglaublichen Grün, daß sie dort gesehen hatten und ärgerten sich ein wenig über die Ungenauigkeit ihres Wanderführers, dank dessen sie sich fast verlaufen hatten. Außerdem war ein junges deutsches Mädel da, die 6 Wochen durch Island trampen wollte. Aber sie hatte schon eine ganze Weile damit verbracht, auf eine neue Kamera zu warten. Ihre alte war irgendwie kaputgegangen, aber sie hat genug Zeit das gelassen zu sehen, und sich per Post eine neue hinterherschicken zu lassen. Und wie üblich waren natürlich alle drei schwer beeindruckt, wie man sich Island mit dem Fahrrad antun konnte. Ich persönlich hab noch sehr viel mehr Respekt vor den Hochlandwanderern, wie dem deutschen von heute Mittag. Aber die sind meistens in so abgeschiedenen Ecken unterwegs, daß sie niemanden treffen.
Jedenfalls genoß ich den Abend, machte ein paar vage Pläne für morgen, hatte aber immer noch kein genaues Ziel vor Augen. Irgendwie eben nach Akureyri, und dort ein wenig überflüssiges Gepäck zwischenlagern. Danach könnte ich alles etwas gemütlicher angehen und mich auf die nächsten Hochlandetappen im Osten einstellen. Auch wenn das für mich alles noch weit weg war, noch viel weiter weg waren Alltag, Stress und alles was mich vor einer Woche noch voll und ganz im Griff hatte.
Bilder der Tages:

5. August 2003
Kjölur

Am nächsten Morgen sah es überraschenderweise doch wieder ein wenig wolkiger aus. Nicht so richtig durchweg grau und dunkel und regnerisch, aber auch nicht blau mit ein paar wenigen Wolken. Irgendwas dazwischen, viele kleine Cumuluswolken die eine dicke Schicht bildeten. Angenehmes Radelwetter jedenfalls, nicht zu warm und staubig, aber eben trotzdem warm und angenehm trocken. Wie auch immer, ich verabschiedete mich schon bald von den beiden Franzosen, die wieder zurück in den Süden wollten. Auch ein holländischer Radler, der gestern noch eingetroffen war, hatte andere Pläne als ich, er wollte die zweite Hälfte Kjölur mit dem Bus fahren.
Aber bei dem Wetter war ich schon recht früh auf der Piste. Ich war prächtig erholt nach der angenehmen Nacht mit Fußbodenheizung. Und bald war ich schon wieder an der Kreuzung mit den vielen Wegweisern nach Norden und Süden. Ich wandte mich nach Norden, Richtung Blönduós und Varmahlíð. Das erste Stückchen war noch recht holprig und steinig, recht bald kam dann der längste Zaun Islands, quer durch die Insel. Anhalten, Absteigen und Gatter aufmachen war angesagt. Und weil in der Ferne gerade ein großer Reisebus von Norden ankam (so früh schon so weit?) machte ich noch ein kurzes Kekspäuschen und hielt denen das Gatter offen. Somit hatte ich auch ausgiebig Zeit, das Schild vom Gesundheitsamt oder Landwirtschaftsamt Islands zu lesen, das den Zaun erbaut hatte, um die Ausbreitung von Schafseuchen einzugrenzen: Bitte das Tor schließen!
Bald danach führte die Piste über ein paar Hügel am Dúfunefsfell, dahinter wurde sie besser, wenn ich mich richtig erinnerte. Ein deutscher Radler kam mir entgegen. Er hatte bei der Nothütte Arnarbæli übernachtet und bei der kurzen Plauderpause wollte er jetzt wissen, wie denn die Piste so weitergehen würde. Er nahm es einigermaßen gelassen, daß er gerade am Anfang des schelchtesten Stückchens war, die richtige Einstellung bei dem heutigen Wetter.
Ich selber genoß den Tag immer mehr. Vor mir waren zusehends weniger Wolken, hinter mir die zerzauste Cumulusschicht, die sich wie ein wunderschönes Gemälde über die Kulisse des Kjölur Hochlandes spannte. Ein wenig schattig war es zwar gelegentlich, aber nachdem ich immer mal wieder ein wenig bergauf zu strampeln hatte war Frieren nicht so sehr ein Problem. Schließlich kam ich zum Hügel mit der roten Schutzhütte Arnarbæli und dort oben machte ich ein Päuschen.
Abgesehen von der eindrucksvollen Aussicht auf das Land das ich in den letzten Tagen durchradelt hatte gab es ein interessantes Gästebuch zu studieren, in dem ich mich auch abermals verewigte. Was da alles für Leute vorbeikommen, und wieviele verschiedene Gedanken an das Hochland sie dort hinterlassen, immer wieder spannend. Und während ich da so blätterte, hielt draußen vor der Türe ein Auto. Es waren die beiden Deutschen die ich gestern im HotPot von Hveravellir getroffen hatte. Erst jetzt hatten sie mich eingeholt, und als sie mein Fahrrad gesehen haben hielten sie mal kurz an. Und weil es hier trockener war als im heißen Wasser gestern, bekamen sie noch ein paar der "Geheimtips" über die wir geplaudert hatten auf der Karte gezeigt, bedankten sich und wünschten mir noch viel Glück, und schon waren sie weitergebraust.
Ich machte mich auch bald wieder auf den Weiterweg. Die Piste wurde deutlich besser, die Landschaft wieder deutlich grüner und freundlicher. Hinter dem nächsten Hügel kam eine "Blindhæð", eine unübersichtliche Stelle mit Überholverbot und dem ersten Hinweisschild seit langem. Das vermutlich unnützeste derartige Schild in ganz Island, trotzdem hielt ich mich außnahmsweise auch ohne Verkehr mal an meine Spur.
In den grünen buckeligen Hügeln, die sich anschlossen, gab es auch zum ersten Mal seit längerem wieder Schafe zu sehen. Ich kam der Zivilisation deutlich schneller näher als ich es mir gedacht hätte. Am Horizont konnte ich sogar schon die Ufer des Blöndulón ausmachen. Dort würde die Piste nur zu bald zwischen den Stauseen entlangführen.
So radelte ich bald über die nächste Brücke. Irgendwo dort zweigte eine kurze Piste nach Áfangi ab, einem kleinen Kaffe mit Zeltplatz, Pferdeverleih und wer weiß was noch allem. Dort wurde ein wenig gebaut, Bagger schaufelten eifrig neben der Piste im Erdreich herum, warum auch immer. Für mich war der nächste Halt oben am Gipfel des Áfangafells, oberhalb der Hütte Áfangi.
Von dort hatte ich einen letzten Blick auf Hófsjökull, Kerlingarfjöll, Kjalfell und natürlich Langjökull. Das gesamte Hochland also, all die Berge die in den letzten Tagen so schnell oder langsam an mir vorbeigezogen waren. Mit den unzähligen kleinen Wölkchen darübergestreut ein wunderbarer Anblick. Da muss ich wieder mal hin, soviel steht fest, vielleicht auch mal zu Fuß an die abgeschiedeneren Ecken, wer weiß.
Aber für heute war es gerade mal Mittag, noch genug Zeit um ein ganzes Stück weiterzukommen heute, vermutlich sogar noch bis Varmahlíð. Also schwang ich mich nach ein paar Mittags-Keksen wieder auf meinen Drahtesel und es ging weiter. Das letzte Stück war einigermaßen langweilig, immer wieder Stauseen auf beiden Straßenseiten, ein paar kleine Hügel rauf und runter, ansonsten alles eintönig grün und flach. Die durch Frost geformten Buckelwiesen auf beiden Seiten des Weges sind zwar eine angenehme Abwechslung, wenn man gerade aus dem steinigen, vegetationslosen Hochland kommt, aber irgendwie waren sie auf Dauer auch recht eintönig.
Das Wetter wurde im Norden wie erwartet immer besser und sonniger, genauso wie die Piste. Während ich mit den wenigen Schatten der Wolken um die Wette radelte, kam ich zügig voran. Schon von weitem sah ich aber einen Radler der mir entgegenkam, deutlich langsamer. Er hatte ja auch den Wind von vorne und nicht von hinten. Beim kurzen Gespräch, das sich natürlich zwangsläufig ergab, fragte er, ob das kleine Kaffe in Áfangi noch existiert, so wie in seinem Radreiseführer beschrieben. Na klar. Das ist gut, Koffein ist immer gut... Er war wohl erst recht spät in die Gänge gekommen heute, und vermutlich war ihm dabei der Morgenkaffe ausgegangen.
Naja, am frühen Nachmittag stand ich am oberen Ende des Blönduvirkjun Kraftwerkes, oberhalb der Schlucht der Blandá. Und ich hatte allerbeste Laune. Trotz der ordentlichen Distanz, die ich heute schon geradelt war, fühlte ich mich noch kein bißchen erschöpft. Bis Varmahlíð komm ich heute noch ohne Probleme. Genug Zeit für eine zweite kurze Mittagspause. Vor mir lag erstmal eine asphaltierte Abfahrt hinunter ins Tal, dann noch ein größerer Pass und schon wäre ich im Skagafjörður, einer völlig anderen Landschaft als noch heute morgen. Das merkte ich auch schon als ich unten im Tal angekommen war. Landwirtschaft prägte das Bild, verstreute einsame Farmen, typisch Island. Und ein Traktor überholte mich natürlich auch gleich. Durch derartige Landschaft würde ich wohl die nächsten paar Tage noch länger fahren, bevor ich wieder ins Hochland abbiegen wollte.
Außerdem kam ich mal wieder auf andere Strecken, nicht nur eine "F35". Hier fingen die Nummern alle mit ner 7 an. 733, 731, was auch immer. Und nach zwei Brücken über Blandá und ihren Nebenfluss Svartá kam ich sogar auf die Ringstraße Nummer 1, zum ersten mal auf dieser Reise. Die Ringstraße führte bald wieder hinauf in die Höhe, aus der ich eigentlich gerade gekommen war. Also mußte ich wieder ordentlich bergauf strampeln. Aber auch das war kein wirkliches Problem und ich genoß mehr die Aussicht als mir über den Berg Gedanken zu machen.
Als ich oben war konnte ich nach rechts hinten ein paar letzte Blicke auf den Langjökull werfen und in das tiefe Tal der Blandá. Der Kjölur "highway" der für so viele Radler jedes Jahr die Hochlanderfahrung schlechthin ist, war für mich eher der gemütliche Einstieg, "Training on Tour" für das was in Ostisland noch vor mir lag. Aber davor sollte ich doch besser erstmal meinen Laptop irgendwie in Akureyri zwischenlagern, dieses Stück Extra mußte nun wirklich nicht sein.
Vor mir lag der Vatnshlíðarvatn in einem Nebental des Skagafjörður, in das ich nun gemütlich hinabrollen konnte. Überhaupt ging es nur noch bergab und der Fahrtwind pfiff recht ordentlich. Trotz meines enormen Tempos konnte ich noch rechtzeitig Halt machen bei einem Parkplatz, von dem man das Skagafjörðurtal überblicken kann. Wiedermal erinnert ein Steinhaufen an bedeutende Persönlichkeiten, diesmal einen Dichter aus der Gegend. Dahinter breitete sich das Tal aus, breiter als die meisten vom Gletscher eingeschnittenen Fjorde. Ist wohl auch anders entstanden, vor ein paar Millionen Jahren verlief hier mal "Die Grenze zwischen amerikanischer und eurasischer Platte".
Auf dem weiteren Hinunterweg nach Varmahlíð kam ich am Abzweig zur Kirche Víðimýri vorbei. Allerdings sah der Weg so ungemütlich steinig aus, daß ich beschloß, erstmal lieber mein Gepäck zum Zeltplatz zu bringen. Und weil ich nicht so genau wußte wo das eigentlich genau war, machte ich noch einen Halt bei der Tankstellensupermarktimbissbude und versorgte mich mit ein paar frischen Vorräten. Später dann ein leckeres Abendessen auf dem recht einsamen und gemütlichen Zeltplatz, ein Sonnenuntergang der die gegenüberliegenden Hänge rot anleuchtete, ich beschloß meinen Besuch bei Víðimýri abermals zu verschieben, auf morgen früh. Auch das Schwimmbad hatte um diese Uhrzeit nichts mehr zu bieten, also verkroch ich mich fröhlich, frisch und munter in meinen Schlafsack. 100 Kilometer Hochland? Das war mir nicht genug für heute!
Bilder der Tages:
  • 03-1-20-hveravellir.jpg(37861 bytes): Mein Gefährt am längsten Zaun Islands im Kjölur Hochland
  • 03-1-27-afangafell.jpg(39075 bytes): Cumuluswolken und Steinhaufen am Nordende des Kjölur Hochlands
  • 03-1-28-blanda.jpg(29639 bytes): Das Tal der Blandá, zwischen Blönduós und Varmahlíð
  • 03-1-29-varmahlid.jpg(45618 bytes): Am Zeltplatz in Varmahlíð mit bestem Blick auf den Skagafjörður
  • pano-arnarbaeli.jpg(189139 bytes): Das Kjölur Hochland zwischen Hofsjökull und Langjökull, aufgenommen bei der Schutzhütte Arnarbæli. (Panorama erstellt aus 6 Einzelbildern)

6. August 2003
Skagafjörður



Ich war meinem Zeitplan, soweit ich überhaupt einen hatte, wiedermal weit voraus. Genaugenommen hatte ich an der Uni in Akureyri bescheidgegeben, daß ich am Wochenende vermutlich mal vorbeikommen wollte, also erst in drei Tagen, um meinen Laptop endlich loszuwerden beispielsweise. Jedenfalls hatte ich noch genügend Zeit ein wenig im Skagafjörður herumzuradeln heute und dann den langen Weg an der Küste entlang rund um die Tröllaskagi zu nehmen. Also hatte ich es auch nicht besonders eilig mit dem Aufstehen am nächsten Tag, zumal es ein wenig zugezogen war über Nacht. Vielleicht lichtet sich das nach ein bißchen Warten ja noch.
Erstmal machte ich einen kurzen Ausflug zurück zur Kirche Víðimýri, kurz vor dem Ort. Diese kleine Kirche schaut irgendwie noch richtig nach Wikingern aus. Laut irgendeinem isländichen Museumsdirektor, Präsidenten oder was auch immer ist sie eine der typischsten für Island. Jedenfalls finde ich dieses schwarze Holz mit ein paar leuchtenden umrahmten Fenstern unter einem Grassodendach immer wieder reizvoll und genoß deshalb dieses kleine Kirchlein.
Aber obwohl es schon auf Mittag zuging war der Himmel immer noch zugezogen. Also heute mal wieder die lange Radelhose ausgepackt und alles andere gut eingepackt, dann ging es los mit meinem Gespann. In Glaumbær gab es noch ein berühmtes Museum, danach vielleicht nach Hólar, wo es ein Bad und einen Zeltplatz nebeneinander geben sollte. Sowas ist immer ein lohnendes Ziel für den Abend. Also machte ich mich auf der 75 Richtug Sauðarkrókur und Norden auf.
Schon nach weniger als einer halben Stunde kam ich in Glaumbær an. Das ist ein alter Priestersitz, also gibt es eine große Kirche und ein großes altes Wohnhaus, das sich bis heute erhalten hat. Und was macht man heutzutage mit so einem alten Ding? Natürlich ein Museum. Das Mädel, das dort als Sommerjob gerade die Eintrittskarten verkauft hat, sprach sogar ein wenig Deutsch. Allzuviele Touristen waren nicht unterwegs, also hab ich mit ihr ein wenig geübt. Und mir natürlich das Museum angeschaut, die ganzen alten Gerätschaften und was nicht alles sonst noch dort ausgestellt ist. Schon beeindruckend wie geräumig und wohlhabend so ein Priesterhof früher war, auch wenn natürlich viel mehr Leute unter einem Dach wohnten.
Als ich dann weiter wollte war der Himmel immer noch recht zugezogen und grau. Ich dachte schon, das wird wohl nichts mehr, hab im Geiste schon das Regenzeug angezogen, aber es blieb trocken. Und so kam ich nach Sauðarkrókur. Dort an der Tankstelle mal wieder ein Softeis, ein wenig im Supermarkt herumtrödeln, dann wollte ich auch schon wieder weiter. Aber während ich mich noch im Ort zurechtzufinden versuchte, klarte der Himmel mehr und mehr auf. Na das wurde aber auch Zeit. Das Weiterfahren fiel da doch gleich viel leichter.
Ich war weiter auf der Straße Nummer 75 unterwegs, die hier einen Bogen machte und mich jetzt an der Küste entlang nach Osten führte. Und auf halbem Wege durch das breite Tal liegt dort eine Halbinsel Hegranes, mit Flüssen auf beiden Seiten. Vermutlich sind das irgenwelche alten Vulkangesteine die dort auf dem ehemaligen mittelatlantischen Rücken alte Magmakammern bildeten und jetzt vom Wasser nicht so leicht abzutragen waren, aber ich hab ja keine Ahnung. Jedenfalls waren es mal wieder ein paar kleine Hügel, die ich hinaufstrampeln mußte und hinuterrollen konnte.
Im Nu waren die Wolken von heute Morgen restlos verschwunden, mittlerweile hatte ich wieder bestes Sommer-Sonnen-Wetter. Als ich dann an einem kleinen Hinweisschild "Hegranesþing" vorbeikam, nutzte ich den Abstecher für ein bißchen Rast. Laut Hinweisschild spielte hier ein wichtiger Teil der Grettirsaga, aber eigentlich ist von alter Größe und der alten Þingstätte nicht viel zu sehen. Höchstens ein paar Mauerreste kann man unter den Grasbuckeln erahnen, auf denen jetzt die Schafe weiden. Trotzdem, an einem angenehm warmen Sommertag ein wenig im Gras liegen und den nicht-existenten Wolken zuschauen, das ist Urlaub!
Irgendwann raffte ich mich wieder auf und radelte auf die andere Seite des Skagafjörðurtales. Dort konnte ich schon von weitem die Autos auf der Straße 76 langflitzen sehen, nach Norden, Hofsós und Siglufjörður und nach Süden zurück ins Tal. Als ich selber Richtung Hofsós einbog, fiel mir zum wiederholten Male auf wie landwirtschaflich geprägt die Gegend ist, und wofür sie am berühmtesten ist: Pferde! Neben ein paar Kühen gab es hier fast nur Pferde auf den Weiden, und man merkte bald, daß die Bewohner auch stolz auf ihre Pferde sind. In die Hoftore waren stilisierte Pferde eingearbeitet, an den Hauswänden gelegentlich noch mehr Pferdebilder. Ein paar Reiter kamen mir dann auch entgegen, auf dem kleinen Reitweg neben der Asphaltstraße. Wir grüßten uns freundlich.
Aber schon bald bog ich nach rechts ab, Richtung Hólar. Nun war ich wieder in einem typischen schmalen Gletschertal unterwegs. In der Mitte ein kleiner Fluß zu dessen beiden Seiten einige vereinzelte Höfe stehen, weiter oben wird der Talrand steil um hinter der obersten Kante unvermittelt plötzlich in einer Hochebene auszulaufen. Weit vor mir sah ich schon bald einen markanten spitzen Kirchturm aufragen. Ich konnte mir denken, daß das wohl der isländische Bischofssitz und somit Hólar sein mußte. Sah jedenfalls nett aus heute, zwischen sonnenbeschienenen Weiden mit einem kleinen dunklen Wäldchen nebenan und mit dem riesigen Berg dahinter, über dem sich ein klarer blauer Himmel spannte. Sommer eben!
Am Ort selber gönnte ich mir schon wieder ein Eis, spazierte dann ein wenig herum, zur Kirche, durch den Wald und zu ein paar alten Torfhäusern die gerade renoviert wurden. Alles in allem wirklich einladend und schön und ich hätte gern hier übernachtet. Aber es war eigentlich noch recht früh heute und ich könnte auch noch eine ganze Ecke weiterradeln. Während ich eine Weile im Wald herumwanderte und mir auch sonst alle erdenkliche Zeit ließ, wollte mir auch keine so rechte Lösung einfallen. Schlussendlich entschied ich mich doch noch ein wenig zu radeln. Was ich heute schaffte bräuchte ich morgen nicht mehr zu radeln, und wer weiß, wie das Wetter morgen wird. Ich war noch nicht so wirklich weit gekommen da bereute ich das schon wieder ein wenig. Eigentlich war Hólar doch ein recht netter Ort zum Verweilen. Aber ich wollte nicht schon wieder umdrehen, also beschloß ich statt dessen lieber ein andermal wiederzukommen.
Diesmal radlte ich auf der anderen, nördlichen Flusseite entlang zurück auf die Hauptroute nach Hofsós. Beide Wege schienen mir schön, bei dem Sonnenschein. Ein wenig eintönig ging es dann weiter auf der 76 zwischen Höfen und Feldern. Aber ich hatte eine schöne Aussicht auf die Bucht und die Inseln darin. Auf denen wimmelt es im Frühsommer angeblich nur so von Vögeln und deswegen waren sie in alten Tagen die "Vorratskammer" des Skagafjörður. Auch Grettir der Starke, der alter isländische Sagenheld soll auf eine der Inseln verbannt worden sein.
Wie auch immer, ich erreichte bald das nächste Kirchlein und meinen nächsten Halt, Gröf. Somit war das wohl der kirchenreichste Tag der Reise. Eine wirklich nette kleine Holzkirche und gleichzeitig eine der ältesten in ganz Island kam zu meiner heutigen Sammlung dazu.
Nur wenig weiter lag dann auch schon der Ort Hofsós. Eigentlich hatte ich immer noch keine rechte Lust anzuhalten, aber im Farmland nördlich von hier wild zelten wollte ich noch weniger, und die nächste richtige Zeltgelegenheit war dann noch eine ganze Ecke weiter entfernt. Also hab ich mich ein wenig in dem kleinen Flecken umgeschaut, das laut Karte eigentlich deutlich größer aussah. Bei einer ersten Rundtour konnte ich noch keinen Zeltplatz finden, dafür einige schöne neu-alte Häuser am Hafen. Nach noch einer Runde durch den Ort fand ich schließlich neben dem Sportplatz, wo auch sonst, eine Zeltwiese mit nur sehr wenigen Gästen. Ein einfaches aber gemütliches Plätzchen.
Abends unternahm ich noch einen kleinen Spaziergang durch den Ort, stellte bei genauerer Unersuchung fest, daß die schönen alten Häuser am Hafen ein "Auswanderermuseum" beherbergen, gewidmet den vielen Isländern die ihr Glück in der neuen Welt suchten. Außerdem sah ich am Horizont fern im Süden den Mælifell aufragen, den man vom Kjölur Hochland aus anpeilen kann, wenn man in den Skagafjörður kommen will. Vorerst meine letzte Erinnerung ans Hochland. Ein schöner stiller Sonnenuntergang war draußen am Meer zu sehen und eine angenehme ruhige Nacht brach an.
Bilder der Tages:

7. August 2003
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, strahlte die Sonne schon was das Zeug hält. Das gibt sicherlich noch Regen am Abend, dachte ich mir, ich bin ja schließlich in Island. Aber fürs erste genoß ich das gute Wetter und packte mein Zeug zusammen. Aber, ein Problem hatte ich noch. Gestern war nirgends jemand da der Geld haben wollte für den Zeltplatz. Und heute morgen auch nicht. Und einen Hinweis, ob man denn irgendwo anklopfen und nachfragen sollte, konnte ich auch nicht finden. Als ich um 10 Uhr abfahrbereit war und immer noch nichts bezahlen musste, beschloß ich kurzerhand, daß der Platz hier heute kostenlos war, und radlte los.
Die Hauptstraße am Ort vorbei und weiter nach Norden wurde gerade ein wenig umgeleitet, weil irgendwo eine Brücke repariert wurde. Das hatte ich schon bei meinem abendlichen Spaziergang gestern festgestellt, und so fand ich trotz der schwierigen Verkehrssituation den richtigen Weg auf die einzige Straße weit und breit.
Die Landschaft, durch die ich bald kam, war sehr ruhig und einsam. Ein paar verstreute Schafe streunten durch die Wiesen und Weiden und immer wieder gab es einen Zaun aus den malerischen alten Holzpfosten. Mit Sonnenschein und dem Nordatlantik an meiner Seite war das Vorwärstkommen ein Genuß.
Bald schon wurde die Landschaft karger und die Schafe seltener. Auch die immer spärlicheren Höfe hatte ich bald hinter mir gelassen, von Verkehr kann man auf diesen einsamen Strecken sowieso nicht wirklich reden. Schließlich ließ ich auch den Asphalt wieder hinter mir, zumindest für ein kleines Stückchen. Asphalt und eine feste Schotterpiste wechselten sich ab. Außer mir waren wie gesagt nur wenige Autos unterwegs, auffällig viele vom Vegagerðin. Vermutlich wurde grad ausgelotet, wie man auch die fehlenden Stückchen noch mit Asphalt versehen könnte. Im übrigen kam ich auch hin und wieder an den bekannten blauen Hinweisschildern vorbei, einen Zeltplatz und ein oder zwei Bauernhofhotels gab es dort. Und irgendwo sogar ein Bad, dessen Öffnungszeiten auf einem Schild neben der Straße standen. Vermutlich insbesondere für die Einheimischen, die auf den umliegenden Höfen verstreut leben. Touristisch erschlossen ist diese Ecke Island jedenfalls nicht wirklich, was ihr aber keineswegs den Reiz nimmt.
Rechts von mir ragten schon seit einiger Zeit die Berge des Tröllaskagi hoch empor. Bald konnte ich auch einen Blick auf das nördlichste Ende der Halbinsel werfen. Hinter den Bergen, ganz im Norden liegt irgendwo Siglufjörður, und da führte meine Straße auch hin, wenn ich nicht rechtzeitig abbog. Lange Zeit führte zu diesem abgelegenen Ort gar keine Straße und es war mühsam dorthin zu gelangen. Heutzutage schien es mir nur noch für Radler mühsam, eine Bucht hinein, die nächste wieder hinaus und gelegentlich mal über einen kleinen Berg, fast schon eine Fjordlandschaft.
Eine kleine Pause von karger Berglandschaft hatte ich in der Bucht Fljótavík. Dort sah ich wieder ein typisches vom Gletscher eingeschnittenes Tal in dem heute ein kleiner Fluß zwischen grüner Weidelandschaft ein paar verstreuten Farmen ein Auskommen ermöglicht. Und dieses Tal hinauf führte meine weitere Route, über einen Pass nach Ólafsfjörður und weiter bis Akureyri. Bei der Wegkreuzung von 76 und 82 gab es auch eine kleine Tankstelle und die nutzte ich zu einer frühen Mittagsrast.
Auf der Weiterfahrt das Tal hinauf wurde es bald immer schattiger und wolkiger. Zunächst machte mir das nicht so viel aus, denn es ging ein paar Berge hinauf und wieder hinunter, eine gute Übung zum warm werden also. Isländische Straßenplanung ist nicht für Radler ausgelegt. Auf einem kleinen Gipfel hielt schon ein Caravan, dahinter ging es nochmal halsbrecherisch runter vor dem eigentlichen Pass. Als ich ebenfalls ein kleines Verschnaufpäuschen einlegte, kamen die Insassen heraus und sprachen mich mit einem astreinen englischem Akzent an. Komisch, das Nummernschild war doch französisch. Wie auch immer, sie waren 6 Wochen lang hier unterwegs und während wir über die Routen berieten erzählten sie, sie hätten irgendwo aufgeschnappt, die Sprengisandur-Piste sei landschaftlich reizvoller als die Kjölur-Route. Ich widersprach zwar heftig, aber erfolglos. Naja, aus der Autofahrerperspektive vielleicht, das kann ich nicht beurteilen.
Bald rollte ich wieder weiter, den steilen Berg hinab. Vor mir sah ich schon den Hreppsendasúlur, den Berg wo der Verwaltungsbezirk endet, und hinter dem ging es laut Karte in einer Kurve steil bergauf in die Lágheiði. Die Karte hatte recht. Und so hatte ich bald einen recht schönen Ausblick auf das Tal hinter und unter mir und bei dem etwas zähen Tempo bergauf auch genug Zeit, den zu genießen. Leider war von dem besten Sonnenschein nicht mehr viel übrig, aber trotzdem leuchteten in Moos und Gras wunderschöne Grüntöne.
Die Piste ging weiter steil hinauf und hinauf, bis ich oben bei der Schutzhütte angekommen war dauerte das noch ein Weilchen. Die Aussicht von dort oben in das nächste Tal auf Ólafsfjörður, Fjord, Tal und Ort gleichen Namens, war schon recht beeindruckend. Noch schöner wäre es aber gewesen, wenn nicht der kalte Wind aufgekommen wäre und nicht die dicke Wolkenschicht vor die Sonne gezogen wäre.
Als nächstes musste ich die ganzen Höhenmeter wieder hinunterradeln und -rollen. Das wurde dann richtig unangenehm kühl im Fahrtwind. Zudem musste ich ja nicht wirklich selber was zum Tempo beitragen, eher bremsen auf dem steinigen Straßenbelag, also kühlte ich noch mehr aus und bereute es langsam wirklich, daß ich bei dem sonnigen Morgen lieber die kurze Radhose angezogen hatte.
Und während ich da so hinunterdüste, sah ich weit vor mir irgendwo auf der Piste einen einsamen Radler mir entgegenkommen, ohne Packtaschen ohne alles. Sicher nur irgendein Junge der zum Nachbarshof radelt dachte ich mir. Aber weit gefehlt! Als ich näher kam, erkannte ich den Radler wieder. Und er mich. Vor ein paar Tagen erst hatten wir uns am Geysir gesehen, es war der Isländer der mit Familie, Fahrrad und Auto das Land bereiste. Und wie gesagt wollte er in den Norden, und dort trafen wir uns jetzt wieder. Er wollte heute auf ein paar wirklich abenteuerlichen Bergpisten zwischen Siglufjörður und Ólafsfjörður sein Rad ausfahren. Alte Fahrwege die niemand mehr kennt oder benutzt. Mountain-Biken ohne Gepäck eben. Na dann viel Spaß!
Nach dem freudigen Wiedersehen kam ich am frühen Nachmittag in den ersten größeren Ort seit langem. Ólafsfjörður. Nicht daß er wirklich groß wäre, aber er hat wohl alles was man so braucht. Sogar eine Skisprungschanze mitten im Ort, weil es im Winter wohl oft recht viel Schnee dort gibt. Ein wenig eigenartig im übrigen, als Olaf in Ólafsfjörður auf der Ólafsgata am Ólafhúsið vorbeizuradeln. Ich gönnte mir mal wieder einen HotDog, aber abgesehen von den Namen gab es heute nicht allzuviel was mich dort gehalten hätte. Wenn ich weiter so zügig unterwegs war, schaffte ich es vielleicht heute noch bis Akureyri. Einen Versuch ist es wert.
Dummerweise gab es gleich hinter dem Ort einen Tunnel zu durchfahren. Es gibt auch eine alte Piste über den Berg, aber die sah von unten schon recht arg steinig und verfallen aus. Also ab in den Tunnel. Licht hatte ich nicht an meinem Rad, aber dafür gibts ja die Straßenbeleuchtung. Und der besondere Kick: die Straße ist nur einspurig mit gelegentlichen Ausweichstellen. Als Radler kommt man aber gelegentlich nicht mehr bis zur nächsten Ausweichstelle, also musste ich auch ab und zu mal zwischen Straße und Wand halten. Und dabei merkte ich dann, wie schlammig und nass das in so einem Tunnel doch sein kann. Und kalt. Und das Ganze ging etwa 3400 Meter lang so, meistens schnurgerade, so daß man das Gefühl hat gar nicht voranzukommen. Im übrigen patroullierte wohl gerade eine Geschwindigkeitskontrollstreife. Und die haben bei mir eindeutig geblitzt, vermutlich um zu sehen was das denn für ein Ding ist da im Schatten am Straßenrand, jedenfalls bestimmt nicht weil ich zu schnell war. Vermutlich ist der Tunnel offiziell für Radler gesperrt, oder sagen wir mal so, er wäre es wenn irgendjemand damit rechnen würde daß sich überhaupt jemand mit dem Rad dorthin verirren könnte. Jedenfalls war ich heilfroh als ich am anderen Tunnelende unversehrt herausgekommen war.
Dort machte ich erstmal eine kleine Pause und schaute in den Eyjafjörður. Dort hinten in Akureyri würde ich also das nächste halbe Jahr verbringen (und im übrigen auch zum großen Teil diesen Bericht schreiben). Naja, das werd ich mit weniger Wolken sicherlich auch nochmal erleben, dachte ich mir. Mittlerweile war es von Süden her einigermaßen zugezogen, wird bestimmt noch regnen, dachte ich mir. Trotzdem machte ich mich frohen Mutes auf, um Dalvík zu erreichen, hinter dem nächsten Berghang.
Die ganze Gegend dort ist recht steinschlaggefährdet, wie man diversen Hinweisschildern entnehmen konnte. Deswegen auch all das Gehabe um den Tunnel, der eine vom Steinschlag unabhängige wichtige Verbindung von Ólafsfjörður mit Akureyri sicherstellt. Für mich als Radler bedeutete das Steinschlagrisiko heute nur, daß es abwechslungsreiche Felsbrocken entlang der Straße zu sehen gab. Als ich um die nächste Ecke bog und den Gefahrenbereich verließ, sah ich auch schon Dalvík in der Bucht vor mir liegen.
Dalvík war als potentielles Tagesziel ein paar Mal durch meinen Kopf gegeistert. Allerdings war es jetzt erst etwa halb fünf abends und Akureyri lag nicht mehr so wirklich weit entfernt. Nach ein wenig Nachgrübeln bei ein paar Keksen beschloß ich, den örtlichen Zeltplatz und das topmoderne Schwimmbad heute nicht auszuprobieren. In Akureyri treff ich bestimmt noch ein paar nette andere Radler und einen geselligen Abend vermißte ich schon fast ein wenig. Außerdem hatte ich dann morgen den ganzen Tag Zeit, mich um alles mögliche zu kümmern.
Also ging es weiter, wieder an einem kleinen Denkmal für einen bedeutenden Isländischen Dichter vorbei. Die Landschaft war recht eintönig, langweilig und zog sich schier ewig dahin. 40 Kilometer noch, stand auf dem Hinweisschild. Ingesamt wäre das dann etwa eine 140 km Etappe, rekordverdächtig. Meine Gedanken trieben schon wieder weiter, die Asphaltstraße mit viel Verkehr ging einigermaßen vollständig an mir vorüber. Nur selten gab es für mich etwas interessantes zu sehen, das Svarfaðardalur als eines der großen Seitentäler des Eyjafjörður, eine nette Kirche in Árskógur, dann lange lange Zeit nur Farmen, Felder, Schafe und Kühe. Es fing schon an ein wenig dunkel zu werden als ich in der Ferne die nächste Kirche erahnen konnte, Möðruvellir. Vielleicht wurde es auch gar nicht wirklich dunkel, sondern nur noch dichter bewölkt? Wie auch immer, von hier aus war es nicht mehr weit.
Schließlich kam ich an eine Brücke über die Hörgá. Von den Spitzen Gipfeln der Öxnadalsheiði zu meiner Rechten bekam ich vor lauter Wolken aber nicht viel zu sehen. Während ich mich den letzten Berg hinaufarbeitete und am Ende der Straße 82 ankam, fing es tatsächlich zu regnen an. An der Kreuzung mit der Ringstraße überlegte ich, mein Regenzeug anzulegen. Nach ein paar Keksen Bedenkzeit schwächelte der Regen aber schon wieder, also ließ ich das vorerst bleiben. Vor mir ging es nur noch ein wenig bergab, die Lichter von Akureyri waren schon nicht mehr zu übersehen. Willkommen zuhause, hier werde ich bis Weihnachten noch studieren.
Aber fürs erste hatte ich ganz andere Probleme. Ampeln. So richtig mit Rot und Grün. Sowas war mir seit Reykjavík schon nicht mehr untergekommen. Trotzdem fand ich leicht den Weg zum Zeltplatz, stellte erschöpft mein Rad ab und zahle die Platzgebühren. Ein langer Tag war das.
Während ein wenig Verschnauffen verschaffte ich mir einen Überblick über den Platz. Natürlich gab es wieder die Einheitszeltburgen diverser Reisegruppen, und noch eine Umenge anderer Zelte. Und auch viele Radler. Und ein paar alte Bekannte. Die Vierergruppe mit den zwei Anhängern, die ich schon in Keflavík bei der Ankunft kurz getroffen hatte. Natürlich baute ich mein Zelt gleich nebenan auf und wir kamen schnell ins Gespräch. Aber dazu später mehr. Erstmal muss ich mein Zelt sturmsicher machen. Es sah nach Regen und ein bißchen Wind aus, aber nachdem das aus Süden kam, nahm ich das nicht sonderlich ernst und vermutete stattdessen, daß sich das wohl sehr bald wieder legen würde.
Ich selbst legte mich für heute auch bald schlafen, nach einem ausgiebigen Abendessen. Für morgen war Wäschewaschen, Fahrrad kontrollieren und reparieren, und noch vieles anderes geplant.
Bilder der Tages:
  • pano-fljotavik.jpg(215766 bytes): Mein Fahrrad an der Nordküste Islands, nahe der Abzweigung nach Siglufjörður. (Panorama erstellt aus 4 Einzelbildern)

8. August 2003
Akureyri
Ein Ruhetag war also angesagt, ohne Radeln, ohne 140 km am Tag. Nebenan campierte ja die Vierergruppe mit den beiden Anhängern, Johanna, Viginie, Tobias und Sascha, das Team von www.globebike.de. Und die hatten ähnliche Pläne. Mal wieder ein wenig am Rad schrauben und reparieren, ein wenig in der Stadt bummeln und sich bloß nicht hetzen. Das Wetter passte dazu, Wolken, gelegentliche Schauer, richtig regnerisch wurde es erst abends.
Aber zunächsteinmal machte ich ein wenig Gebrauch von meinem Laptop, den ich ja die ganze Zeit unnütz mit mir rumgeschleppt hatte. Also testen ob er überhaupt noch geht und dann Bilder von der Digitalkamera herunterladen. So saß ich doch tatsächlich auf nem Zeltplatz und spielte an meinem Computer rum. Zum ersten Mal in meinem Leben im übrigen, und hoffentlich auch zum letzten Mal. Aber trotz der neuen Megabyte für meine Digitalkamera nahm ich mir für heute auch noch vor ein wenig Zusatzspeicher zu besorgen, wenn ich schonmal in ner größeren Ortschaft war.
Außerdem besorgte ich mir bei einem Einkaufbummel auch endlich mal eine isländische Telefonkarte mit einer isländischen Nummer und isländischen Tarifen. Und isländischer Anleitung. Naja, für meinen geplanten monatelangen Aufenthalt sicher noch eine nützliche Anschaffung, und im übrigen deutlich günstiger zum nach Hause telefonieren.
Weiterhin besuchte ich den Auslandsbeauftragten der Háskólinn á Akureyri und somit den Campus Solborg im Tal der Glerá. Klemenz, den ich per Email natürlich schon kannte, begrüßte mich recht herzlich, führte mich ein wenig in den kleinen aber feinen Universitätsgebäuden herum, auch den Chef der Informatikabteilung, mit dem ich wohl noch öfter zu tun bekommen würde lernte ich dabei kennen. Und ich konnte endlich meinen Laptop und ein bißchen anderes Sperrgepäck unterstellen. Das Packen wird morgen sicherlich eine Freude, einer der wenigen Tage wo das mal Spaß macht!
Aber noch war es eine Weile bis das Semester anfängt. Ich radelte erstmal zurück zum Zeltplatz. Nach noch ein wenig Einkaufen von Essensvorräten und ein wenig Keksen zum Mittagessen steckte ich meine Wäsche in die Maschine. Dann war endlich mein Fahrrad dran. Das globebike-Team nebenan war auch gerade bei den Zelten und wir kamen wiedermal schnell ins Fachsimpeln. Über die Anhänger beispielsweise, sie hatten nicht nur einen BOB Yak Hänger, sondern auch einen einigermaßen baugleichen von Koolstop, dessen Vor- und Nachteile natürlich gleich diskutiert wurden. Außerdem hatten sie fast alle Magura Hydraulikbremsen und noch allerlei kleinen Schnickschnack und Details die das Radlerherz höher schlagen lassen, wie ein automatisches Kettenschmiersystem im Leitröllchen und so. Die machen öfter mal solche Touren, auch in Madagaskar und Korsika waren sie schon. Und für morgen wollten sie erstmal in die gleiche Richtung weiter wie ich, Mývatn.
Naja, an meinem eigenen Fahrrad kontrollierte ich mal die Laufräder und zog die Speichen ein wenig nach. Zum ersten Mal war ich mit selbst eingespeichten Laufrädern unterwegs, das Vorderrad hatte ich gerade noch rechtzeitig fertigbekommen, daß es auch mitkam auf die große Reise. Probefahren mußte ausfallen. Und trotzdem waren die Räder beide ziemlich stabil bisher. Ich hatte sie beide nicht ganz exakt gerade zentriert bekommen und die selben leichten Dellen und kaum erahnbaren Achter waren jetzt immernoch drin. Besser als nichts.
Die globebiker von nebenan bekamen nebenbei noch eine kurze Unterrichtsstunde im zentrieren, davon hatten sie bisher immer gerne die Finger gelassen. Einer von ihnen hatte diesmal Probleme mit seinem Hinterrad, die Alesa Explorer Felge hatte unzählige feine Haarrisse. Der einzige Radladen weit und breit meinte zwar, das wäre nicht weiter tragisch, aber Tobias, der mit der Felge noch um halb Island kommen musste, der machte sich schon ein wenig Sorgen.
Aber noch mehr alte Bekannte traf ich am Zeltplatz wieder. Tobias Weisenberger, ein Bekannter vom alljährlichen Islandtreffen der mich sofort wiedererkannt hatte (ich ihn aber ehrlichgesagt nicht) war dies Jahr trampen, mit Bus und zu Fuß unterwegs, hatte bisher aber in Südisland kein richtiges Glück mit dem Wetter. Außerdem hat seine selbstaufblasende Luftmatraze sich zusehends in einen selbstaufblasenden Luftballon verwandelt. Insgesamt machte er einen etwas niedergeschlagenen Eindruck, hoffte aber, daß er im Kjölur Hochland noch besseres Wetter bekäme. Außerdem erzählte er, er hätte Dieter Graser am Mývatn getroffen. Als ich von dessen Reiseplänen hörte, hoffte ich zwar gleich mal, daß ich den in den nächsten Tagen auch noch erwischen könnte, aber daraus wurde nichts.
Jedenfalls verging so mit Schwatzen, Fahrradbasteln und auf die Waschmaschine warten der restliche Tag im Handumdrehen. Gegen Abend wurde es immer regnerischer und ich beschloß, wie die meisten anderen, noch ein wenig ins Freibad zu gehen. Dort traf ich sogar die Caravan-Familie von gestern wieder, mit dem Französischen Nummernschild und dem Oxford-Akzent. Und ich konnte in den vielen HotPots, die in fast jeder Temperatur zu haben waren, vorzüglich entspannen.
Als ich davon genug hatte und mich ans Abendessen machte, regnete es natürlich und draußen kochen macht nicht so viel Spaß. Die kleine Hütte mit dem Unterstand war schon randvoll besetzt mit allerlei anderen Zeltgästen, Hochbetrieb und keiner hatte Lust im Regen zu sitzen. Also beschloß ich mit dem globebike-Team, die natürlich das selbe Problem hatten, einen anderen Unterstand zu suchen. Direkt neben dem Zeltplatz ist ein Nebengebäude der Háskólinn á Akureyri, und der dortige Eingang hat ein wunderbares Vordach. Dort machten wir uns breit, es gab HotDogs. Und davon nicht gerade wenig. Ich machte mir schon ein wenig Gedanken, wenn ich hier später mal studieren würde und täglich in das Gebäude rein- und rausginge, dann müßte ich wohl jedesmal an diesen Abend zurückdenken. "HotDog-Trakt" wird dieser Teil der Uni also getauft. (Ich muss wirklich immer an den Abend zurückdenken, wenn ich da reingeh, was während des Studiums nicht gerade selten war).
Am Ende waren wir alle pappsatt. Zu den HotDogs gab es noch Kartoffelbrei und die letzten Reste mußten wir uns schon wirklich reinzwingen. Ein unvergesslicher Abend. Der Regen hatte mittlerweile ein wenig nachgelassen, aber es wurde sowieso Schlafenszeit und im Zelt wars ja trocken. Morgen sollte es für uns alle auf in neue Abenteuer gehen, mit der nächsten Stadt weit weit weg.

9. August 2003



Am nächsten Morgen war der Regen vollständig verschwunden. Zwar war es anfangs noch ein wenig bewölkt, aber daß sich das bald lichtet war nicht schwer zu erraten. Also verabschiedete ich mich von meinen vielen Bekannten am Zeltplatz und verabredete mich mit den globebikern in zwei Tagen am Mývatn, sie wollten unterwegs am Goðafoss noch übernachten. Und ich hatte meine Freude am Packen und endlich mal eine Menge unnützes Zeug weniger und radelte somit bald mit meiner kurzen Hose munter drauf los.
Ich hatte mit den anderen Radlern ein paar alternative Routen diskutiert, abseits der Ringstraße. Zum einen gibts einen hohen Pass über die Vaðlaheiði, aber auf Berge hatte ich heute keine rechte Lust. Zum anderen gibt es einen Weg auf 83 und 835 zunächst nach Laufás und dann an der Fnjóská entlang. Alle Wege führten aber dann am Ljósavatn vorbei und zum Goðafoss. Ich musste mich vorerst noch nicht festlegen und radelte erstmal auf der Ringstraße am Eyjafjörður entlang nach Norden. Dabei hatte ich starken Rückenwind, aus Süden also. Und eine Menge Sonnenschein natürlich auch. Trotzdem kam ich nicht so recht in die Gänge und mir lag das reichhaltige Abendessen vom Vortag noch schwer im Magen.
Naja, also machte ich ausgiebige Pausen, genoss ein wenig das schöne Wetter und die tolle Aussicht über den sonnigen Fjord. Irgendwann kam ich dann an die besagte Abzweigung. Der Weg im Norden herum war ein wenig länger und ein wenig flacher, die Ringstraße führte geradewegs über einen recht beeindruckenden Pass. Andererseits könnte man den Berg auch wieder hinunterrollen, auf dem Umweg im Flusstal hätte man im anderen Seitental sicherlich ne Menge Gegenwind. Nach ein wenig hin- und herüberlegen entschied ich mich schließlich, hier noch auf der Ringstraße zu bleiben. Die anderen beiden Wege könnte ich sicher noch während meines Semesters in Akureyri ausgiebig erkunden.
Also ging es langsam und zäh den Berg hinauf, dafür mit immer besserer Aussicht. Ich gönnte mir wieder viele Pausen, aber schließlich kam ich auch so auf den Gipfel. Dort hatte ich dann eine tolle Aussicht auf den Fluss Fnjóská vor mir. Das besondere an dessem Tal ist, daß es an den Hängen viele "Wälder" gibt, im isländischen Sinne des Wortes. Laut Karte gab es irgendwo dort unten wohl auch noch eine Abzweigung zum Vaglaskógur, dem größten und ältesten der verstreuten Waldstücke. Aber auch da wollte ich ein andermal hin.
Abgesehen von dem Ausblick hatte sich die Straße nun wieder nach Süden gewendet, dem Wind entgegen. Und der blies wirklich recht ordentlich heute. Solange es noch bergab ging hatte ich keine ernsthaften Probleme, aber dann ging es wiedermal nur recht zäh vorwärts. Irgendwann kam ich aber trotzdem zur nächsten Straßenbiegung. Die Ringstraße führte nun wieder geradewegs nach Osten, zum Ljósavatn. Außerdem war hier die besagte Abzweigung zum Vaglaskógur. Und genau an der Kreuzung lud mich erstmal ein kleiner Parkplatz zum Rasten ein.
Auf dem Weiterweg hatte ich deutlich weniger Probleme mit dem Wind. Mit Sonnenschein und blauem Himmel insgesamt ein sehr angenehmes Stückchen Ringstraße, der Verkehr hielt sich einigermaßen in Grenzen. So kam ich bald an den höchsten Punkt der Ljósavatnsskarð, von einem Gipfel oder Pass kann man bei dem recht flachen Tal nicht wirklich reden. Vor mir konnte ich den See Ljósavatn erahnen, dahinter die mir vertrauten Berge bei Fosshóll am Goðafoss. Mit dieser Aussich kam ich gleich noch ein wenig munterer voran, am Ufer des Sees wartete dann der nächste Parkplatz darauf, daß ich eine Rast machte.
Das letzte Stück zum Goðafoss war auch nicht mehr problematisch. Dort, bei meinem persönlichen Lieblingswasserfall, war dann zwangsläufig ein kurzer Fotostop fällig. Ich war zwar schon etliche Male hiergewesen, aber noch nie hatte ich so einen klaren sonnigen Tag erwischt wie heute. Mit einem Eis in der Hand spazierte ich am ruhigen Ostufer entlang, während drüben mehrere Busladungen die ganze Gegend übernahmen. Ich probierte auch endlich mal ein wenig mit dem Selbstauslöser herum, wenn man schon eine Digitalkamera hat und die Bilder gleich wieder löschen kann.
Aber es war erst früher Nachmittag, also zog ich nach einer Weile wieder weiter. Noch ein letztes Stück Ringstraße über den nächsten Hügelzug musste ich hinter mich bringen. Dieser Hügelzug ist von ganz anderer Art als die vorigen Berge rund um den Eyjafjörður. Dort hinter mir waren in den Bergflanken deutliche Schichten zu erkennen, hier war alles ein einziger gleichmäßig geneigter Hang, der geologisch gesehen wohl auch wieder völlig anders entstanden ist. Aber bergauf ging es trotzdem, wenn auch nicht ganz so lang und steil wie zuvor.
Auf der anderen Seite ging es gleich wieder hinab ins Reykjadalur. Auch diese Gegend war mir schon vertraut, und so wollte ich den normalen Weg auf der Ringstraße und am Másvatn vorbei diesmal umgehen. Als ich also den Berg vollständig hinuntergerollt war, bog ich nicht nach rechts ab, sondern nach links, auf einer Straße mit Nummer 845 Richtung Húsavík. Die Straße führte das Reykjadalur in der anderen Richtung entlang, vorbei an einem Vestmannsvatn und dann ins Aðaldalur. Der Abschnitt den ich darauf entlangfuhr war nicht asphaltiert. Aber dafür hatte ich einen kräftigen Rückenwind. Ich konnte fast Wettrennen fahren mit den wenigen Autos die mich aber irgendwie doch noch überholten.
Die Landschaft rund um den Vestmansvatn erinnerte mich schon ein wenig an den Mývatn meinem Tagesziel. Bizarre Lavaformationen und -säulen ragten hier aus den grünen Weiden heraus, mindestens so schön wie andernorts. Ich hatte also mehr oder weniger zufällig eine wunderschöne Alternative zur Ringstraße gefunden, und mit dem wunderschönem Sonnenschein darüber richtiges Wetterglück. Und außerdem hatte ich wie gesagt Rückenwind, der mich schon nach einer Viertelstunde zu meiner nächsten Abzweigung getragen hatte. Eine weitere nicht-asphaltierte ruhige Landstraße führte nach Grenjaðarstaður.
Inmitten der der sonnigen grünen Weidelandschaft gibt es dort ein weiteres kleines Museum, wiedermal ein ehemaliger Priestersitz von dem noch Wohnhaus und Kirche erhalten sind, Dejavu. Trotzdem fand ich die Atmosphäre hier lebendiger, nicht so sehr museumshaft wie in Glaumbær. Außerdem war hier wohl mal eine Telegraphen- und Poststation untergebracht, und überhaupt war alles auch ein wenig größer und eben anders.
Es war schon später Nachmittag als ich weiterkam. Allzuviel Strecke hatte ich nicht mehr vor mir, nur noch zum Mývatn. Daß mich das noch drei harte Stunden lang in Anspruch nehmen würde, ahnte ich noch nicht. Zunächstmal suchte ich meinen Weg an einem Kraftwerk in der Laxá vorbei über isländische Landstraßen mit isländischer Beschilderung auf die Hauptpiste zwischen Mývatn und Húsavík, die 87. Naja, Beschilderung. Ich kann nicht klagen, mit dem Rad ist man ja langsam genug unterwegs, so daß ich hier meinen Weg den nächsten Berg hinauf irgendwie doch finden konnte.
Als ich dann aber auf die 87 nach Süden einbog wurde mir klar, daß ich nicht ganz so bald ankommen würde wie gedacht. Der Gegenwind war dermaßen heftig, daß ich schon fast überlegte auf der Stelle kehrt zu machen und nach Húsavík zu fahren. Aber es hilft ja alles nichts, so arbeitete ich mich langsam aber sicher auf die Kasthvammsheiði hinauf und in den Hólasandur.
Die Landschaft änderte sich hier abermals dramatisch. Statt Bergen und grünen Tälern, statt weiten Weideflächen mit Schafen gab es hier eine trockene staubige Wüste. Angeblich war sie einst durch Überweidung entstanden, auf jeden Fall künstlich waren die Begrünugsversuche die man überall sehen konnte. In schnurgeraden Reihen wachsen einige niedrige Büsche, sehr viel mehr Vegetation gibt es nicht.
Mitten in der Wüste steht eine einsame rote Schutzhütte. Als ich dort nach über anderthalb Stunden Gegenwind ankam war ich schon einigermaßen erschöpft. Außerdem begann es schon ein wenig zu dämmern, noch etwas über eine Stunde Tageslicht also bei den langsamen isländischen Sonnenuntergängen. Naja, bis zum Mývatn schaffe ich das schon noch irgendwie. Also weiter bergauf und bergab gegen den Wind treten. Um einen ruhigen Sonnenuntergang im Zelt zu erleben war ich zu langsam, auch das Bad hätte sicherlich schon zu. Verstreute Lichter leuchteten schon durch die Dämmerung als ich endlich am Schild ankam, das mich auf das Naturschutzgebiet hinwies. Vor mir lag schon fast komplett im Dunklen der Mývatn, überragt von den alt bekannten Bergen, Vindbelgjarfjall und Hverfjall.
Ich war natürlich reichlich spät dran auf dem Zeltplatz, dem zweiten der zwei Plätze in Reykjahlíð, Eldá, der mit dem Blick über den See. Ich fand einen genialen Platz mit Windschutz auf drei Seiten, bei den Bäumen gleich links. Über dem See konnte man aber nur noch den Vindbelgjarfjall aufragen sehen, kein Sonnenuntergang mehr. Und es gab auch keine Mückenschwärme mehr.
Also packte ich mein Abendessen zusammen und kochte im belebten Kochzelt. Zunächst fand ich keine alten Bekannten, Dieter war wohl schon weitergezogen. Dafür gab es um so mehr neue Gesichter, immer was los am Mývatn. Auch eine Unzahl von Radlern treffen sich hier regelmäßig, aber ich kam mit niemandem so recht ins Gespräch. Erst nach einer ganzen Weile fand ich doch jemanden den ich schon kannte, hätte mich ja fast schon gewundert. Die deutsche Tramperin, die sechs Wochen lang im Lande unterwegs war und die vor einer knappen Woche ebenfalls in Hveravellir war. Naja, ich verkroch mich doch bald ins Zelt, war müde nach den letzten drei Stunden Gegenwind.
Bilder der Tages:

10. August 2003
Mývatn


Für den nächsten Tag hatte ich wiedermal einen Ruhetag eingeplant. Was aber nicht heißen sollte, daß ich mir nichts vorgenommen hatte. Genaugenommen war mir gestern abend im Kochzelt schon zum wiederholten Male ein großes Poster aufgefallen von einer "guided tour" zu einer Eishöhle namens Lofthellir, irgendwo hier in der Nähe. Mit angeblich wunderschönen Eisskulpturen. Nur kostet die Tour 6000 ISK, was mir eindeutig zu viel ist. Also wollte ich mich mal selber auf die Suche nach der Eishöhle machen.
Ich wußte von der Tourbeschreibung ungefähr daß ich am Hverfjall vorbei, weiter nach Osten zu einem Hvannfell musste und dann etwa eine halbe Stunde ohne Straße durch ein Lavafeld mit "schier endlosen Stricklaven" wandern musste. Das klingt nach nicht sehr viel Anhaltspunkten, war aber eben alles was ich wusste. Jedenfalls schien mir das das richtige Unterfangen zu sein für einen schönen sonnigen warmen Tag, wie es heute einer war.
Ich brach also auf, mit Wanderstiefeln und Fahrrad, ohne Gepäck. Das erste Stückchen lag auf der Ringstraße, aber nur etwa 2 Kilometer, bis ich an die Abzweigung zum riesigen Krater Hverfjall kam. Dieser Krater fällt zwangsläufig auf wenn man am See ist. Er ist kreisrund und ein nahezu perfekter Bilderbuchkrater. Auch das Raufklettern und Rundherumlaufen lohnt sich, man hat meistens eine tolle Aussicht von dort, das ist bekannt. Was aber nur die wenigsten wissen ist, wie das Ding eigentlich entstanden ist, und ich hab auch ewig gebraucht bis ich das herausgefunden hatte... aber das ist eine andere Geschichte... :)
Jedenfalls, statt der normalen Straße zum Parkplatz mit dem Pfad auf den Kraterrand zu folgen, bog ich nach rechts ab um am Krater vorbeizufahren. So schön er auch ist. Statt dessen radelte ich in Richtung der Kraterreihe Ludentarborgir. Von einem australischen Bekannten (die Geschichte dazu kommt später auch noch) wußte ich immerhin schonmal von einigen schönen Spalten, die bald die Straße kreuzten und ein schönes Fotomotiv für den Selbstauslöser bieten. Dann endete mein Wissen aber bald und laut Karte die Piste auch. Ich radelte einen kleinen Hang auf die Kraterreihe hinauf und zu meiner Überraschung gabelte sich dort die Piste. Was nun?
Sicherlich konnte ich kein vorbeikommendes Auto anhalten und fragen. Während sich hinter mir am See die Touristen austobten war hier absolut nichts und niemand unterwegs. In dementsprechenden Zustand war dann auch die Piste. Die nach rechts sah aber noch ein wenig besser aus, also folgte ich der. Das war ein heidenspaß, bei Sonnenwetter auf dieser Strecke unterwegs zu sein, mit festem Untergrund und fast gänzliche ohne Steine. Weniger spassig fand ich, daß sich die Straße bald schon wieder gabelte. Die eine führte zwar genau in die richtige Richtung, geradewegs nach Osten zum Hvannfell. Aber sie machte einen so mieserablen Eindruck, daß ich lieber noch ein Stückchen weiter nach Süden radelte.
Um es kurz zu machen, ich hatte eine wunderschöne und sehr abwechslungreiche Landschaft um mich. Irgendwann, nach noch ein paar Gabelungen und Kreuzungen ließ ich mein Fahrrad an der Straße zurück und marschierte zu Fuß auf einen Berg hinauf. Von dort hatte ich eine wunderbare Aussicht auf den ganzen See und all die Sehenswürdigkeiten um ihn herum, auf der anderen Seite war eine eindrucksvolle Schulcht, vermutlich die Seljahjallagjá, aber den Namen habe ich bisher nur auf einer 1:100.000 Karte gesehen. Aber ich musste auch einsehen, daß das alles hier absolut nicht zum Hvannfell führte und schon gar nicht zu meiner Eishöhle. Also drehte ich wieder um.
Am Rückweg sah ich Hufabdrücke, sehr frisch. In der Zwischenzeit war ein Reitertrupp hier durchgekommen. An der oben genannten zweiten Abzweigung waren sie geradewegs zum Hvannfell geritten. Aber mir war dieser Weg einfach zu schlecht, also fuhr ich weiter zur ersten Gabelung zurück. Fälschlicherweise, wie ich heute weiß.
Während ich dann also meinen Weg entlangfuhr wurde mir langsam klar, daß einige der Gabelungen und Wege um ein rechteckiges, eingezäuntes Weidegebiet herumführen. An dessen Südseite waren die Reiter auf der richtigen Straße entlanggeritten, ich fuhr nun an der Nordseite entlang. Allerdings verlief sich der Weg irgendwann im wahrsten Sinne des Wortes im Sande. Also ließ ich mein Rad abermals zurück und machte mich zu Fuß auf, so weit ist das bestimmt gar nicht mehr.
Das Lavafeld, das ich zunächst durchwanderte, war von bizarrer Schönheit. Teilweise mit Büschen und Sträuchern überwuchert, teilweise mit feinem weißen Treibsand aufgefüllt und teilweise blanke scharfkantige Felsen und große Krater von eingestürtzten Höhlen. Vor mir sah ich als klares Ziel die Nordflanke des Hvannfell, mit 671 Metern eine deutlich höhere Erhebung als sie das zerklüftete Lavafeld um mich zu bieten hatte. Außerdem sah ich nun den Reitertrupp, der gerade um diesen Berg herumritt. Das spornte mich an, aber zu Pferde kamen sie deutlich schneller voran als ich zu Fuß und so waren die schon längst hinter allen Bergen als ich gerade an deren Fuß ankam. Und dort fand ich auch die "Piste" wieder, die man wohl wirklich nur noch als Reitweg nutzen kann, so verfallen und überwuchert wie sie ist. Aber auch ein sehr angenehmer Wanderweg.
Je weiter ich um den Hvannfell herumkam um so mehr veränderte sich das Lavafeld. Statt der zerklüfteten Brockenlava die ich vorhin durchwandert hatte, war es nun eher flach und mit den typischen dicken Strickfäden durchzogen, die beim Abkühlen von dünnflüssiger Lava entstehen. Aha, von dem Lavafeld hatte die Tourenbeschreibung also gesprochen. Ein ganzes Stück vor mir, etwa eine halbe Stunde Fußmarsch schätzungsweise, ragte der nächste Berg auf, Búrfell. Und dorthin hoppelten die vereinzelten rot und gelb leuchtenden Jacken des Reitertrupps, den ich in der Ferne wieder entdeckte. Bald konnte ich nur noch ihre Spuren sehen, sie selbst waren irgendwo von der Landschaft verschluckt. Aber abgesehen von den Spuren fand ich noch ein paar "Wegweiser", denen die Spuren recht genau folgten. Gelbe Pfeile auf ein paar Steine gemalt. Man hält die leicht für Flechten, wenn man nicht genau weiß wonach man suchen muss oder die Zeit und Langsamkeit eines Fußgängers hat.
Also war ich einigermaßen sicher zu wissen, wo die Höhlen von Lofthellir zu finden sind. Allerdings war das für mich heute nicht mehr in Reichweite. Ich musste ja noch zurück zu meinem Zelt. Und außerdem hatte ich sowieso keine Lampe dabei, mit der ich die Höhlen erkunden hätte können. Also beschloß ich umzudrehen, trotz allem gut gelaunt nach diesem erfolglosen aber wunderschönen sonnigen Tag in der abwechlungsreichen Landschaft rund um mich. Ich hatte Bäume (also großgeratene Sträucher), grüne Weiden, schwarze Lavafelder, weißen Sand. Fast alles was Island zu bieten hat auf sehr wenig Raum zusammengefasst.
Der Rückweg durch das Lavafeld wurde fast noch ein wenig spannend. Immer wieder mußte ich mir einen anderen Weg zwischen den schroffen Einschnitten und Felsen suchen. Irgendwann stieß ich aber nicht nur auf meine eigenen Spuren im Sand, sondern auch die eines einsamen Wanderers, der vor mir hier unterwegs war. Und denen konnte ich leicht folgen, zurück zu meinem Fahrrad, das natürlich immer noch genau so dalag, wie ich es zurückgelassen hatte. So machte ich mich wieder auf zurück nach Reykjahlíð und zu meinem Zelt.
Als ich am Zeltplatz ankam, waren neben mir zwei neue altbekannte Zelte aufgebaut. Das globebike-Team hatte den Weg hierher gefunden, und als sie mein Zelt entdeckt hatten, haben sie sich dazu gesellt. Aber ehe ich mich vesah waren sie auch schon wieder in alle Himmelsrichtungen verstreut, und so machte ich mich allein zum Freibad auf um das Entspannen nachzuholen, für das ich gestern zu spät dran war. Es hatten sich wieder viele Touristen ins Bad verirrt und so hörte man wieder viele vertraute und unbekannte Sprachen bei den Poolgesprächen.
Aber ich war bald müde und brach wieder auf "nach Hause". Nach dem Abendessen ging ich recht bald schlafen. Morgen musste ich mich wieder bei allen, die mich anrufen wollen könnten, abmelden. Es ging auf Richtung Hochland, in einsamere Gefilde weit weg von dem bunten Treiben, das rund um mich wiedermal herrschte.
Bilder der Tages:

11. August 2003

Am nächsten Morgen hab ich also nochmal zu Hause in Deutschland angerufen, mich vom globebike-Team nebenan verabschiedet und zusammengepackt. Und ich war nochmal einkaufen und Tanken, 30 ISK für meinen Benzinkocher, mit Karte bezahlt, macht sich gut am Kontoauszug. Es war ein wenig zugezogen über Nacht, aber ich vermutete, das würde sich recht bald wieder lichten, denn der Südwind blies schon kräftig. Deswegen entschied ich mich auch wieder für die kurze Radelhose.
Die ersten paar Meter fielen mir wie üblich ein wenig schwer, noch dazu ging es hinter dem Kieselgurkraftwerk von Reykjahlíð gleich auf einen kleinen aber steilen Pass hinauf. Oben am Parkplatz mit der schönen Aussicht folgte also gleich die erste Pause des Tages. Und während ich da stand und einen Blick zurück über Dampfschwaden, Kieselgurkraftwerk, See und Vindbelgjarfjall warf, kam auch schon der erste Touristenbus des Tages. Die Insassen, auch Deutsche, liefen zunächst ein wenig ziellos umher und machten alle einen Bogen um mich herum. Schließlich kam aber doch einer von denen auf mich zu und sprach mich an, mit "Sie" statt dem an Zeltplätzen und anderswo üblichen "Du". Bald wurden die anderen auf mich aufmerksam und ich war umzingelt. Immerhin, der mutige Sprecher erzählte er wäre schon zigmal in Island gewesen und hätte auch Freunde in Akureyri, die er besuchen fahren würde "wenn das hier rum ist" und und und. Warum er trotz seiner offenkundlicher Erfahrung nicht auf eigene Faust das Land erkundete, wundert mich ehrlichgesagt noch heute, aber allzubald schon wurde die Reisegruppe wieder eingeladen und im Bus verstaut und es ging weiter.
Auf der anderen Seite des kleinen Passes kam ich sogleich an die Abzweigung zu "den heißen Quellen am Námafjall", Hverarönd, viele andere Namen hab ich auch schon gehört. Ich beschloß jedenfalls nach keinen 5 Kilometern Tagesleistung schon die zweite Pause zu machen. Genaugenommen hatte ich diesen Touristenmagnet bisher erst einmal bei meinem ersten Mývatnbesuch gesehen und seither andere Flecken rund um den See bevorzugt. Aber wenn mich schon die Route hier vorbeiführte, könnte ich auch artig ein paar Bilder schiessen und ein wenig Schwefelgeruch und Dampfschwaden bestaunen. Und zuschauen wie eine Mietwagenbesatzung nach der anderen mein am Parkplatz abgetelltes Gespann besichtigte.
Den Abstecher auf der anderen Seite in Richtung Krafla sparte ich mir aber heute. Während meines Aufenthaltes in Akureyri würde ich bestimmt noch das eine oder andere Mal in der Nebensaison Zeit haben für diese Sehenswürdigkeit. Stattdessen machte ich mich endlich auf, ein paar Kilometer hinter mich zu bringen. Die Ringstraße führt vom Mývatn geradewegs nach Osten. Rechts hatte ich das Lavafeld Búrfellshraun und konnte an dessen Südende genau die Berge ausmachen, bei denen ich gestern herumgewandert war. Links von mir lagen einige flache Hügel mit grünen Schafsweiden an den Hängen und unbekannte Weiten dahinter. Und direkt neben der Straße fielen mir auch bald die Steinhaufen auf, die in regelmäßigen Abständen die alten Wege markierten. Anderen Geschichten zufolge wurden sie auch nachträglich von einigen Bauarbeitern zum Spaß errichtet.
Das Wetter wurde, wie erwartet, immer besser und sonniger, der Südwind störte mich noch nicht so sehr, noch kam er von der Seite. Und so kam ich bald an die Abzweigung der F862, der Piste am westlichen Ufer der Jökulsá á Fjöllum Richtung Dettifoss und Ásbyrgi. Für heute ließ ich diese aber links liegen, auch dort würde ich von Akureyri aus sicher nochmal hinkommen. Und hinter dem nächsten Hügel sah ich auch die Nebelschwade des Dettifoss austeigen, also war dort wohl nach wie vor alles in Ordnung, wie im letzten Jahr.
Die Gegend wurde ein wenig staubiger, sandiger und trockener als es hinabging Richtung Jökulsá. Rechts der Straße konnte ich bald auch den Ringkrater Hrossaborg erkennen. Von dort zweigte die F88 Öskjuleið Richtung Herðubreið, Askja und Sandwüste ab. Das Warnschild sprach von 268km ohne Tankstelle, von Zelten verboten und von Naturschutzgebiet. Aber auch diese Piste ließ ich vorerst in Ruhe. Vielleicht würde ich in etwa zwei Wochen dort wieder herauskommen. Als ich diesen Weg letztes Jahr probiert hatte, wurde das Wetter dermaßen kalt, windig und verregnet, daß ich nach 10km wieder umgedreht hatte.
Für heute ging es weiter auf der Ringstraße. Neben mir im Sand konnte ich schon eine ganze Weile Hufspuren verfolgen und wunderte mich mehrmals, ob das vielleicht meine Reitergruppe vom Vortag war. Aber bei der Brücke über die Jökulsá verloren sich die Spuren, keine Ahnung auf welcher Flusseite sie weitergeritten waren. Unter der Brücke tosten die graubraunen Wassermassen, staubiges Schmelzwasser von den Gletschern, die Sandwüsten am Flußufer anschwemmten anstatt grüne Oasen zu erschaffen. Auch der wechselnde Wasserstand zwischen Sommer und Winter macht es Vegetation schwer, sich zu halten.
Auf der anderen Flusseite, hinter der abenteuerlich kleinen Brücke, machte ich meine nächste kurze Pause. Mittlerweile war ich doch ganz ordentlich vorangekommen, seit dem Mývatn heute morgen. Aber die weitere Ringstraße würde eher nach Süden führen, also gegen den Wind. Das konnte also noch eine anstrengende Strecke werden bis heute Abend. Das merkte ich schon ziemlich bald, als ich weiter radelte auf den Anstieg am Biskupsöxl zu. Während ich mich dort mühsam vorwärtskämpfte kam mir ein Radlerpärchen entgegen. Die hatten ein dermaßenes Tempo und fröhliches Lächeln drauf, daß ich fast ein wenig neidisch wurde. Für einen Halt mit kurzem Plausch hatten sie aber keine Zeit.
Neben der Straße konnte ich einigen Staubfahnen zusehen, die der Wind über die abgelagerten Sandflächen jagte. Oben an dem kleinen Pass war der Boden aber schon wieder fest und grün bewachsen. Und hinter dem Pass Biskupsöxl lag ein kleines Tal in dem es sogar wieder verstreute Gehöfte gab. Dort hindurch führte auf meiner letzten Reise noch eines der letzten Stücke nicht-asphaltierte Ringstraße. Heute sah ich dort ein Baustellenschild und ahnte Schlimmes. Und tatsächlich mußte ich bald auf den groben, lockeren Kieseln fahren, die das typische Fundament für die spätere Asphaltdecke bilden. Ein mühseliges Vorwärtskommen, und so gab ich bald auf und schob stattdessen. Das gesamte Víðidalur ging es auf diese Weise schleppend vorwärts. Und unterwegs kam mir der nächste Radler entgegen, ebenfalls schiebend und über die Baustelle fluchend. Naja, ein angenehmer Grund für ein Päuschen mit Schwätzen, genau auf halbem Weg durch die Baustelle, wie sich herausstellte.
Irgendwann wurde der Straßenbelag wieder befahrbarer und so kam ich durch die Vegaskarð ins Tal Möðrudalur. Und dort bereute ich es dann, in kurzer Hose unterwegs zu sein. Bisher war der Himmel noch den ganzen Tag blau und sonnig gewesen, jetzt kamen ein paar Wolken auf. Zusammen mit dem Gegenwind wurde mir fast richtig kalt.
Aber an der Weggabelung der alten Ringstraße und jetzigen 901 mit der neuen Ringstraße 1 und ehemaligen Nummer 85 hatte ich die Baustelle endgültig hinter mir und endlich wieder eine gute feste Piste unter mir. Das gab mir mindestens genausoviel Hoffnung wie das Schild "Fjallakaffi Möðrudalur, 10km". Es dauerte trotzdem noch eine ganze Weile bis dorthin und die Wolken wurden immer dunkler. Aber schließlich und endlich kam ich in dem einsamen Ort an, meinem heutigen Tagesziel. Und das keinen Augenblick zu früh, denn es begann gerade ein wenig zu tröpfeln, als ich mein Fahrrad im Windschatten des Fjallakaffi abstellte.
Neben mir stand schon ein Rad, mit einer Flagge "Helvetiis nochirgendwas", also trieb sich hier irgendwo ein Schweizer herum. Ich musste nicht lange suchen, er kam gerade in dem Moment aus dem Kaffee heraus und wolle weiterfahren. Angesichts des Wetters und des neuen Gesprächspartners ließ er das aber bleiben und wir schwatzten schier ewig bei heissem Kaffee. Das tat richtig gut nach dem kalten Gegenwind. Der Schweizer musste in zweieinhalb Tagen in Seyðisfjörður sein, dann ging seine Fähre zurück in die Heimat. Er spielte mit dem Gedanken, für heute trotzdem hierzubleiben. Den ganzen Nachmittag lang kam hier immer wieder irgendein Radler vorbei und immer wieder wurde er dann beim Kaffee festgehalten, so daß er schon eine Menge Zeit vertrödelt hatte. Aber als der Regen nach einer halben Stunde nachließ und schließlich ganz verschwand, machte er sich doch noch auf, wenigstens ein paar Kilometer noch und dann irgendwo wild Zelten.
Ich hatte genug für heute, nur noch die hundert Meter zum Zeltplatz legte ich zurück. Ich suchte ein wenig nach einem angenehm windstillen Plätzchen, aber nach Süden hin war alles offen. Sei's drum, ein kurzer Besuch in dem kleinen Kirchlein, dann wollte ich noch ein wenig wandern gehen. Das Gästebuch in der Kirche hatte mindestens schon einmal meinen Namen drinnenstehen, aber trotz intensivem Blättern fand ich den nicht. Mittlerweile hab ich nochmal in meinen alten Reiseaufzeichnungen geblättert und herausgefunden, daß das wohl auch ein 11.8. gewesen sein muss. Also steh ich jetzt zwei Jahre hintereinander am selben Tag dort drinnen.
Die Regenwolken waren im übrigen längst wieder über alle Berge, es wurde noch recht gutes Wetter mit ner schönen Sicht auf Herðubreið. Ich machte mich also auf über ein paar kleine Bäche, über Heide, Gras und kleine sandige Flächen "Richtung Herðubreið", vielleicht auf einen kleinen Hügel und die Aussicht genießen. Alles in allem eine nette aber kurze Wanderung, denn die teilweise doch recht breiten Bäche und die einsetzende Dämmerung bewegten mich zum Umdrehen. Also doch nichts mit Hügel und Aussicht. Dafür hab ich unterwegs noch massenweise Beeren gepflückt, die es wirklich in Hülle und Fülle gab. Als Nachtisch für mein fast alltäglichs Spaghetti-Abendessen.
Im Zelt dann absolute Ruhe, nur ein paar wenige andere Gäste am Platz klimperten mit Geschirr und knisterten mit Plastiktüten. Noch ein einzigartiger Sonnenuntergang mit viel Rot, wie jeden Tag, dann eine sehr ruhige und erholsame Nachtruhe.
Bilder der Tages:

12. August 2003


Der nächste Morgen fing gleich wieder mit viel Sonne, blauem Himmel und ohne Wolken an. Na das kann ja wiedermal nur noch schlechter werden. Früh schon hab ich meine Sachen gepackt und war um 9 Uhr abfahrbereit. Es hat seine Vorteile, wenn man abends niemanden zum lange Aufbleiben und Plaudern hat, sondern sich früh schlafen legt. In absoluter Ruhe und Einsamkeit ging es dann los, weiter auf der 901 Richtung Osten und auf den Möðrudalsfjallgarður zu, die Bergkette am Ostrand des Möðrudalur.
Aber bevor ich richtig in den Bergen verschwand und nichts als schroffe Gipfel und Täler um mich hatte, genoß ich noch ausgiebigst den Rundumblick auf das Möðrudalur und auf Herðubreið. Sogar den Gletscher und die Kverkfjöll konnte man erahnen. Und durch die klare Luft konnte ich in schier endloser Ferne auf der F88 zwei vereinzelte Autos Richtung Hochland fahren sehen, die Sonne spiegelte sich irgendwo auf ihnen. Eine traumhafte Rundumsicht die ich heute für mich ganz alleine geniessen konnte.
Aber dann wieder die andere Seite von Radeln in Island, eine ordentliche Steigung auf den ersten Pass hinauf. Mit ein wenig Geduld kam ich aber problemlos hinauf, da hatte ich schon andere Berge erlebt auf meiner Tour. Oben eine kleine Pause am Steinhaufen, und da kam auch schon der erste Touristenbus vorbei, Franzosen. Sie waren diesmal recht zutraulich und zeigten sich beeindruckt und fragten, ob es denn nicht schwer sei, mit den ganzen Bergen und so. Natürlich nicht, als richtiger Islandradler ist sowas doch wohl selbstverständlich...
Mich wunderte es nicht schlecht, kaum war der erste Bus von dannen gezogen, spuckte schon der nächste seine Fracht aus. Als ich weiterfuhr sah ich am Horizont sogar schon die Staubwolken von zwei weiteren Bussen aufsteigen. Hier war ja ordentlich was los heute.
Hinter der ersten Bergkette, dem westlichen Möðrudalsfjallgarður, folgte erst ein kurzes sandiges Tal, deswegen auch die immensen Staubwolken der Busse, und dann die nächste Reihe, der östliche Möðrudalsfjallgarður. Beide Bergreihen sind als Kraterreihen entstanden, daher ihre Nord-Süd-Ausrichtung parallel zu den Plattengrenzen. Und meine Straße, wiedermal mit der schönen Steinreihe parallel nebenan, führten von Ost nach West, und dementsprechend über eine Bergkette nach der anderen und bald über den nächsten Pass. Aber auch den konnte ich problemlos überradeln, ist doch selbstverständlich, als Islandradler.
Dahinter lag endlich die recht flache Jökuldalsheiði, wieder eine deutlich grünere Gegend mit völlig anderem Charakter nach den steinigen, öden Bergen. Außerdem ging es insgesamt wohl länger und weiter bergab als ich heute schon bergauf geradelt war. Ein richtiges Tal also im Vergleich zu dem hochgelegenen Möðrudalur, und ein angenehmer Streckenabschnitt mit grüner Heide und klaren Bächen, wo man getrost auch mal wild Zelten einplanen könnte, wenn das Wetter denn passt, so wie es der Schweizer von gestern abend vorhatte.
Bald kamen hinter einer kleinen Anhöhe unzählige kleine Tümpel und eine Sumpflandschaft mit viel Wollgras in Sicht. Dort zweigte auch meine Piste ab, die 907, die in meiner Karte als F 907 bezeichnet ist. Als ich dort nach Süden abbog sah ich in der Ferne vor mir Regenwolken. Irgendwo hinter denen und ein paar Bergen vielleicht müßte der Snæfell aufragen, mein nächstes Etappenziel. Es sah so aus als würde ich heute zum ersten Mal seit langem wieder ein wenig naß werden.
Aber vorher hatte ich noch eine Weile Sonnenschein und eine idyllische grüne Landschaft um mich. Schon wenige Kilometer nach der Abzweigung sah ich den Sænautavatn vor mir und an dessen Südufer die Hütten Sænautasel. Eine perfekte Idylle, ich konnte nicht wiederstehen, hier eine Pause einzulegen. Am Seeufer waren zwar ein paar Fliegen unterwegs, aber ich genoß es trotzdem dort ein wenig zu sitzen, am grünen Ufer und noch dazu im Sonnenschein. Auch eine isländische Familie war hier, mit einem gemieteten Tretboot hatte ich sie vorhin herumpaddeln sehen. Jetzt saßen sie in einer urgemütlichen Grassodenhütte, einem kleinen Kaffee. Ich gesellte mich dazu, es gab ohnehin gerade Pönnukökur með rjómi, leckere süße Pfannkuchen. Meine Pause wurde glatt noch ein wenig länger...
Bald zogen die Isländer aber weiter und auch ich machte mich wieder auf den Weg. Die Regenwolken waren noch nicht nähergekommen, aber abgeregnet hatten sie sich auch noch lange nicht. Und während ich über die kleinen Hügel und an einer Bergflanke entlangradelte, über ein paar Brücken, keine Bäche, da fing es irgendwann mit leichtem Tröpfeln an. Und ganz offensichtlich wurde das nicht weniger. Also mußte ich mein Regenzeug hervorkramen. Ich hatte schon fast vergessen, wo ich das alles verstaut hatte. Kapuze aufsetzen und weiterradeln. Meine lange Radelhose hatte ich zum Glück gleich morgens angezogen, nachdem es mir gestern im Wind gar so kalt war.
Durch den Regen und die niedrig hängenden Wolken kam ich nach einer Weile zu einer Menge Steinmännchen, die neben dem Weg auf einer kleinen Anhöhe thronten. Und, wie erwartet markierten sie eine Kreuzung. Ich war auf die F910 gekommen, bei Regen und niedrigen Wolken, so wie ich diese Kreuzung vom letzten Jahr noch kannte. Bloß war diesmal kein Snæfell in Sicht, der genau ein Jahr und einen Tag zuvor im letzten Abendlicht rot hier herübergeleuchtet hatte.
Ich wandte mich nicht nach Westen, dem neuen Schild Richtung Kárahnjúkur folgend, sondern nach Brú í Jökladalur. Dorthin rollte ich jetzt fast schon unangenehm schnell hinunter, ins Tal der Jökulsá í Dal, oder Jökulsá á Brú oder einfach Jöklá, auch hier gibt es wieder viele Namen. Und während ich hinunterrollte, merkte ich, daß irgendetwas an meiner Vorderbremse schleifte und ungewohnt Klang, wo ich doch sonst jedes Geräusch an meinem Rad sofort erkenne. Auf Anhalten hatte ich aber erst ganz unten Lust, nach dem Ausrollen vom steilen Hang. Eine Untersuchung zeigte mir, daß wohl irgend ein Teil des Bremsklotzes eine unangenehme Bremsspur in die Felgenflanke geschliffen hatte. Die Felge sah zwar noch nicht wirklich mitgenommen aus, aber ich sollte die Vorderbremse wohl nur noch mäßig einsetzen und das bei Gelegenheit mal in Ordnung bringen. Genauer untersuchen wollte ich das im Moment grade nicht, das abgeriebene Pulver des Bremsbelags, die feine Metalspäne, der Schlamm und der Regen waren eine unangenehme Mischung. Vielleicht beim nächsten Zeltplatz oder so. Beim Weiterfahren phantasierte ich dann eifrig, war der Bremsklotz abgenutzt, obwohl er doch noch so neu ausgesehen hatte, daß ich keinen Ersatz eingepackt hatte, oder war da nur irgendwo ein Stein oder was verklemmt oder was...
Naja, Trotzdem musste ich noch ein wenig weiter, das letzte Mal hatte ich hier wild gezeltet und am nächsten Morgen vor lauter Regen die Tour zum Snæfell aufgegeben. Diesmal wollte ich nicht wieder die einfache Variante im Tal entlang nach Egilsstaðir nehmen. Also radelte ich munter los, über die Brücke, dann vorbei an noch einer Abzweigung Richtung Kárahnjúkur, vorbei am Hof Aðalból, der zwar als Tankstelle mit Laden eingezeichnet ist aber definitiv einen völlig anderen Eindruck macht als erwartet.
Hinter Aðalból war die erste richtige Furt seit langem zu überwinden. Der Fluß Hrafnkel, der dem ganzen Hrafnkelsdalur den Namen gab, oder auch andersrum. In der alten Sagazeit gab es hier wohl viele Höfe und viele interessante Geschichten wie die Hrafnkelssaga spielten sich hier ab. Heute stand da ein in Regenzeug verpackter Radler vor einer recht ordentlichen Furt und hatte keine Lust darauf, noch nässer zu werden. Aber es hilft ja alles nichts, Anhänger ab, Fahrrad rübertragen, zurück durchs Wasser und Anhänger rübertragen. Ist doch alles halb so wild. Kurz nach dieser Aktion kam auch zum ersten Mal seit langem wieder ein Auto.
Die Piste, schon seit der Baustelle im Víðidalur im übrigen durchgehend nicht asphaltiert, aber meist sehr angenehm zu fahren, wurde hier am Ende der Zivilisation wieder deutlich steiniger und holpriger. Aber ich kam immer noch recht gut vorwärts, und sah schon bald die nächste Problemstelle vor mir aufragen. Die Piste führte an der Talwand berauf, ins Hochland. Und das heißt in Island nur selten "sie schlängelte sich in Serpentinen hinauf". Beinahe in schnurgerader Schussfahrt, vermutlich im Durchschnitt mehr als 30% Steigung, an einigen Stellen deutlich darüber. Nicht sehr angenehm also. Hier meine persönliche Warnung an alle, die da langfahren wollen: nehmt die andere Richtung. Nicht hinauf. Ich hab volle anderthalb Stunden hinaufgeschoben, mit vielen vielen Pausen, und war völlig erschöpft und durchgeschwitzt dort oben.
Immerhin, während dieser Tortur ließ der Regen nach. Da ich aber keine Möglichkeit sah, mein Regenzeug wegzupacken ohne daß mein Rad den halben Berg wieder hinuntergepurzelt wäre, musste ich es anbehalten. Im übrigen kam auch kein einziges Auto vorbei, die ganze Zeit. Erst als ich ganz oben ein letztes verdientes Päuschen machte, da waren gleich wieder zwei oder drei unterwegs und die Insassen winkten anerkennend. Und es war ein ungewöhnliches Gefühl, als ich weiterradelte, ungefähr so wie nach 3 Wochen ohne Rad saß ich auf meinem Gefährt und bugsierte es zwischen den Steinen hindurch.
Vor mir sah ich dafür als Belohnung den Snæfell, nah wie nie zuvor, mit ein paar Wolken, ein wenig rotem Licht, dunkelblauem Abendhimmel dazwischen. Ein schöner Anblick. Bloß leider wurde es eben langsam dämmrig und ich hatte noch ein Stückchen vor mir bis ich ganz dort war, beim Snæfell und der Hütte. Diese Steigung hat nicht nur Kraft, sondern auch Zeit gekostet.
Die weitere Strecke war ganz gut zu fahren, steinig zwar, aber da kann man ja drum herumfahren. Bald kam wieder eine Furt, die recht beeindruckend aussah. Über die Hölkná ging es diesmal. Ich hatte absolut nicht die mindeste Lust auf Anhänger abnehmen und Furten in drei Zügen, also hab ich einfach so durchgeschoben. Auch das ging recht gut, die Packtasche am Hänger ist eben wirklich wasserdicht. Meine Kette mußte aber wiedermal ein wenig leiden.
Irgendwann kam ich dann wieder unvermittelt in die Zivilisation. Die neue Piste zum Kárahnjúkur Staudamm wurde eifrig gebaut. LKWs, Bagger, Raupen, eine kleine Containersiedlung. Aber mein Weg führte geradewegs über diese neue Trasse, weiter in Richtung Süden und Snæfell, also hatte ich die unwirkliche Baustelle bald wieder weit hinter mir. Der Snæfell ragte aber immernoch unübersehbar vor mir auf, zwischen dichten Wolken und immer dichter werdenden Schatten. Aber meine Piste und auch den einzigen Wegweiser an dem ich noch vorbeikam konnte ich problemlos erkennen.
Laut Karte mußte ich noch einen Fluß furten. Als ich dann schon eine ganze Weile an diesem Fluss entlanggeradelt war, machte ich mir fast schon Sorgen. Aber als ich bei einem immens großen Steinhaufen vorbeikam, löste sich das Rätsel. Die Furt war an einer Stelle wo vier kleine Seitenarme zusammenfließen, jeder der Vier Seitenarme war deutlich einfacher zu durchschieben als die Summe der Einzelteile.
Die öde Steinlandschaft verschwand zusehends in der Dunkelheit um mich herum. Mittlerweile ging es schon auf 10 und 11 Uhr abends zu, da wird es im August auch in Island ein wenig finster. Schließlich kam ich zu einer letzten Furt, diesmal über eine Grjótá. Auch hier problemloses durchkommen, auch wenn die Furt sehr breit und beeindruckend aussieht. Wind und Regen ignorierte ich schon längst, bald würde ich irgendwo mein Zelt aufbauen und endlich mein Abendessen kochen. Egal ob bei der Hütte oder einen Hügel davor. Aber mein Ziel lag schon hinter dem nächsten Hügel.
Gegen 11 Uhr Abends kam ich dann endlich an. Der Hüttenwart war noch auf den Beinen, er hatte Besuch von ein paar Isländerinnen und ein wenig Brennivín und er sprach fließend deutsch und alle sagten "we are deeply impressed", als ich erzählte, ich sei heute von Möðrudalur hierher gekommen. Bevor ich all diese Rätsel lösen konnte verkroch ich mich ins Zelt, warf draußen den Kocher an, und setzte mich ins Trockene. Während draußen meine Spaggethi fertig wurden richtete ich ich ein, der Abwasch nach der Mahlzeit konnte bis morgen warten, im Nu war ich eingeschlafen.
Bilder der Tages:

13. August 2003
Snæfell






Am nächsten Morgen sah es immer noch recht regnerisch aus, dicke Wolken, gelegentliche Schauer, ungemütlich kalt. Eigentlich war ich den beschwerlichen Weg hierher geradelt, um ein wenig zu wandern. Ich wollte in die Vesturöræfi, ein üppiges Grasland zwischen dem Snæfell und der Jökulsá í Dal, das durch das Staudammprojekt teilweise verschwinden würde. In einigen Karten, eine ironischerweise von der isländischen Energiebehörde Landsvirkjun herausgegeben, war eine kleine Hütte Sauðakofi eingezeichnet, zu der es irgendeine Art von Piste zu geben schien.
Soviel zu meinem Plan, den Tag begann ich erstmal mit einem Besuch in der Hütte, wo noch eine Wandergruppe eingekehrt war. Auch die hatten keine rechte Lust bei dem Wetter und warteten auf eine Besserung. Somit hatte ich bei einigen Tassen heißem Tee noch ein paar nette Gesprächsgelegenheiten, auch mit dem Hüttenwart. Der war tatsächlich aus Deutschland, lebte schon ein paar Jahre in Island und war diesen Sommer offensichtlich zum ersten Mal in der Hütte tätig. Er selbst war noch nie in der Vesturoræfi, konnte mir also auch nicht allzuviele Tips geben bezüglich dieser Piste.
Naja, recht bald wurde mir das ewige Warten zu öde, draußen regnete es schon nicht mehr wirklich, nur noch dicke Wolken zogen übers Land. Und das von Süden. Der Wind hatte vom zwischenzeitlichen Osten gestern nachmittag mal wieder ein wenig gedreht. Mit etwas Glück klart das bald auf, meinte auch die Führerin der Wandertruppe, die heute noch den Snæfell besteigen wollten. Also machte auch ich mich startklar, umdrehen könnte ich immer noch.
Ich zog meine dicken Wanderstiefel an, packte ein paar Kekse in den Rucksack und los ging es, mit Fahrrad aber ohne dem ganzen übrigen Gepäck versteht sich. Beinahe hätte ich mit dem "übrigen Gepäck" auch meine Furtsandalen vergessen, aber die könnten heute noch wichtig werden.
Die Abzweigung meiner Piste hatte ich gestern schon in der Dunkelheit entdeckt, etwa 100 Meter bevor ich zur Hütte gekommen war. Heute radelte ich diesen reichlich steinigen Weg also entlang. Aber das ging eigentlich recht gut, die vielen Steine waren alle recht groß und man konnte wiedermal problemlos drumherum fahren, besonders wenn man kein Gepäck hatte. Ein paar kleine Bäche waren auch zu durchqueren, problemlos und noch ohne Watsandalen und nasse Füße machbar.
Den Karten zufolge führte genau eine Piste über einen kleinen Hügelzug und auf der anderen Seite weiter zu einem Flüßchen Sauðá, das ich überqueren musste. Von einer zweiten Piste und einer Wegkreuzung, wie ich sie jetzt am Hang des Hügelzuges vor mir hatte, war nirgends die Rede gewesen. Bei einer kurzen Besinnungspause merkte ich erstmal, daß das Wetter dabei war, sich deutlich zu bessern. Im Süden hingen noch ein paar Wolken, aber hinter mir hatte ich schon ein paar Flecken blauen Himmel und ein wenig Sonnenschein am Snæfell. Weiterhin merkte ich, daß die Piste geradeaus zwar bergab und in die richtigere Richtung führte, aber auch in einem deutlich schlechteren Zustand war und vermutete, daß sie wohl irgendwo im Nichts enden würde. Also entschied ich mich erstmal für den steilen Bergauf-Weg.
Dabei hatte ich eine immer bessere Aussicht auf die Wiesen am Fuß des Snæfell, aber was hinter dem Hügelzug auf mich wartete, konnte ich immer noch nicht sehen. Außerdem blieb die Vegetation hinter und unter mir zurück, die Piste führte zusehends in eine ödere und steinigere Landschaft. Und die Piste teilte sich bald schon wieder. Geradeaus, diesmal nach Süden, ging es offensichtlich in ein weiteres Tal mit viel Wasser, kleinen Seen, und dahinter dem Gletscher Vatnajökull. Die Alternative nach Westen war eher meine Richtung, also arbeitete ich mich ein Stück weiter bergauf. Bald kam ich aber ans Ende der Piste, ein kleiner Parkplatz, der mit vielen Stöcken markiert war. Von hier aus ging es höchstens noch zu Fuß weiter.
Aber von hier aus hatte man auch eine hervorragende Aussicht auf die Vesturöræfi, die für mich so lange hinter den Hügeln verborgen war. Leider war das meiste zwar hinter Regenwolken verborgen, die sich am Nordrand des Vatnajökull abregneten, aber trotzdem konnte ich zwischendurch gelegentlich die markanten Kverkfjöll und den Herðubreið erkennen. Im Norden sah es dagegen schon richtig freundlich aus, hinter einer Reihe von Hügeln schien dort die Sonne. Und direkt zu meinen Füßen unter einem steilen Hang lag eine große grüne Ebene, durchzogen von unzähligen kleinen Bächen und Flüßen, Abflüße und Zuflüße für ebenfalls unzählige kleine und größere Seen. Irgendwo in der Ferne ging es bergab ins eigentliche Tal der Jökulsá, aber den Fluß selber konnte man nicht sehen. Vielleicht in ein paar Jahren, wenn sich dort der Stausee Hálslón ausbreitet...
Außerdem konnte ich eine Piste erkennen. Offensichtlich der Weg, den ich bei der ersten Gabelung nicht genommen hatte. Also genoß ich noch ein wenig die Aussicht und stimmte mich in Gedanken schonmal darauf ein, umzukehren bis zur Abzweigung. Als ich wenig später dann auf der richtigen Piste unterwegs war merkte ich bald, daß diese zwar auf den ersten Blick weniger einladend aussah, hinter ein paar Kurven aber wieder besser wurde.
Auf der westlichen Seite der Hügelkette ging es jetzt also bergab, das Wetter sah mittlerweile auch dort schon deutlich freundlicher aus. Und bald kam ich in eine grasbewachsene und grüne Gegend, und die Piste änderte deutlich ihren Charakter. Hatte ich oben in den Steinen noch lockeren Sand und eben Steine unter den Reifen, führte die Piste jetzt über richtige Erde, teilweise auch über Gras. Die Fahrspur war teilweise auch recht tief eingesunken ins Erdreich, mit einem breiten Gefährt ist das sicherlich eine Schaukeltortur, mit meinem Rad konnte ich mir immer die beste Spur heraussuchen und dort bequem entlangfahren.
So kam ich bestens vorwärts und in die Vesturöræfi hinein. Und ich erreichte bald wieder eine Gabelung. Ich nahm die rechte Möglichkeit, der Weg führte bald an einem kleinen Bach entlang, teilweise hindurch, machte aber wieder eine Linkskurve und ich kam somit zur anderen Alternative zurück. Und auf diesem vereinten Weg kam ich bald an einen Fluß mit Furt. Das musste wohl die Sauðá sein, der größte der vielen Bäche hier. Und der tiefste. Und nicht der einladendste zum Furten. Auch kein Problem, wenn mans recht besah, aber erstmal machte ich eine ausgiebige Pause im Gras am Ufer und knabberte ein paar Kekse.
Es war mittlerweile richtig sonnig und warm geworden, einige Wolken hielten sich zwar noch, aber bestimmt auch nicht mehr lange. Und so saß ich eine geraume Weile einfach nur im Gras und hörte dem Geplätscher zu. Entspannen, mitten im Nirgendwo, vermutlich heute als einziger Mensch der hier vorbeikam. Ruhe rund um mich.
Ich überlegte, daß es wohl das sinnvolslte wäre, mein Fahrrad hierzulassen, den Fluß zu durchwaten und den Rest bis zur Hütte Sauðakofi zu wandern. Bei dem herrlichen Wetter, das während der Pause natürlich immer besser wurde, war Umkehren und im Zelt oder der Hütte sitzen keine wirkliche Alternative. Gesagt getan, bald stand ich am anderen Ufer, ließ meine Füße ein wenig trocknen und waderte entlang der Piste nach Osten. Mittlerweile hatte ich auch eine hervorragende Rundumsicht, den Snæfell hinter mir, scheinbar in greiffbarer Nähe vor mir die Kverkfjöll, irgendwo zwischen ein paar Hügeln ragte auch der Gipfel des Herðubreið auf und dazwischen fast keine Wolken am blauen Himmel. Was kann man sich mehr wünschen.
Als erster Wunsch fiele vielleicht ein, nicht schon wieder eine Furt. Die Piste überquerte schon wieder die Sauðá, die hier eine langgezogene Schleife mit dem Namen Sauðárkrókur bildet. Die Furt war ein wenig tiefer und breiter diesmal, aber trotzdem nicht wirklich schwierig zu durchqueren. Ohne Fahrrad und Gepäck eigentlich in erster Linie eine angenehme Abkühlung für die Füße. Und der Bach gibt ein schöne Fotomotiv ab, mit der arktischen Weideröschen zwischen den Steinen am Ufer und den eindrucksvollen Bergen am Horizont dahinter.
Die Piste war am anderen Ufer ein wenig schwer wiederzufinden. Am Bach waren wie gesagt unzählige Steine, wo Spuren sich nicht so gut halten. Aber ich fand meinen Weg und war bald mehr und mehr in Richtung Süden unterwegs, zur Sauðakofi. Abwechseld wanderte ich über einige grasige Abschnitte und andere mit vielen Steinen. So kam ich gut voran, hielt ständig Ausschau nach einer Abzweigung nach rechts von mir, zu einer Hütte Lindur die dort irgendwo sein müßte. Angeblich auch mit einer heißen Quelle, aber die ist nur auf manchen Karten eingezeichnet. Wahrscheinlich kommt man von Norden einfacher dorthin, von der neuen Straße fürs Kraftwerk, hier ich fand keine Abzweigung.
Bald kam ich zu einer kleinen Anhöhe. Und von einem besonders großen Findling dort hatte ich wieder eine hervorragende Aussicht, diesmal in erster Linie in Richtung Süden. Dort breitete sich der Brúarjökull aus, ein Teil des Vatnajökull. Links davon einige Berge rund um den Snæfell, rechts ebenfalls einige markante Berge, die Kverkfjöll. Ein toller Fleck für ein Panorama, dachte ich und zückte die Kamera.
Außerdem konnte ich jetzt schon die Sauðakofi ausmachen, die nicht mehr allzuweit entfernt schien. Also machte ich mich auf und folgte weiterhin der Piste. Mittlwerweile kreuzten immer wieder Reiterspuren meinen Weg, die scheinbar den schnurgeraden Weg auf die Hütten zu nahmen, während die Fahrpiste sich ein wenig hin- und herschlängelte. Trotzdem führte natürlich beides an mein Ziel.
Die Hütten machten einen etwas verlassenen und verfallenen Eindruck. Sicherlich kommen nur sehr selten Leute hierher, meistens Reitertruppen. Ich warf einen kurzen Blick in den halbverfallenen Pferdestall, öffnete dann die Tür zur eigentlichen Hütte und blätterte im allgegenwärtigen Gästebuch. Offiziell stand da, man sollte Thermometer und Barometer außen ablesen und eintragen, leider war das Ablesen bei der abgesplitterten Farbe aber gar nicht so einfach, und so kam es nur zu einem normalen Eintrag. Viele Besucher hier äußerten sich zu dem Staudammprojekt. Kein Wunder, verschwindet die Hütte doch zumindest teilweise bald im Stausee. Abgesehen davon war auffällig, wie wenig Leute an dieser einsamen Hütte vorbeigekommen waren, nur alle paar Tage gab es ein Eintrag.
Es wurde langsam aber sicher spät, also blieb ich nicht allzulange und machte mich dann auf den Heimweg. Auf meinem Rückweg folgte ich dem schnurgeraden Reitweg, irgendwann rechtzeitig werd ich schon auf die Piste zurückfinden. Ungefähr bei meiner Panoramaanhöhe beispielsweise, den makanten Findling erkannte ich schon von weitem wieder. Und weil das Wetter mittlerweile noch besser geworden war, löschte ich die alten Panorama-Bilder wieder um das nochmal mit mehr Sonnenschein und Blau zu wiederholen. Danach marschierte ich weiter, der Ausflug heute hierher in die grüne Vesturöræfi bei Sonnenschein war eindeutig einer von der schönen Sorte, die noch lange in Erinnerung bleiben. Aber es sollte noch besser kommen.
Während ich so dahinwanderte erkannte ich mit mal zwischen ein paar Felsen links der Piste ein paar andere Lebewesen. Graubraun, gut getarnt zwischen den Steinen. Und mit vier Beinen. Und mit einem Geweih. Rentiere! Ein paar Herden dieser Tiere sollten vor vielen Jahren mal im östlichen Island angesiedelt werden und streifen jetzt wild durch die Landschaft. Und heute offensichtlich genau über meinen Weg. Nach einiger Zeit kamen hinter einigen Steinen mehr und mehr Tiere hervor. Am Ende schätzte ich das Knäuel von Leibern, Hälsen und Beinen auf etwas unter 50 Tiere. Und der Hügel hinter dem sie so plötzlich aufgetaucht waren, war etwa 100 Meter von mir entfernt, und das beunruhigte sie offensichtlich. Bald verfielen sie in einen kleinen Galopp, kreuzten meine Piste und liefen in Richtung Südsüdosten weiter. Auch wenn ich somit nicht viel von der kurzen Begegnung hatte, eine Rentierherde bekommt man wohl nicht allzubald wieder zu sehen in Island. Noch eine unvergessliche Begegnung also.
Mein weiterer Weg führte mich zurück ins Tal der Sauðá und zu den Furten. Auf die Furten hatte ich aber diesmal keine Lust, zweimal den selben Fluß überqueren muss ja nun wirklich nicht sein. Also wanderte ich stattdessen am Nordufer um die Halbinsel herum. Auch nicht schlecht, auch wenn es vielleicht ein wenig weniger angenehm zu Laufen war zwischen Moospolstern und niedrigem Beerengestrüpp als auf der ausgetretenen Piste.
Und so kam ich zurück zu meinem Fahrrad, das natürlich genau so dalag, wie ich es hingelegt hatte. Nach einer abermaligen ausgiebigen Pause im Ufergras radelte ich von dannen, langsam wurde ich hungrig und die Sonne würde auch bald anfangen, unterzugehen. Auf der angenehm zu fahrenden Piste konnte ich stellenweise noch meine Spuren vom Vormittag erkennen und einige recht frische Reiterspuren. Der Boden war ein wenig matschig, und so rutschte ich gelegentlich ein wenig aus, genau wie die Pferde vor mir. Bergauf war das schon ein wenig schwieriger als zuvor bergab. Und während ich so langsam hinauf radelte, erkannte ich in dem Matsch mit mal ein Metallstückchen. Was das wohl ist... Neugierig hob ich es auf und begutachte es. Ein Hufeisen! Ein recht kleines Hufeisen zwar, aber trotzdem, das Glück des Tages ist komplett!
Als ich endlich wieder zurück zur Weggabelung kam, beschloß ich, nochmal auf den Aussichtsberg Sauðahnjúkur hinaufzufahren. Oder zu wandern vielleicht. So viel Zeit hatte ich schon noch. Also legte ich das Rad abermals neben der Piste ins Geröll und wanderte los. Noch weiter aufwärts radeln mußte ja nun nicht wirklich sein, wenn es nur in eine Sackgasse geht. Oben am Parkplatz sah ich mittlerweile auch mal ein Auto, zum ersten mal seit ich von der Hütte am Snæfell aufgebrochen war. Die beiden Insassen waren direkt von dort losgefahren und kletterten jetzt ein wenig auf dem Berg herum. Als ich am Parkplatz ankam genoß ich einfach nur das Abendlicht. Mittlerweile waren sämtliche Regenwolken verschwunden und ein blauer Himmel spannte sich über Vatnajökull, Kverkfjöll, Vesturöræfi und Herðubreið, und die Sonne schien mir mitten ins Gesicht. Keine optimalen Bedingungen für eine neue, sonnigere Version des verregneten Panoramas von heute morgen, und so saß ich einfach nur eine Weile da und schaute über die Landschaft.
Schließlich machte ich mich aber doch auf die letzte Etappe zurück "nach Hause", unterwegs überholte mich natürlich der Jeep von grade eben, grußlos, wortlos, keine Ahnung, was die sich gedacht haben, als sie einen Radler auf diesen Pisten gesehen haben. Die letzten paar kleinen Bäche waren schnell überwunden und so kam ich also zurück zu meinem Zelt. Mittlerweile hatte ich neue Nachbarn, zwei schweizer Landrover mit Campingdach und Allerlei und ein kleines rotes Zelt. Das gehörte einer isländischen Familie, wie ich bald herausfand. Der Mann und die Tochter waren unterwegs auf den Gipfel des Snæfell, die Frau sprach fließend Deutsch und wartete in der Hütte auf ihre restliche Familie. Eine nette Gesprächspartnerin, und so bekam sie zu hören, was für einen wundervollen Tag ich heute hatte, und ich bekam zu hören, daß sie morgen zu den Eyrarbakkar wollen, einem berühmten Vogelbrutgebiet ein wenig südlich des Snæfell.
Beim Abendessen traf ich außerdem die Wandergruppe wieder, bekam ein wenig was von ihrem leckeren Chilli con Carne ab und sparte mir somit für heute das Kochen. Außerdem lernte ich noch meine schweizer Landrovernachbarn kennen, die wiedermal einen recht cowboymäßigen "und-auf-welchen-Gipfel-klettern-wir-heute"-Eindruck machten. Trotzdem, ein angenehmer Abend als Ausklang für einen wunderbaren Tag in der Vesturöræfi. Bevor ich schlafen ging, hängte ich noch mein Hufeisen unterm Innenzelt ans Gestänge, über den Eingang, wie sich das gehört.
Bilder der Tages:

14. August 2003

Der Himmel zog sich über Nacht wieder ein klein wenig zu und am nächsten Morgen blies ein kalter Südwind. Das kam mir nicht ganz ungelegen, denn für den heutigen Tag wollte ich nach Norden, Richtung Egilsstaðir. Aber mit dem Aufbruch konnte ich mir noch ein wenig Zeit lassen, dachte ich, und plauderte beim Packen noch ein wenig mit meinen isländischen Zeltnachbarn, die, wie sich herausstellte, allesamt fließend Deutsch sprachen. Als sich dann aber so langsam die ersten blauen Flecken zwischen den Wolken breitmachten, fuhr ich doch endlich los.
Ich erwartete eigentlich, daß die Wolkenlücken bald größer und größer würden und mir ein sonniger warmer Tag bevorstünde. Das wäre typisch für Island, erstmal ein wenig wolkig, dann ab Mittag aber warm. Nun radelte ich auf der Piste entlang, erst etwa eine Stunde bei vielen Steinen und den fünf kleinen Furten, die ich schon kannte, und es wurde zwar sonniger aber definitiv nicht warm. Das war ärgerlich, denn ich hatte wiedermal meine kurze Radhose an.
Leich durchgefroren kam ich so zur Kreuzung F909 mit F910, ab hier erwartete ich eine bessere Piste. Auf diese bessere Piste hätte ich aber gern verzichtet. Zum einen schon aus praktischen Gründen, die Straße war viel zu breit und ich kam mir ein wenig verloren vor. Außerdem war sie natürlich nicht umsonst so breit, sondern wurde regelmäßig von schweren LKW genutzt die scheinbar endlos hin- und herfuhren, mitten ins Nichts des Hochlandes. Als letzter Punkt störte mich an der neu gebauten Strecke, daß sie ausschließlich für das Staudammprojekt gebaut wurde. Um es kurz zu machen, auch wenn ich schnell vorwärtskam war mir das Autobahngefühl recht unheimlich.
Bald schon zweigte ich wieder ab, auf eine kleine Seitenpiste in Richtung Osten, nach Laugarfell. Dort sollte ich laut Karte bald einen kleinen und einen großen Wasserfall, eine heiße Quelle und eine Hütte finden. Und tatsächlich war der Abstecher nicht weit. Dafür ging es am Ende recht steil bergab und unten war wiedermal eine kleine Furt. Da ich aber schon die Hütten sehen konnte und keine Lust hatte, nachher wieder bergauf zu schieben und all das, stellte ich mal wieder das Rad ab und machte mich zu Fuß auf.
Unten bei den Hütten sah ich ein paar Jeeps herumstehen, aber die waren zunächst noch zu weit weg. Ich machte einen kleinen Bogen, abseits der eigentlichen Straße, um den versprochenen kleinen Wasserfall, Slæðufoss, zu besuchen. Als ich dann weitermarschierte brachen die Jeeps unter mir auf und fuhren von dannen. Auch gut, hab ich die Landschaft wieder für mich alleine. Auch den kleinen Bach zu überqueren war dann kein Problem, und so stand ich bald vor den Hütten. Dazwischen lagen überall riesige Kabelrollen herum, als sollte das hier einen Telefonanschluss geben. Einige der Hütten waren wohl Pferdestall und machten einen recht heruntergekommenen Eindruck. Aber in der Haupthütte fand ich noch ein Gästebuch zum reinschreiben und schmökern.
Die heiße Quelle war ein wenig abseits und schwerer zu finden. Es dampfte auch nicht so schön aus ihr, wie das oft üblich ist. Es dauerte also eine Weile, bis ich den schön hergerichteten kleinen Pool fand, mit gemauerten Steinen rundherum und einer Plane obendrauf. Er machte einen schön warmen Eindruck, und bei Gelegenheit muss ich da mal eine Tagesetappe ausklingen lassen.
Aber heute nicht. Heute wollte ich noch eine kurze Wanderung zu dem "großen Wasserfall" unternehmen, der auf der Karte als Kírkjufoss eingezeichnet ist. Ich konnte nur die ungefähre Richtung erahnen, Südosten, Pfad oder gar ein Hinweisschild gab es nicht. Das heißt, einen kleinen Pfad gab es schon, dem folgte ich eine Weile durch eine recht sumpfige Wiese, über einen kleinen Bach, aber dann hab ich die Spur irgendwie verloren. Also mußte ich auf eigene Faust weitermarschieren. Von dem Wasserfall sehen oder ahnen konnte ich lange Zeit nichts, denn vorher musste ich noch über einen kleinen Hügel hinüber.
Auf der anderen Seite sah ich das tief eingeschnittene Tal der Jökulsá í Fljótsdal, also schonmal den Fluss den ich suchte. Auch die Nebelfahne des Kírkjufoss konnte ich erahnen, meine Richtung war einigermaßen genau richtig. Nur machte ich jetzt trotzdem einen kleinen Bogen, denn auf dieser Seite des Hügels lag eine sumpfige Wiese, die zu durchqueren ich keine Lust hatte, mit meiner Radlermontur und ohne meine Wanderstiefel. So ganz gelang mir das nicht, also stand ich bald mit nassen Füßen am Rand der Schlucht, unter mir etwa 30 Meter senkrechter Felsen, vor mir einer der mächtigen Gletscherflüsse Islands, der etwa diese 30 Meter in zwei Stufen in die Tiefe stürtzt. In der Mitte des Wasserfalls stand eine kleine Felseninsel, so daß es insgesamt einen recht eindrucksvollen Anblick ergab. Von der anderen Seite hat man aber wohl einen besseren Blick.
Ausserdem wurde mir langsam kalt, mit meiner kurzen Radhose, dem kalten Südwind, den feinen Nebeltröpfchen überall. Also drehte ich bald um, hatte noch eine Weile kleine Stöckchen als Wegmarkierung, kreuzte wieder einen ausgetretenen Wanderpfad ohne Stöcke und überkletterte den Hügel und kam zurück zu den Hütten Laugarfell. Im Hot Pot wärmte ich meine Füße ein wenig auf, bevor ich wieder durch den kalten Bach musste. Mittlerweile war es wieder menschenleer rund um mich, daß etwa 3 Kilometer vor mir, den Berg hinauf, die Neubaustrecke zu den Kárahnjúkar von unzähligen LKW genutzt wurde, war kaum vorstellbar.
Trotzdem, als ich die kurze Stichstraße zurückgeradelt war und wieder auf die F910 Richtung Egilsstaðir einbog stellte sich unweigerlich wieder das Autobahngefühl ein, insbesondere weil ich mit dem Südwind im Rücken auch entsprechend zügig vorankam. Die Straße war noch nicht durchgehend asphaltiert, so hatte ich zunächst festen Sand mit Steinen unter mir. Bald kam ich an eine Baustelle, etwa einen halben Kilometer lang gröbere Steine, das Fundament für den späteren Asphalt. Als ich das hinter mir hatte, war ich dann tatsächlich mitten im Hochland auf Asphalt unterwegs, umgeben von nichts als öder Heidelandschaft, ein paar Seen und Findlingen. Ein eigenartiges Gefühl.
Ich machte bald eine kleine Pause an einem "Parkplatz", einer gesperrten Stichstraße zu einer Bauarbeitersiedlung. Dort hielt bereits ein norwegischer PKW, zwei ältere Damen standen daneben und lächelten ein wenig verwundert in die Landschaft, als wüßten sie nicht recht ob sie sich über die großartige Natur rundherum freuen sollten, oder sich nochmal überlegen, warum sie für ein bißchen karge Heidelandschaft nach Island gefahren sind. Sie waren gerade von der Norröna gekommen, die heute Morgen in Seyðisfjördur eine Fracht Touristen ausgespuckt hatte. Deswegen kamen mir in letzter Zeit wohl auch vermehrt große Jeeps, Campingmobile und alle sonst noch vorstellbaren Gefährte mit ausländischem Kennzeichen entgegen. Jedenfalls radelte ich nach einem kurzen Plausch bald weiter.
Die Strecke kam mir recht langweilig vor, auf dem breiten Weg mit dem unheimlich vielen Verkehr. Reizlos ging es also durch die Fljósdalsheiði, während hinter mir der Snæfell zusehends am Horizont verschwand. Vielleicht war mir auch nur einfach ein wenig zu kalt, jedenfalls konnte ich die Strecke heute nicht wirklich genießen. Unterwegs überholte mich später auch ein kleiner goldgelber Suzuki Jimny, zwei Franzosen waren darinnen und winkten mir fröhlich zu. Ich hatte sie am abend zuvor in der Hütte am Snæfell getroffen. Sie wollten heute den Gipfel erklettern und danach irgendwie weiter in den Süden. Eilprogram also, in zwei Wochen rund um Island. Aber während ich noch überlegte, hielten sie ihren Wagen und ich neben ihnen, für einen kurzen Plausch hatten sie doch noch Zeit. Sie waren wirklich den Snæfell ganz hinauf gekommen heute.
Für mich zog sich die Strecke noch eine Stunde länger dahin, dann konnte ich vor mir die steile Abfahrt erkennen, die ins Fljótsdalur hinabführte. Schon lange konnte ich das breite Tal neben mir liegen sehen, mit dem langgezogenen Lagarfljót darinnen. Irgendwo weit im Norden lag Egilsstaðir, da es aber schon langsam auf Abend zuging und mir die Straße und der Verkehr heute die Lust auf Stadt verdorben hatte, peilte ich für den Abend erstmal Atlavík und den Hallormstaðurskógur an. Dort könnte ich vielleicht sogar noch ins Bad kommen heute.
Erstmal mußte ich aber die steile Abfahrt hinunter. An sich denkt man ja immer, bergab radeln ist einfach und macht Spaß. Aber zumindest wenn man auf den isländischen Pisten mit schwerem Gepäck unterwegs ist, stimmt das absolut nicht. Außerdem schleifte nach wie vor irgendetwas unangenehm an meiner Vorderbremse, so daß ich die nur ungern benutzte. Das einzig angenehme an der Abfahrt war für mich, daß es im Tal deutlich wärmer wurde als oben im Hochland. Ich war froh als ich endlich ganz unten an das Ende der F910 gekommen war, recht unspektakulär, kein großes Hinweisschild, daß man auf dieser Strecke nach ein paar Furten und Sandwüsten zur Askja und noch weiter auf richtig unangenehme Pisten kommen konnte.
Nicht zu übersehen war hingegen ein neues Hinweisschild von Landsvírkjun, dem isländischen Stromkonzern, der den Staudamm bei den Kárahnjúkar trägt. Dort konnte man einen Zeitplan nachlesen, Karten anschauen, Zahlen von Megawatt und Qubikmetern lesen. Beeindruckend. Beängstigend.
Nach fünf Minuten und ein paar Keksen hatte ich mir ein paar weitere Pläne für heute überlegt. Zwei Kilometer nördlich von mir lag der Hengifoss, und daneben der schöne Litlanesfoss, die hatte ich beide schon letztes Jahr gesehen, jetzt im schattigen Abendlicht sicherlich nicht so beeidruckend. Zwei Kilometer nach Süden lag Skriðuklaustur, wo es früher mal ein Kloster gab und heute eine Villa von irgendeinem berühmten und wichtigen isländischen Künstler, dessen Name mir meist nach fünf Minuten schon wieder entfallen ist. Weiter im Süden, in Valþjófsstaður, soll es noch eine recht schöne Kirche mit einer beeindruckend geschnitzten Türe geben. Beides kannte ich noch nicht.
Also radelte ich bald auf einer Straße mit Nummer 931 nach Süden. Aber ich hatte irgendwie bald Motivationsprobleme, mir war wieder kalt mit dem Gegenwind und schneller vorwärts kam ich damit auch nicht. Als ich dann bei dem eigenartigen Museumsgebäude in Skriðuklaustur ankam, und das gerade in diesem Moment schloß, wanderte ich noch ein wenig in dem Ort herum, fand die Ausgrabungsstätte des früheren Klosters und überlegte, daß es wohl doch besser ist, bald mein Zelt aufzuschlagen und mich in ein heißes Bad zu legen. Und so beließ ich es bei einem Blick von außen auf das eigentümliche Haus, das so gar nicht in die Landschaft passt und trotzdem irgendwie fast schön ist.
Ich drehte also wieder um, radelte an der Abzweigung ins Hochland vorbei von der ich gerade gekommen war, radelte am Parkplatz beim Hengifoss vorbei und geradewegs auf eine Brücke zu, über die ich auf die andere Talseite gelangte. Dort hatte die Straße zwar immer noch die Nummer 931, aber die Landschaft war völlig anders. Ich näherte mich dem größten zusammenhängenden Wald in Island, Hallorstaðurskógur. Üppiges Grün und richtige Bäume säumten nun meinen Weg. Bäume, die man sogar andernorts noch als Bäume bezeichnet hätte. Ein richtiger Wald, der dementsprechend pfleglich behandelt wird von den Isländern. Zum ersten mal seit dem Wald in Hólar roch ich wieder Harz und frisches Holz. Ganz und gar ungewöhnlich für Island.
Und mitten in diesem Wald lag mein heutiger Übernachtungsplatz, Altavík. Der Zeltplatz war voll mit richtigen isländischen Campingmobilen, mit Grills, Gartengarnituren, lauten Autoradios die synchron das einzige Radioprogramm um die Wette abspielten, spielenden Kindern, Unterhaltungen mit dem Platznachbarn und allem was sonst zu einem geruhsamen Campingausflug gehört. Irgendwo fand ich ein ruhiges Plätzchen zwischen ein paar Bäumen. Eilig baute ich auf, holte mein Badezeug heraus und wollte erstmal ins zwei Kilometer entfernte Schwimmbad.
Der Zeltplatz liegt nämlich noch zwei Kilometer von dem eigentlichen Ort Hallormstaður entfernt. Und der Ort besteht auch nur aus einer Baumschule, ein paar kleinen Gästehäusern und Hotels, von denen eines das Schwimmbad nebendran hat. Und die obligatorische Tankstelle nicht zu vergessen. Jedenfalls, nicht wirklich zum Verfahren geeignet, und so fand ich bald was ich suchte. Aber dummerweise machte das Bad nicht erst um 21 Uhr zu, wie ich es an einigen Aushängen gelesen hatte, sondern schon um 19 Uhr. Ich hatte also doch keine anderthalb Stunden HotPot mehr heute.
Meine Laune war einigermaßen am Tiefpunkt, als ich zurück zu meinem Zelt fuhr. Aber unterwegs überholte mich ein dunkelroter deutscher VW-Bus mit einem vertraut wirkenden Kennzeichen "LAU". Das war doch Lauf im Landkreis Nürnberger Land, genau meine Heimat also. Einen Parkplatz weiter holte ich den Wagen wieder ein, der dort gerade angehalten hatte. Uwe und Birgit hießen die Insassen, sie waren ebenfalls heute morgen mit der Fähre angekommen und wollten Richtung Snæfell und ein wenig ins Hochland, soweit das mit ihrem Zweirad-Antrieb ging. Wir plauderten natürlich ein wenig über die Heimat, Nürnberg und so, wo es diesen Sommer unheimlich heiß gewesen sein soll. Und wir treffen uns bestimmt bald wieder in Island.
Für heute kochte ich mir noch ein wenig zum Abendessen, kam mir noch ein wenig verloren vor als scheinbar einziger Radler zwischen all den vielen Leuten und versuchte bald zu schlafen. Ich hatte mir wohl einen kleinen Schnupfen geholt heute, das ahnte ich bald. Aber dafür wollte ich Morgen auch einen ruhigen Tag einlegen.
Bilder der Tages:

15. August 2003
Egilsstaðir
Sonnenwetter weckte mich am nächsten Morgen. Es war zwar noch ein wenig schattig auf der Ostseite des Tals, aber das sollte sich bald ändern. Nach einem Frühstück war aber erstmal mein Fahrrad dran, ein wenig Generalüberholen, mal sehen, ob die Laufräder noch gerade waren und endlich die Vorderbremse in Ordnung bringen. Auch wenn ich für heute nicht viel vorhatte, der nächste Teil meiner Tour sollte wieder ins Hochland führen, und da sollte ich das Rad dann doch noch ein wenig herrichten.
Das komische Schleifen an meiner Vorderbremse, die ich die letzten Tage so gut wie nie verwendet hatte, kam im übrigen durch ein kleines Stückchen Metal oder Alu, das vermutlich von der Felge abgebrochen war und nun auf der Bremsbacke festsaß. Na wenn das mal alles ist. Die vordere Felge hatte zwar ein wenig gelitten, war aber trotzdem noch gut in Schuß. Außerdem, eine Ersatzfelge hatte ich sowieso nicht dabei.
Mit leichterem Herzen und leichtem Schnupfen wanderte ich noch eine ganze Weile durch den Wald. Das war eine angenehme Abwechslung nach der kahlen Landschaft der letzten paar Tage, und mit der Sonne die mittlerweile über den Bergen herausgekommen war konnte man sich kaum vorstellen, noch in Island zu sein. So erkundete ich etwa zwei Stunden lang zu Fuß den Wald, spazierte am Ufer des Lagarfljót entlang und ruhte mich ein wenig aus. Fern hinter dem grünlich grau schimmernden See konnte ich noch die schneebedeckten Hänge des Snæfell sehen.
Aber ich wollte heute noch etwa 20 km bis Egilsstaðir radeln. Dort in der Stadt war der Zeltplatz zwar nicht so schön gelegen, hatte aber vermutlich eine Waschmaschine und einen Supermarkt nebenan, und auch ein Freibad, das länger als bis 19 Uhr offen hätte. Also wanderte ich mit neuen Kräften zurück zu meinem Zelt und packte meine Sachen. Und währenddessen bemerkte ich, daß ich heute doch nicht der allereinzige Radler hier war. Zwei andere, natürlich auch aus Deutschland, warteten auf ihren Abflug abends von Egilsstaðir nach Düsseldorf. Bei der Abfahrt traf ich auch noch die isländische Familie vom Snæfell wieder, die sich wieder fließend Deutsch mit mir unterhielten.
Bald war ich unterwegs, durch den Wald auf einer gut ausgebauten Straße mit wenig Verkehr, warmem Sonnenschein und Rückenwind. Ich konnte mir keinen besseren Ruhetag wünschen, die paar Kilometer Tagesetappe waren genau richtig. Und so kam ich bald wieder auf die Ringstraße und legte das letzte Stückchen in die Stadt zurück.
Am Zeltplatz reservierte ich als allererstes die Waschmaschine, baute dann mein Zelt auf und ging zum Bonus-Supermarkt nebenan zum Großeinkauf. Während ich zunächst auf die Waschmaschine wartete, dann darauf, daß die Wäsche trocknete, schrieb ich bei Sonnenschein auf einer Bank die obligatorischen Postkarten an alle möglichen Verwandten und Bekannten. Der Südwind drohte mir zwar gelegentlich den ganzen Papierkram davonzuwehen, aber irgendwie war das schon machbar.
Unterdessen traf ich zwei deutsche Mädels, die zum Wandern hier unterwegs waren und einen französischen Radler, Jean-Jacques, der mir vom Globebike-Team erzählte. Die vier Radler mit den zwei Anhängern waren demnach nur wenige Stunden vor meiner Ankunft mit dem Bus losgefahren Richtung Höfn. Schade, eigentlich hatte ich fast erwartet, sie hier wiederzutreffen.
Den restlichen Tag unternahm ich nicht viel. Ich dümpelte ein paar Stunden im Hot Pot in dem schönen Freibad, wobei wieder unzählige diesmal spanische Touristen das Bad belagerten. Danach versuchte ich meine Vorräte zu sortieren und irgendwo unterzubringen. Ich hatte mehr als 5 Kilo davon, viele Nudeln, viel Müsli, ein paar Äpfel. Das mußte mir reichen für die nächsten paar Tage, die ich ins Hochland wollte. Später kochte ich ein wenig "Wok-Gemüse" aus der Plastiktüte mit kleingeschnittenem Putenfleisch aus einer anderen Plastiktüte. Ein kleines Festmahl, wenn der Supermarkt schonmal nebenan ist. Und zum Nachtisch noch ein großes Softeis von der Tankstelle gegenüber. Hmmm...
Auch wenn sich der Platz abends langsam füllte, ich war in Gedanken wohl noch nicht aus dem einsamen Hochland zurück oder schon wieder dort und hatte heute nicht so viel Lust auf andere Zeltplatzgäste, die ich nur einen Tag sehen würde. Mir wurde dabei auch bewußt, daß ich etwas für Islandradler recht ungewöhnliches machte: ich änderte die Richtung. Während ich bisher mehr oder weniger gegen den Uhrzeigersinn radelte, würde ich ab sofort wieder im Uhrzeigersinn zurückradeln, nach Akureyri. Das bedeutete völlig andere Gesichter und Leute, und die, die ich sonst von Zeltplatz zu Zeltplatz immer wieder getroffen hätte, würden mir ab sofort nur noch mit kurzem Gruß unterwegs entgegenkommen.
Mit solcherlei Gedanken im Kopf legte ich mich schlafen. Mein Zelt stand an seinem Stammplatz, direkt "um die Ecke" hinter dem Verwaltungshaus, windgeschützt zwischen den Bäumen. Die Belüftungsanlage war angeblich recht laut, aber das hörte ich erst am nächsten Morgen von anderen Zeltplatzgästen, mir selbst war alles ein wenig zu laut diese Nacht, die Ringstraße und der Ortsverkehr eingeschloßen. Wenigstens war der Schnupfen schon fast wieder vergessen.
Bilder der Tages:

16. August 2003
Das schöne Wetter hatte sich über Nacht nicht gehalten. Der Südwind zwar schon, aber heute brachte er dicke Wolken, die nicht danach aussahen, als würden sie sich bald lichten. Trotzdem, mein Entschluß war gefasst und meine Vorräte hatte ich auch schon. Es ging für mindestens die nächste Woche ins Hochland. Erst nochmal Kárahnjúkar von der anderen Flußseite, dann Kverkfjöll, Askja und irgendwie zurück zum Mývatn.
Also packte ich zusammen, verschnürte meine Vorräte irgendwie obendrauf und wo sonst noch Platz war, und war bald abfahrbereit. Jean-Jacques, der französische Radler den ich gestern getroffen hatte, wollte in die selbe Richtung. Kurzfristig entschied ich mich, eine Weile mit ihm zusammen zu radeln, solange ich eben noch auf der Ringstraße unterwegs war. Er machte einen etwas unsicheren Eindruck, als fürchtete er, sein Rad würde auseinanderfallen, oder sonst irgendetwas würde schief laufen. Vielleicht konnte ich ihn mit meinen verrückten Plänen ein wenig aufmuntern, und wenigstens mußte ich nicht alleine auf der Ringstraße radeln.
Zusammen verließen wir also Egilsstaðir, kamen am Flughafen vorbei und über die Brücke auf die andere Seite des Lagarfljót. Ab dort ging es teilweise recht steil bergauf, durch die nächste Stadt Fellabær. Danach offene Weidelandschaft mit vereinzelten Höfen und immernoch bergauf, bergauf, bergauf. Bis kurz vor dem nächsten Tal, der Jökulsá í Dal, ging es mehr oder weniger ununterbrochen 20 km lang nur aufwärts. Immerhin hatten wir Rückenwind, das Wetter war bewölkt und nicht zu warm, genau richtig zum Radeln. So kamen wir mühsam aber zügig voran.
Kurz bevor es wieder abwärts ging, in der Mitte der Heide, stand abseits der Straße ein einsames Rentier recht verloren da. Schon wieder ein Rentier. Bei weitem nicht so beeindruckend, wie die Herde die mir vor drei Tagen über den Weg gelaufen war, aber für meinen französischen Begleiter, und für ein paar Autos die sogar extra ein wenig langsamer wurden, auf jeden Fall trotzdem eine Attraktion. Bei diesem Stop fiel mir ein, ich könnte mich doch mal wieder bei meinen Eltern telefonisch melden und abmelden. Bald hatte ich ja wieder kein Handy-Empfang. Und so nutzte auch ich diese Pause, wenn auch nicht zum Fotografieren.
Ein paar hundert Meter weiter, auf der anderen Seite einer letzten Steigung, ging es steil und ausgiebig bergab ins Tal der Jöklá. Der selbe Fluß, an dessen Ostufer mir in den vergangenen Tagen die Rentiere begegnet waren. Jetzt wollte ich am westlichen Ufer entlang zur Schlucht Dimmugljúfur und weiter, fast bis zum Gletscher aus dem er entspringt. Noch ein weiter Weg jedenfalls.
Fürs erste ließen wir uns ins Tal hinunterrollen, nicht auf der Ostseite wo die Straße 924 entlangführt, sondern weiter auf der Ringstraße, die später am Westufer liegt. Unten sahen wir schon von weitem die Brücke, die über den Fluß und eine kleine Schlucht führt. Und neben dieser Brücke ist ein kleiner Rasplatz, von dem ich schon in unzähligen Radreiseberichten gelesen hatte, so von wegen "erstes Mittagessen nach Ankunft mit der Fähre" und so. Selber dort war ich noch nie. Aber das holte ich heute nach. Auch wenn es eigentlich noch recht früh für eine Mittagspause war, wir teilten ein paar unserer Vorräte und machten Rast.
Während wir da saßen, rauschten auf der Straße neben uns zwei Radler vorbei. Jean-Jacques erzählte mir, das seien zwei Schweizer, die er schonmal getroffen hatte. Vielleicht holten wir die ja später wieder ein, erstmal waren wir aber damit beschäftigt, die Futtertaschen wieder herzurichten.
Als wir dann weiterradelten machte die Straße einen Knick nach Südwesten, im Tal und am Fluß entlang eben. Und das hieß für heute Gegenwind. Und auch wenn wir die beiden Schweizer gelegentlich noch ein paar Kurven vor uns sahen, sie waren irgendwie schneller unterwegs und uneinholbar für uns. Als wir an die Brücke kamen, wo die 924 sich wieder mit der Ringstraße vereint, hatten wir die beiden schon längst aus den Augen verloren.
Etwa auf diesem Stück Ringstraße hatte ein Jahr zuvor meine Pannenserie begonnen. Nicht daß ich abergläubisch wäre, aber ich warf trotzdem hin und wieder einen besorgten Blick auf meinen Hinterreifen. Und das nicht ganz grundlos, ich hatte den Eindruck, daß er deutlich Luft verlor. Irgendwann war ich mir da sogar einigermaßen sicher. Also machte ich eine Pause um mal nachzusehen, was denn da los ist. Erstmal schaut man natürlich am Ventil, schon allein weil es mir zu lästig war, Anhänger abzuhängen, Rad auszubauen und so weiter. Und diesmal hatte ich sogar Glück im Unglück: das Ventil war nicht ganz festgedreht. Das war wohl passiert, als ich morgens nochmal ein wenig Luft nachgepumpt hatte. Ich drehte es diesmal also sorgfältig und feste rein, auf daß die Luft ab sofort richtig hält.
Nach dieser kleinen Unterbrechung konnte es bald schon weitergehen im Tal der Jöklá, mal ein wenig aufwärts, mal ein wenig abwärts. Entlang der Straße wurden die Höfe kurzzeitig wieder ein wenig zahlreicher, bald kam die letzte Tankstelle bevor die Ringstraße das Tal verließ. Kurz davor sahen wir auf einem kleinen Hügel zwei Fahrräder und ein schweizer Pärchen daneben sitzen. Mittagsrast, auch bei ihnen. Wir gesellten uns kurz dazu, schon allein, um über das woher und wohin zu plaudern, wie immer...
Aber bald ging es weiter und wir kamen zu einigen Schildern "Oræfaferð! Veit einher um leiðin þín?", "Wüstenfahrt! Weiß jemand von deiner Route?". Für die Ringstraße fand ich das reichlich übertrieben, zumindest um diese Jahreszeit sollte es schwer sein, dort verloren zu gehen. Für meine eigene Route traf dieses Schild schon eher zu, trotzdem weckte es in mir eher ein Lächeln als Sorgen. Wenn die wüßten was ich mir für eine Route ausgesucht hab. Von Jean-Jacques mußte ich mich hier verabschieden, er wollte direkt weiter zum Mývatn. Ich selbst nahm nicht den steilen Weg hinauf in die "Wüste", sondern blieb im Flußtal auf der Straße Nummer 923.
Etwa bei dieser Kreuzung fing es auch zu tröpfeln an. Noch kein wirklicher Regen, aber ich war kaum eine Viertelstunde weiter geradelt, da wurde es zu einem richtigen Regen. Also hielt ich kurz an und packte mein Regenzeug aus. Es war richtig ungemütlich, warm und schwitzig und von oben ein wenig nass und von unten spritzte Schlamm hinauf. Die Asphaltstraße hatte ich für die nächste Woche hinter mir gelassen. Und den Verkehr auch.
Die Straße verlief recht langweilig im Tal entlang, den einen Hügel hinauf und den nächsten wieder hinab, ab und zu noch ein paar vereinzelte Höfe. Ansonsten war sie so, wie ich sie letztes Jahr kennengelernt hatte: wolkenverhangen und naß. Und so kam ich zum zweiten Mal in einer Woche bei Regen nach Brú, irgendwie hab ich in diesem Ort immer Regen. Diesmal musste ich den Berg hinaufradeln, meine Straße verließ hier das Tal. Die keine Steigung war aber deutlich einfacher zu nehmen, als manche andere. Und so stand ich bald wieder auf der Kreuzung der F910 mit der F907, und hatte die Wahl zwischen Kverkfjöll und Sænautasel.
Ich fuhr westwärts weiter, Richtung Kverkfjöll. Die Piste wurde langsam ein wenig abenteuerlich, steinig und holprig. Bald kam ich an ein paar verloren wirkenden Baufahrzeugen vorbei, die wohl die Piste ein wenig herrichten und ausbauen sollten. Und nebenbei hatten sie wohl das neue Schild "Kárahnjúkar links ab" aufgestellt, das ich bald erreichte. Bei dieser Kreuzung machte ich wieder eine kleine Pause, bevor ich die nummerierten und gepflegten Straßen hinter mir ließe. Und außerdem kam mir gerade ein Jeep entgegen, dessen Insassen wohl noch nie einen Radler im Hochland getroffen hatten und mich gleich fotografieren mussten. Als ich ihnen erzählte, ich wolle heute noch nach Laugarvellir, meinten sie da kämen sie grade her und der Hot Pot da sei genau richtig warm und sie wünschten mir noch viel Glück. Und schon waren sie wieder abgedüst.
Ich war also wieder alleine unterwegs unter dicken Wolken, mittlerweile ohne Regen, auf einer schwarzen Sand und Schotterpiste durch eine schwarze Sand und Schotterlandschaft, die langsam schwärzer und schwärzer wurde, weil die Sonne langsam am untergehen war. Aber die Sonne konnte ich sowieso den ganzen Tag lang nur erahnen, irgendwo hinter den Wolken. Als ich kurze Zeit später an einen großen Steinhaufen am Hügel Múli kam, von dem aus man manchmal angeblich eine tolle Aussicht hat, konnte ich weit im Süden, rund um den Snæfell die einzige Wolkenlücke ausmachen, ansonsten war alles nassgeregnet und sah im Dämmerlicht noch bedrückender aus.
Vor mir führte die Straße bergab, ins Laugarvalladalur. Und dort gabelte sie sich angeblich, entweder im Tal entlang direkt nach Laugarvellir, oder auf den Bergrücken Skógarháls hinauf, der zwischen Laugarvalladalur und dem Canyon Dimmugljúfur liegt. In meinen älteren Karten waren zumindest noch beide Pisten eingezechnet, laut einer neueren Ausgabe war die Piste im Tal entlang nicht mehr vorhanden. Ich hab auch keine Spuren von einer Abzweigung gesehen, also gehe ich mal davon aus, daß diese alte Route wirklich nicht mehr befahrbar ist, nicht nur laut Karte.
Eine kleine Furt wollte noch durchschoben werden, danach ging es wieder aufwärts, auf besagten Bergrücken hinauf. Und auch wenn die Entfernung nicht so groß erscheint zogen sich diese letzten 10 km vor Laugarvellir noch schier endlos dahin. Lange sehnte ich mir meine Abzweigung herbei. Aber bei der ersten konnte man nur auf den Berg Hallarfjall und das sparte ich mir, auch wenn man von dort sicher wieder eine hervorragende Aussicht hat, wenn denn das Wetter mitspielt. Für heute wartete ich nur noch sehnsüchtiger auf den nächsten Wegweiser. Die Piste war insgesamt eigentlich gar nicht so schlecht, auch wenn ich gelegentlich recht großen Steine und Schlaglöcher ausweichen mußte und insgesamt nur langsam vorwärts kam.
Als ich doch endlich zu meiner Abzweigung kam, links ab nach Laugarvellir, rechts ab zur Dimmugljúfur, und auf die kleine Stichstraße einbog, ging es für heute nur noch bergab. Schon nach der nächsten Biegung konnte ich das Tal unter mir liegen sehen, und sogar die Hütte erahnen. Und ich sah zu meinem nicht geringen Erstaunen eine ganze Kolonne Jeeps dort bei der Hütte. Schon am Snæfell hatte ich mitbekommen, daß die Gegend seit Begin des Staudammprojektes enorm an Popularität gewonnen hatte, und auch viele Isländer mal eine Tagestour hierhin unternahmen. Und es war Wochenende.
Während ich die Piste hinunterrumpelte kamen mir allerdings drei der Autos entgegen, nur noch zwei standen jetzt dort. Und bevor ich mein Fahrrad und Zelt dazustellen konnte, musste ich natürlich nochmals durch eine kleine Furt. Dann war ich angekommen und konnte die Autos genauer begutachten. Beides waren VW-Busse, und beide aus Deutschland. Und einer davon hatte eine mir bekannte dunkelrote Farbe und eine mir bekanntes Nummernschild "LAU". Ich war ungefähr genauso überrascht wie Uwe und Birgit, daß wir uns hier wiedertrafen.
Ich schlug also noch schnell fast schon im Dunklen mein Zelt auf, und wollte mir ein Abendessen kochen. Uwe bot mir an, bei ihnen im Bus zu kochen. Nachdem ich zum wiederholten mal auf dieser Reise eine verstopfte Benzindüse am Kocher hatte und heute auch noch die feine Nadel zum reparieren abbrach, nahm ich das Angebot dankend an. Und so plauderten wir im warmen windgeschützten Bus, wohin wir noch alles wollten und ähnliches, während meine Nudeln lagsam fertig wurden und meine Regensachen draussen im Wind trockneten.
Für das heiße Bad, das der Name "Laugarvellir" verspricht, hatte ich an dem Tag allerdings keine Zeit mehr. Oder bessergesagt kein Tageslicht mehr. Morgen vielleicht, für heute verkroch ich mich bald in den Schlafsack, nach wiedermal über 100 km am Tag, und das auf nicht gerade angenehmen Pisten.
Bilder der Tages:
  • 03-3-01-foss.jpg(42523 bytes): Ein kleiner Wasserfall (Stuðlafoss?) im Tal der Jökulsá á Dal
  • 03-3-02-muli.jpg(28744 bytes): Wegmarkierung bei Múli, im Hintergrund der Snæfell

17. August 2003
Kárahnjúkar






Der nächste Tag fing gleich mal sonnig und warm an. Also machte ich schnell Frühstück und sah währenddessen schon Uwe und Birgit in Richtung heiße Quelle laufen. Ich eilte natürlich bald hinterher, ich war ja hauptsächlich für dieses Bad überhaupt hierher gekommen. Das Wasser war zwar eher warm als wirklich heiß, aber trotzdem sehr angenehm. Und als besondere Attraktion gab es etwas weiter den Bach abwärts noch den heißen Wasserfall, eine natürliche Dusche. Nach dem ganzen Schlamm, Moos und sonstigen Grünzeug, das den Pool anfüllte, war eine Dusche gerade richtig, und als Rückenmassage auch ganz gut zu gebrauchen. Auch die anderen VW-Busfahrer gesellten sich bald dazu ins warme Wasser.
Solchermaßen erfrischt warf ich auch noch einen Blick in die kleine, halbverfallene Hütte Laugarvellir. Sah nicht sonderlich einladend aus dort drinnen, und es gab auch kein Gästebuch zum eintragen und schmökern. Also war ich bald wieder draußen im Sonnenschein und wartete noch ein wenig, daß mein Handtuch trocknete. Schließlich fing ich aber mit dem Packen an, das Handtuch konnte ich irgendwie auf meinen Rucksack packen und dort während der Fahrt weiter trocknen lassen.
Als ich alle meine Sachen beisammen hatte verabschiedete ich mich von meinen Nachbarn. Uwe wollte noch ein Foto von mir Radler, also mußte ich noch ein paar Minuten posieren, mit all meinem Sack und Pack, danach ging es wieder durch die kleine Furt und im Schneckentempo den ganzen Berg hinauf, den ich gestern abends hinuntergerollt war. Während die Hauptpiste ja auf dem Bergrücken entlang verläuft waren meine beiden Abstecher, Laugarvellir und Dimmugljúfur, jeweils auf den beiden Seiten. Also musste ich jetzt quer drüber zu dem Canyon und danach erst sollte es weiter nach Süden gehen. Nach einer Weile anstrengedem Berg aufwärts ging es also wieder bergab in Richtung der Schlucht. Vom Canyon selbst hatte ich bisher eigentlich noch nichts gesehen, außer dem Wegweiser. Recht unscheinbar ging es in ein Tal hinab, und dort mußte er doch irgendwo sein...
Während ich so vor mich hinfuhr und es immer steiler bergab ging beschloß ich irgendwann, mein Rad abzustellen und den Rest zu Fuß zurückzulegen. Das alles wieder hinaufschieben muss ja nun auch nicht sein. Und ich war noch nicht weit gelaufen, da holt mich ein dunkelroter VW-Bus mit alt bekanntem Kennzeichen ein. Also hatte ich noch eine Mitfahgelegenheit, die letzten paar hundert Meter, bis zu einem Parkplatz mit Informationstafel. Von dem Canyon war immer noch nicht wirklich viel zu sehen. Irgendwo war ein kleines Tal in der Landschaft, auf der anderen Seite ging es steil bergauf...
Nach einer kleinen Wanderung Richtung Norden auf einem schlecht markierten Pfad und einer Biegung nach rechts hatten wir die Schlucht dann endlich vor uns, vom besten und meistfotografierten Aussichtspunkt aus. Und jetzt erst konnte man erahnen, wie groß die Schlucht wirklich war. Nicht breit, man hatte fast den Eindruck, da oben könnte man mit einem großen Satz drüberspringen. Aber es ging ziemlich steil und weit runter zwischendurch. Beeindruckend steil und beeindruckend weit. Unten waren die reißenden Wassermassen der Jökulsá í Dal, die mit ordentlich Getöse und Gedonner zwischen den Felswänden eingesperrt waren. Atemberaubend.
Der Canyon an sich wird durch die Baumaßnahmen natürlich "in keinster Weise beeinträchtigt". Nur werden die Wassermassen reduziert und wohl nicht mehr ganz so beeindruckend und reißend dahintosen wie bisher. Zu sonstigen Risiken und Nebenwirkungen lesen sie bitte die Packungsbeilage oder fragen sie Landsvirkjun oder ihren Umweltschützer.
Nach einiger Zeit und vielen Fotos wanderten wir zu dritt nahe am Canyon entlang zurück Richtung Parkplatz. Unterwegs trafen wir unter anderem auch die anderen beiden deutschen VW-Bus Fahrer aus Laugarvellir wieder, die natürlich ebenfalls die Schlucht besuchen wollten. Bei dem schönen Wetter konnte man sich wohl kaum einen besseren Tag dafür aussuchen.
Schließlich standen wir am oberen Rand etwa an der höchsten Stelle der Schlucht, unter dem Parkplatz. Der Eindruck, daß man fast auf die andere Seite hinüber springen könnte, relativierte sich etwas. Der Gesamteindruck den die Schlucht hinterlassen hat allerdings keineswegs. Man konnte noch um ein zwei Biegungen weiter sehen, aber grundsätzlich zieht sich die Schlucht wohl noch kilometerweit so fort, wenn auch vielleicht nicht überall ganz so tief.
Aber für heute wollte ich noch eine ganze Strecke weiterkommen, parallel zu der Schlucht allerdings außer Sichtweite auf der Piste. Also verabschiedete ich mich bald von Uwe und Birgit, die noch eine Weile hierbleiben wollten, und marschierte zurück zu meinem Fahrrad. Das stand natürlich, was sollte man anderes erwarten im einsamen Hochland, genauso da, wie ich es zurückgelassen hatte. Und so arbeitete ich mich auch das letzte Stückchen bergauf und stand schon wieder an der Kreuzung Richtung Brú, Laugarvellir, Dimmugljúfur und Kárahnjúkar. Und damit ich alle vier Richtungen mal ausprobiert hätte, bog ich diesmal nach Süden ab.
Diese Piste führte über einen kleinen Hügel, Lambafell, irgendwo kurz dahinter sollte die Baustelle beginnen. Von oben genoß ich ein wenig die Aussicht über die ganze Gegend. Man konnte bis zur Vesturöræfi hinüberschauen und natürlich thronte dahinter im Sonnenschein der Snæfell, der markanteste Berg der Gegend. Davor tanzten im Wind einzelne Staubwolken über Containersiedlungen und neuen Pisten. Richtig schönes Sonnenwetter war heute und ein wenig Südwind, der mir das Vorwärtskommen ein wenig erschwerte.
Und so kam mir alles wieder ziemlich langsam vor, wie ich so an einer Kreuzung und Abzweigung nach der anderen vorbeikam. Manche sahen ansich recht einladend aus, endeten aber wohl bald an einer der Containersiedlungen. Andere hatten weniger einladende Schilder "Vorsicht, Sprengungen", und "Keep out". Und irgendwo wollte ich abbiegen auf meine nächste nicht nummerierte Piste, Richtung Grágæsadalur und F910. Nun war es recht schwierig, eine namenlose Piste womöglich auch noch ohne Hinweisschild zu finden. Meine Karten von der Gegend waren auch alle nicht so ganz genau und aktuell. Als ich schließlich schon die Brücke über die Jöklá sah, wurde ich unruhig. Diese Brücke führte zurück Richtung Egilsstaðir und auf die andere Hälfte der F910, die ich schon entlanggefahren war. Immerhin war genug Verkehr unterwegs, rund um die Baustelle. Also fragte ich beim erst besten vorbeikommenden Auto mal nach. Man sah mich lange und zweifelnd an, schließlich "Jaja, gleich da unten ist die Abzweigung".
Also bin ich nach "gleich da unten" gerollt und tatsächlich war dort zu meiner Überraschung sogar ein Wegweiser "Brúardalir". Demnach bog ich jetzt auf die Brúardalarleið ein, entlang der Sauðá. Auch dieser Fluß wird aufgestaut und überflutet, und mit ihm die atemberaubende Landschaft aus Hügeln und kleinen Erosionsschluchten in Richtung Jöklá. Nicht zu übersehen war auch der kleine Wasserfall Sauðáfoss, die Piste hat mich direkt dorthingeführt. Irgendwo hatte ich mal recht beeindruckend schöne Bilder von diesem ganzen Bachtal gesehen, aber als ich jetzt hier war fand ich es trotz dem warmen Sonnenschein nicht wirklich so beeindruckend und schön wie auf den Bildern. Mittlerweile hab ich noch ein wenig genauere Informationen gefunden, die Fotos stammen wohl von südlich der Sauðá entlang der Jöklá und man kommt nur zu Fuß hin und nur wenn man sich auskennt. Für diesmal hab ich das also leider verpasst.
Immerhin war ich wieder in einer grünen Landschaft unterwegs. Die vielen Täler, Sauðárdalur, Laugarvalladalur und Jökládalur trafen hier alle zusammen, und jedes für sich war relativ fruchtbar. Und daß alle drei zumindest teilweise überflutet werden merkte ich auch bald wieder recht deutlich, als ich gerade einen kleine Hang hinaufradelte und dort oben eine Reihe kleiner Markierungsstöckchen mit roter Spitze sah. An einem war ein Schild "Hæða lóni", "Höhe des Sees". Dort machte ich eine kleine Pause und warf nochmal einen ausgiebigen Blick zurück auf die Landschaft, die ich in den letzten paar Tagen wenigstens ansatzweise erkundet hatte. Wenn möglich wollte ich in den nächsten Sommern nochmal wiederkommen, um das noch ein wenig ausgiebiger zu tun. Solange wie möglich.
Schließlich wandte ich mich um und radelte weiter auf meiner Piste. Bisher war mir noch kein anderes Fahrzeug begegnet, seit ich die Baustellenstraßen verlassen hatte. Und bisher war die Piste noch angenehm und gut zum Radeln. Aber so langsam kam ich aus dem Grün heraus, der reiche erdige Boden blieb zurück. Statt dessen hatte ich bald wieder Steine, Sand und Schotter unter mir. Wüstenlandschaft. Trotzdem war die Piste eigentlich noch recht ordentlich, zumindest bei dem Sonnenwetter, das ich hatte.
Und eigentlich war der Hauptverlauf der Piste auch weiterhin gut auszumachen. Trotzdem gab es unzählige Spuren von Jeeps die, aus welchem Grund auch immer, abseits der Piste mal ein wenig durch die Wüste führten. Nur so zum Spaß vermutlich. Solche Spuren sieht man ja recht oft im isländischen Hochland, aber so oft wie hier hatte ich das noch nie erlebt.
Hinter mir hatte ich ständig den Snæfell, der alle anderen Hügel rundherum deutlich in den Schatten stellte. Vor mir hatte ich hingegen eine Hügelkette, die mir die Sicht auf die anderen markanten Berge der Umgebung, Herðubreið und Kverkfjöll, versperrte. Aber diese Hügelkette kam näher und näher, und ich konnte mir schon bald ausmalen, wo meine Piste oben drüber führte. Ausnahmsweise nicht über einen Gipfel. Aber noch bevor ich soweit war kam ich an eine Kreuzung, sogar mit Wegweiser. Mitten im absoluten Nichts. In einer kleinen Senke war ein See, einer der Vesturdalsvötn. Vermutlich hieß die kleine Senke dementsprechend Vesturdalur. Ein wenig Grün hielt sich rund um die Gewässer, zur Not gibt das einen Zeltplatz ab. Aber für mich war heute der Wegweiser interessanter.
Eigentlich hatte keine der drei Richtungen ein wirkliches Ziel, schon gar keine Straßennummer, deswegen gab es drei blaue Schilder, Richtung Hafrahvammagljúfur, wo ich herkam, Richtung Grágæsavötn, wo ich ein andermal noch hinmuss, und schließlich Richtung Möðrudalur, wo ich zwar eigentlich gar nicht hinwollte, aber trotzdem langfuhr. Wahrscheinlich ist das nur so ein Tick von mir, aber so einsame Wegweiser mit meinem Rad davor fotografier ich gerne, und das hier ist wohl einer der einsamsten in meiner Sammlung.
Schließlich radelte ich aber doch weiter, einen kleinen Hang hinauf über die Hügelkette hinüber. Und dabei kam mir auch endlich mal ein Auto entgegen, irgendwoher müssen die ganzen Spuren ja kommen. Aber ausser einmal kurz Winken hatten die nichts für mich übrig und waren auch schon verschwunden, Richtung Kárahnjúkar. So konnte ich mich wieder voll und ganz auf die Hügel konzentrieren. Auf der anderen Seite konnte ich jetzt schon den Gipfel des Herðubreið ausmachen. Der Snæfell wäre jetzt nach vielen Tagen endlich mal außer Sicht, und das dauerhaft.
Auf der anderen Seite ging es auch lange und ausgiebig und holprig wieder bergab. Und ich konnte schon kilometerweit voraussehen, daß es danach langsam wieder etwas aufwärts ging, und schließlich verschwand die Piste hinter einem kleinen Gipfel aus meinem Sichtfeld. Aber es gab noch viel mehr zu sehen mittlerweile. Direkt vor mir lag das Fagridalur, das schöne Tal, das seinem Namen im einsetzenden Abendlicht alle Ehre machte. Am Ende des Tals glitzerte ein großer Fluß, der träge seinen Weg durch Sandbänke suchte, Kreppá. Eigentlich wollte ich ja nur auf deren andere Seite, aber dafür mußte ich noch etwa 40 km nach Norden fahren, zu einer der wenigen Brücken, und dann auf der anderen Seite das ganze Stück wieder in die andere Richtung.
Mit Blick wieder nach Norden konnte ich jetzt auch die ganze Bergkette Álftadalsfjall sehen, die ich hier überquerte. Wie schon westlicher und östlicher Möðrudalsfjallagarður, die ich etwa eine Woche zuvor durchquerte, zieht sich diese Hügelkette entlang der Plattengrenze zwischen Amerika und Europa. Daß sie als Kraterreihe entstanden waren, kann man sich demnach leicht ausdenken.
Die Piste war nach wie vor ganz passabel zu radeln, ein wenig hügeliger und steiniger als zuvor und staubig und trocken, aber alles in allem mindestens so gut wie manche nummerierte Hochlandpiste. Bloß mit deutlich weniger Verkehr. Wenn hier was passiert, hast du ein Problem, dachte ich mir. Und um zur Sicherheit nochmal zu schauen, daß mein Gepäck noch alles beisammen war am Anhänger, wandte ich mich um. Und das ist immer ein wenig ein kompliziertes Manöver, wie vielleicht manch einer bestätigen kann, der das schonmal selber ausprobiert hat mit all dem Gerümpel am Fahrrad. Und da war es dann auch schon passiert und mein Vorderrad kommt aus der Fahrspur und ich lieg am Boden. Ups.
Aber mein Rad und mein Anhänger sind robust genug, denen ist nichts passiert, und mir auch nicht, und so bin ich nochmal mit dem Schrecken davon gekommen. Trotzdem, nachdem mir erst ein einziges mal ein Gepäckstück vom Hänger gefallen ist und ich schon unzählige Male ins Schlingern geraten war, als ich das während der Fahrt überprüfen wollte, beschloss ich, das in Zukunft lieber sein zu lassen.
Laut meiner Karte sollte ich auf der weiteren Strecke dann an drei kleinen Seen vorbeikommen. Zwei davon hab ich auch wirklich gefunden, der dritte war wohl ausgetrocknet. Ebenso wie die unzähligen kleinen Bachläufe, die auf der Karte verzeichnet sind. Keine Furten also. Dafür gab es sogar ab und zu Stecken um die Piste zu markieren. Gelegentlich gab es auch ein paar Alternativen, auf er anderen Seite von dem Stein herum, mal ein bißchen Off-Road oberhalb am Hang und andere Kleinigkeiten. Grundsätzlich war die Piste aber in einem deutlich besseren Zustand, als ich das von einer Piste erwartet hätte, die nur in jeder zweite Karte vorhanden ist und auch da meist nur als dünn gestrichelte Jeep-Piste.
So radelte ich dahin und kam eine gute Stunde später über den kleinen Hügel, hinter dessen Gipfel vorhin die Piste verschwunden war. Langsam wurde es dämmrig, und so beschloß ich bei der nächsten grünen Stelle mein Zelt aufzuschlagen. Nur kam keine grüne Stelle. Statt dessen ging es nach einer schieren Ewigkeit in einem Bogen nach Westen in ein Tal hinunter, das voll Bimstein und Sand war. Gelegentlich war das ein wenig unangenehm zu radeln, aber ich dachte mir, wenn das die Horrorgeschichten vom Sand hier in der Gegend sind, dann sind die maßlos übertrieben.
Schließlich ging es aus dem Tal wieder hinaus und dort konnte ich endlich meinen Zeltplatz für heute Abend ausmachen. Vor mir, nach einem kurzen Stück Geröllwüste, waren ein paar Sanddünen mit zartem Grün. Da findet sich bestimmt ein windstilles Plätzchen. Und noch vor den Sanddünen lag die F910, die Piste zu den Kverkfjöll, die ich morgen entlangfahren wollte. Ein perfektes Fleckchen also, Wasser hatte ich aus Laugarvellir genug mitgenommen.
Noch während ich einigermaßen windgeschützt mein Zelt im Sand aufbaute, kam ein Autokonvoi aus dem Hochland vorbei. Deutlich mehr Verkehr, als ich heute auf der Brúardalarleið hatte. In den vier Stunden von den Kárahnjúkar bis hierher war mir wie gesagt nur ein einziges Auto begegnet.
Den Windschatten für mein Zelt hatte ich heute dringend nötig, es blies zusehends stürmischer aus Süden. Zum Glück aus Süden. Wolken und Regen hatte der Wind nicht mit im Gepäck. Trotzdem, so richtig ruhig war die Nachtruhe nicht. Und auch wenn ich mich wirklich anstrengte, Sand hatte ich auch bald überall, nicht nur unterm Zelt, zusehends auch außen auf der Zeltplane, im Zelt, in den Nudeln zum Abendessen, und sogar ein paar Körnchen im Schlafsack.
Bilder der Tages:

18. August 2003


Nach einer sandigen und stürmischen Nacht hatte sich das Wetter wieder ein wenig beruhigt, als ich am nächsten Morgen aufwachte. Aber nur ein wenig. Das erste was ich wahrnahm, als ich aus dem Zelt herausgekrochen kam, war die grandiose Landschaft um mich herum mit dem klaren, wolkenlos blauen Himmel darüber. Zu beiden Seiten, vor allem aber im Osten, zogen sich Kilometerweit die "hyaloklastischen Rücken" hin, die Bergketten Álftadalsfjall und Möðrudalsfjallgarður, die ich schon am Tag zuvor bewundert hatte. Das grandiose daran war, das davor ein flaches Tal war, aus dem sich die Berge um so höher erhoben. Und irgendwo mitten in dieser flachen, sandigen Landschaft saß ich nun mit meinem Zelt.
Der zweite Gedanke war von wesentlich praktischerer Natur. Ich sollte meine Wasservorräte vielleicht doch bei Gelegenheit wieder auffüllen. Zwar wollte ich eigentlich bis zur Hütten an den Kverkfjöll kommen heute, aber zur Not sollte das auch noch für eine weitere Nacht wild Zelten reichen. Und auch wenn ich heute die Kreppá überqueren mußte, einen der mächtigen Gletscherflüße, das Trinkwasser wollte ich mir doch lieber anderswo besorgen. Laut meiner Karte war unweit meiner Kreuzung eine Furt, die ich zwar eigentlich in weitem Bogen umfahren hatte, jetzt aber trotzdem noch besuchen wollte. Der Fluß war nämlich kein Gletscherfluss und hatte somit hoffentlich klares Trinkwasser, deutlich einladender als die staubige Kreppá-Brühe.
Während ich früh morgens um halb neun also ohne Gepäck zum Fluß radlete, da wurde mir schon wieder vor Augen geführt, wieviel Verkehr hier auf der Hauptpiste unterwegs war. Zwei Kleibusse mit Gepäck und flatternder Plane am Dach kamen aus dem Hochland. Die waren wohl wirklich früh aufgebrochen heute. Naja, mein Trinkwasserfluß sah deutlich größer aus als ich gedacht hätte und ich war froh, daß ich den nicht furten mußte. Das Trinkwasser hatte ausserdem ein paar Algen drinnen, was mich doch ein wenig störte. Aber was solls.
Zurück beim Zelt fiel mir auf, wieviel Sand der Wind in einer Nacht so transportieren kann. Auf meinem Außenzelt hatte sich auf der Windseite, bei der man natürlich nicht seinen Eingang hat, ein ganz ordentliche Menge angesammelt. Aber wenigstens war der Sand nicht naß und blieb nicht überall kleben, bis man genug hat und ihn mit der Hand wegwischen will, mit dem einzigen Resultat, daß man an der Hand auch Sand hat. Sowas hatte ich ein Jahr zuvor. Trotzdem befürchtete ich schon ein wenig, daß das noch ein interessanter Tag werden könnte, bei staubtrockenem Sonnenwetter auf ein paar der sandigsten Pisten Islands unterwegs zu sein.
Beim Aufbruch hatte ich trotzdem noch beste Laune, die paar sandigen Meter zurück zur Piste waren bald vergessen und ich holperte wieder zwischen Steinen und Geröll dahin. Südwärts auf der F910. Weiterhin wollte ich heute auf der östlichen Kverkfjallaleið F903 an Hvannalindir vorbei zur Kverkfjöll-Hütte. Das war zumindest der Plan.
Und zunächst schien mir das auch realistisch und ich kam bestens voran. Bald führte die Piste zwischen ein paar größeren Hügeln hindurch, dann erreichte ich ein Lavafeld, in dessen zerklüfteten Felsen sich ein wenig Sand sammelte. Alles überragte für heute durchgehend der Herðubreið, der zweite richtig markant aus der Ebene ragende Berg des östlichen Islands, der mir wohl auch die kommenden Tage immer im Sichtfeld stehen würde.
Ungefähr dort am Anfang des Lavafeldes überholte mich ein Bus, einer dieser Hochland-Abenteuertour-Busse, die mit den großen Reifen. Den merkte ich mir nur deshalb, weil er auch nicht wesentlich schneller als ich über Sand, Felsen und Schotter fuhr. Und weil ich ihn nach der nächsten Biegung wieder einhohlte. Dort machte der Bus eine Pause, allerlei Leute stiegen aus und konnten endlich mal eine Fotopause einlegen. Zu sehen gab es hier die Kreppá, endlich live und in Farbe und direkt vor mir. Und zu sehen gab es hier die Brücke über die Kreppá. Eigentlich hätte ich gern mein Fahrrad daraufgestellt, mir ein paar Minuten Zeit genommen, das ganze in Szene zu setzen, und ein Foto gemacht. Aber so liefen ständig fremde Leute durchs Bild, die mich eigentlich allenfalls am Rande wahrnahmen, so gefesselt waren sie davon, dass sie mal raus konnten aus ihrem Bus.
Also ließ ich das mit dem Bild bleiben und radelte weiter. Der Guide machte grade das Gatter an der Brücke auf und Grüße freundlich. Ich erwiederte natürlich den Gruß und lächelte weiter auf das Schild, das da sagte "Krepputunga, Zelten Verboten außer in Kverkfjöll, 40km von hier". 40km! Na wenn das mal stimmt, dann wird das ja ein Kinderspiel heute.
Auf der anderen Flußseite hatte ich weiterhin das Lavafeld um mich, in das ich vor wenigen Minuten erst gekommen war. Laut Karte bestand fast die gesamte Krepputunga aus diesem Lavafeld. Krepputunga, das ist im übrigen das Gebiet zwischen Kreppá und Jökulsá á Fjöllum, zwei der größten Gletscherflüsse Islands, die sich nur unweit von hier zu einem mächtigen Strom vereinen und später den Dettifoss hinunterstürtzen. Faszinierend ist daran, daß die beiden Flüße Kilometerlang fast direkt nebeneinander her fließen, einer in Sichtweite des anderen. Außerdem ist das Gebiet nur über zwei Brücken (oder über den Gletscher, gell Dieter?) erreichbar, eine davon hatte ich gerade überquert.
Und apropos Sichtfeld. Während ich so zwischen den Lavafelsen auf Bimstein, Schotter und anderem mehr oder weniger festen Material dahinfuhr, hatte ich bald noch einen makanten Berg vor mir. Wie eine Pyramide, oder bessergesagt wie eine Unzahl kleiner ineinander gebauter und verschachtelter Pyramiden erhob sich vor mit das Upptyppingar-Massiv. Eigentlich begleitete dies mich die kommenden Tage sogar viel unablässiger als Herðubreið, aber davon später mehr.
Irgendwann überholte mich der Bus wieder, den ich an der Brücke überholt hatte. War ja auch zu erwarten. Überhaupt war viel Verkehr unterwegs, hauptsächlich Busse. Aber wie ich an diesem einen Bus sah, kamen die auch nicht so wesentlich schneller vorwärts als ich mit meinem Rad. Etwa einen Kilometer vor mir, mitten im Lavafeld, machte der Bus schon wieder einen Fotostop mit Pinkelpause. Ich genoß die Landschaft lieber durchgehend, bei dem sonnigen Wetter die bessere Alternative. Und Fotografieren kann man diese Rundumansicht sowieso nicht so wirklich. Und so kam es, daß ich den Bus schon wieder überholte. Die Insassen waren gerade verstreut über den bizarr aufragenden Lavafelsen, ich wurde wiedermal keines Blickes gewürdigt, was mir auch ganz recht war.
Langsam wurde die Piste aber immer interessanter. Oder anstrengender. Zwischen den Basaltformationen ging es unregelmäßig bergauf und bergab. Und in den Senken sammelten sich nicht mehr nur Bimsteine und festes Geröll, oft lag darüber auch eine dicke Schicht schwarzer Sand. Nicht immer angenehm zum Radeln, gelegentlich musste ich ein paar Meter weit schieben. Sand und die Horrorgeschichten rund um diese Pisten eben.
Bald führte die Piste aber nicht mehr durch die zerklüftete Lavalandschaft, statt dessen öffnete sich eine Ebene vor mir an deren anderem Ende ich den Lónshnjúkur und die Kreppuöldur aufragen sah. Und dazwischen in der Ebene hing Staub in der Luft, Steine und viel Sand lagen auf der Piste darunter. Irgendwo hier überholte mich "mein" Bus endgültig und war bald ausser Sicht. Ich hingegen revidierte mein voriges Urteil nochmal, ob es wirklich besser ist, an so einem Tag die Landschaft mit dem Fahrrad zu genießen. Ich fand es einigermaßen anstrengend vorwärtszukommen, immer wieder mußte ich schieben, und das jetzt auch für längere Strecken.
Unterwegs mitten in der Ebene kam mit ein alter roter Nissan oder so entgegen, mit einem der alten, schwarzen isländischen Kennzeichen. Vollbesetzt mit Leuten. Auch wenn er mir entgegenkam, ich würde ihn nur allzubald wiedersehen.
Ingesamt weiß ich nicht, wie ich die Strecke bis zum Lónshnjúkur geschafft hab. Ich fand sie nicht angenehm zu fahren, ziemlich sandig und so, aber alles in allem gings doch recht flott und ich konnte wenigstens noch stückweise fahren. Und ich hatte ja keine Ahnung, daß der richtig harte Teil erst noch vor mir lag. Mittlerweile konnte ich um die Upptyppingar, die verschachtelten Pyramidenberge, herumschauen, und in der Ferne die Dyngjufjöll und Askja mit den markanten Schneefleckchen sehen. Bessergesagt erahnen. Eine recht dichte Staubglocke hing darüber, Sandsturm.
Und richtig viel Sand hatte ich jetzt auch vor mir. Nicht so lächerliches Geklecker wie bisher, sondern zentimetertiefen Sand, keine Chance noch anders als schiebend vorwärtszukommen. Und schon das Schieben war anstrengend genug. Ständig will irgendeines von meinen drei Rädern igendwo anders hin als es soll, ständig kommt Sand in meine Schuhe, ständig stoße ich beim Schieben an die Pedale. Am Anfang dieser Sandetappe dachte ich noch, irgendwann muss das ja wieder aufhören, vielleicht da hinter dem nächsten Hügel, hinter der Biegung, irgendwo da vorne bestimmt. Falsch. Irgendwann sah ich dann einen Wegweiser. Genaugenommen sah ich erstmal in der Ferne ein Auto nach rechts abbiegen, während laut Karte meine Piste geradeaus weiterführte. Also redete ich mir ein, bis zu der Kreuzung hat das bestimmt aufgehört und man kann wieder radeln. Als ich noch ein paarmal mehr Seite gewechselt hatte, meine Arme taten mir weh, sah ich ein, nagut, vor dem Wegweiser vielleicht nicht mehr, aber dahinter wird das bestimmt bald besser, das kann ja nicht ewig so weitergehen.
Letztlich stand ich dann da, mitten im Sand, leerte zum dritten Mal in einer halben Stunde ein Kilo Sand aus meinen Schuhen. Bei der Kreuzung und den gelben Wegweisern hatte das also noch nicht aufgehört mit dem Sand. Ich kramte einen Schatz aus meinen Taschen, einen Apfel, und machte eine ausgiebige Rast. Danach schob ich mit neuer Hoffnung weiter. Mittlerweile war wieder ein kantig zerrissenes Lavafeld auf meiner rechten Seite. Hinter einer Biegung verschwand da die Straße, da wirds bestimmt besser und ich kann endlich wieder aufsatteln.
Und es wurde tatsächlich langsam wieder besser. Sprich, ich kam an einen kleinen Hang der über und über mit richtig großen Kieseln bestreut war. Man konnte zwar auch hier unmöglich radeln, wenn man noch Gepäck dabei hat, aber immerhin kam weniger Sand in die Schuhe. Es war eine wirkliche Qual dort entlang. Mittlerweile war die Askja völlständig von der Staubglocke veschluckt. Ab und zu konnte ich wieder ein paar Meter weit radeln, nach der nächsten Biegung musste ich wieder ein paar Meter schieben und meine Schuhe ausleeren. Es ging wenigstens vorwärts. Und wenigstens störte mich der Gegenwind bei meinem Tempo nicht wirklich ernsthaft.
Irgendwann überholte mich wieder ein Bus. Ein kleiner, weißer Bus, der nicht mit Allrad ausgestattet war, und einen Anhänger hatte. Durchs Fenster konnte ich sehen, daß es die Sightseeing-Tour ist Mývatn, Kverkfjöll, Askja, Herðubreið. Und durchs Fenster konnte ich die Insassen sehen, die ein wenig amüsiert hinauswinkten. Hmpf!
Aber kaum 100 Meter weiter, um die nächste Biegung, wurde es wieder richtig sandig. Und da stand er dann auch, der kleine weiße Bus, ohne Allradantrieb, mit seinem Anhänger. Und die Insassen standen da auch, buddelten und schoben und steckten fest. Ein amüsantes Wiedersehen. Gleich kam mir einer von denen entgegen, meinte er sei Australier und eigentlich auch Radler, aber heute sei er froh, das Rad am Mývatn gelassen zu haben. Australier... Radler... da fängt irgendwas bei mir zu rattern an...
Aber fürs erste war mal wieder Pause und Fototermin angesagt, und ich ließ mich auch mal mit meiner eigenen Kamera knipsen. Der Tag wäre auch ohne Foto absolut unvergesslich eingebrannt bei mir. Nach kurzen aufmunternden Gesprächen schob ich mit einem Lächeln auf dem Gesicht neben der Piste am steckengebliebenem Bus vorbei, ließ die mal weiterschaufeln und -fluchen. Auf der nächsten kleinen Anhöhe hatte schon ein anderes Auto geparkt, mit Videokamera wurde das Geschehen festgehalten. Ich war bald wieder auf festem Terrain unterwegs und machte ein ganzes Stück zum Bus gut.
Trotzdem ging es noch weiter auf und ab, durch Sand über Felsen. Irgendwann kam von hinten ein alter roter Nissan oder sowas und hält neben mir. Drinnen sitzt eine junge Isländerin, macht die Beifahrertüre auf und schaut heraus. Ob ich irgendwas bräuchte oder sie mir irgendwie helfen könnte. Ob sie nicht vielleicht mein Gepäck mitnehmen sollte zur Kverkfjöll-Hütte... es gäbe auch eine kleine sehr gemütliche Hütte in Hvannalindir, nicht mehr allzuweit von hier, ob ich vielleicht dorthin wollte. Wirklich sehr nett und zuvorkommend, und sie kannte offensichtlich jeden Stein hier. Ich überlegte ein wenig, das mit dem Gepäck klang verlockend. Aber nachdem ich wirklich noch nicht wußte, wie weit ich an so einem Tag noch kommen könnte, beschloß ich, lieber all meine Sachen bei mir zu behalten, dann könnte ich zur Not irgendwo mein Zelt aufbauen und übernachten.
Mit den besten Wünschen verabschiedete sich also der alte rote Nissan oder sowas wieder, von hinten sah ich jetzt auch das selbe Nummernschild wieder wie vorhin. In mir kommt der Verdacht auf, daß das nicht unsere letzte Begegnung war, daß wir uns bei der Hütte in den Kverkfjöll wiedersehen würden. Jemand der diese Strecke an einem Tag zweimal fährt und noch dazu so hilfsbereit und nett ist und sich noch dazu so gut auskennt, das könnte ein Hüttenwart sein.
Irgendwann nach vielen Stunden Schieben wurde die Piste doch endlich wieder besser. Steiniger. Eine normale Hochlandpiste eben. Allerdings war ich einigermaßen erschöpft nach den Strapazen und es war deutlich später als ich geplant hatte. Der kleine Bus ohne Allrad und mit Anhänger (und mit diesem Australier) hatte zwar eine Stunde gebraucht, mich aber mittlerweile doch wieder überholt. Ich peilte für heute nur noch Hvannalindir an, wenn es da wirklich eine kleine nette Hütte geben sollte... warum nicht.
Und schließlich kam dann auch ein letzter kleiner Hügel, von dem man nochmals eine prächtige Aussicht hatte auf die Kverkhnjúkar, die Hügelkette nördlich der Kverkfjöll. Und vor der Hügelkette in einem kleinen Tal lag eine grüne Oase, Hvannalindir. In der Ferne konnte ich sogar schon die Hütte erahnen, und nicht weit davon fuhr gerade der kleine weiße Bus ohne Allradantrieb und mit Anhänger. Und irgendwo mittendurch floß die Lindaá, ein Fluß der die Oase mit frischem Quellwasser versorgt. Und irgendwo dort waren auch die zwei Furten, die die Straße noch durchquerte, bevor sie zur Hütte kam.
Naja, besser als Sand. Also rollte ich meinen Hügel wieder hinunter und stand auch schon direkt vor der ersten der beiden Furten. Und die sah dann doch recht wenig einladend und tief aus. Aber, nachdem ich erst vor wenigen Metern am Schild "Zelten Verboten" vorbeigekommen war und der Flecken als Rastplatz sowieso nicht sonderlich geeignet war, machte ich mich furtklar und schleppte meine Sachen in alter Radlermanier hinüber: erstmal hineinwaten und günstigste Stelle Suchen, Gepäck abladen, Fahrrad rüberschleppen, zurück durchs knietiefe Wasser, Gepäck anpacken und weils so schön war noch einmal ab durch den Fluß. Naja, hatte ich aber auch schon schlimmere Erlebnisse mit Furten.
Drüben ging es dann nochmal auf einen kleinen Hügel hinauf mit vielen Steinen rundherum, kein Sand, kein Grün, und dann wieder hinunter den Hügel. Und, wer hätte das gedacht, der selbe Fluß will schon wieder gefurtet werden. Drüben ist aber schon ein kleiner Parkplatz zu sehen und ein Fahnenmast ohne Fahne und ein Klohäuschen und das Hüttendach. Das vor Augen und den hier etwas weniger tiefen Fluß vor den Füßen, beschloß ich, hier nicht schon wieder mein Gepäck abzuladen, sondern in einem Zug durchzuschieben. Auch das war machbar, auch wenn es ein wenig tiefer war als ich gedacht hätte. Ein wasserdichter Packsack ist schon praktisch.
Drüben überdachte ich meine Optionen. Eigentlich war es noch nicht so spät, wenn es sein müßte, könnte ich sicher noch weiter bis zur Kverkfjöll-Hütte. Hier zu zelten ist strikt verboten, und nachdem ich das bißchen zarte Gras hier mitten zwischen Lava, Felsen und Sand gesehen hatte, hielt ich mich lieber auch daran. Blieb noch die Hütte. Eigentlich hatte ich noch nie in einer Hütte, unter einem festen Dach oder auch nur auf einer Matraze geschlafen, sooft ich auch in Island war. Mal sehen.
Nach einem flüchtigen Blick in die Hütte, eigentlich schon von außen, wie die sich da an die Felsen schmiegt, das muß ja gemütlich sein... Innen gab es drei Betten, zwei davon übereinander, einen kleinen Tisch, einen Gaskocher, kein fließend Wasser und eine Menge Kerzen. Aber alles in allem war die Entscheidung schnell gefallen. Die Hütte machte einen mehr als einladenden Eindruck.
Also schob ich mein Rad auf dem Fußpfad vor den Eingang, packte meine wichtigsten Sachen aus und richtete mich ein. Und ich lernte das Bezahlsystem des Ferðafélag Íslands endlich mal persönlich kennen. Nachdem es keinen Hüttenwart gab, nahm ich einen dafür bereitgelegten Umschlag, schrieb Namen und Adresse auf, steckte die ausgeschriebenen 1000 ISK hinein und ab damit in den Hausbriefkasten. Dank Gasherd brauchte ich heute auch nicht meinen Benzinkocher anwerfen, und ich hatte massenweise Kerzen und konnte außnahmsweise mal lange aufbleiben und lesen und sowas. Draußen wurde es mittlerweile schon so gegen halb zehn langsam düster.
Die windstille Hütte und ein richtiger Stuhl, das tat gut nach so einem Tag. Und es gab viele deponierte Teebeutel, so daß ich mal ein paar andere Sorten ausprobieren konnte. Und es gab ein Gästebuch, in dem ich schmökern konnte. Allerdings fand ich nur isländische Einträge. Die dafür auch aus den letzten zehn Jahren oder so. Kurz und gut, ich gönnte mir eine sehr entspannende Nacht, mit fließend Wasser aus der Lindaá, die weniger Algen hatte als das Wasser was ich heut morgen geholt hatte. Und auch wenn ich mein Tagesziel nicht erreicht hatte war ich hier richtig zufrieden.
Bilder der Tages:

19. August 2003
Kverkfjöll
Die Nacht über hat der Südwind draußen kräftig weiter geweht. Von meiner gemütlichen Liege konnte ich durchs kleine Fenster hinausschauen, aber der Sonnenaufgang war dann doch nicht mehr so ganz in meinem Blickfeld. Dennoch wachte ich zeitig auf. Das Zusammenpacken war heute mal recht schnell erledigt, ich mußte mal nicht mein Zelt abbauen. Dafür mußte ich die Stube fegen. Durch jede noch so kleine Ritze war schwarzer Sand hereingeweht und eine dünne Schicht lag nun überall, am Boden, am Tisch, und einfach überall. Und so kam ich auch erst nach dem Fegen zum Frühstücken. Und während ich meine Sachen raus zum Fahrrad trug, kam natürlich so viel neuer Sand herein, daß ich den gleich nochmal zusammenkehren mußte.
Nachdem ich auch den Gashahn außen wieder abgedreht hatte und die Türe zugezogen nahm ich Abschied von meiner gemütlichen Hütte, schob mein Gespann wieder auf die Piste und dachte an mein heutiges Tagesziel, Kverkfjöll. Das Wetter war mittlerweile deutlich ruhiger, der Südwind blies nur noch schwach und es waren Wolken aufgezogen, sah aber nicht nach Regen aus. Laut Karte mußte ich erst nochmal durch eine richtig sandige Ebene auf den Lindakeilir zufahren, dann durch ein paar kleine Hügel zur Kverkhnjúkarskarð, wo ich auf die andere Piste F902 zu den Kverkfjöll kommen sollte.
Also radelte ich zunächst noch an einem Lavafeld entlang. Die weite "Sandebene" konnte ich schon von weitem sehen, und da trauerte ich schon dem kleinen grünen Flecken Hvannalindir nach. Allzuviel Sand war in der Ebene eigentlich nicht, hauptsächlich Steine in allen möglichen Variationen. Ein wenig fühlte ich mich an die Marsbilder erinnert, die man immer so zu sehen bekommt. Bloß daß mitten durch diese Marslandschaft eine kaum erkennbare Piste führte. Und typisch für eine Ebene konnte ich die Berge vor mir zwar langsam näher und näher kommen sehen, hatte aber trotzdem nicht das Gefühl, daß ich vorankäme.
Nach schier endloser Zeit hatte ich endlich wieder Hügel auf beiden Seiten um mich. Es ging zwar auch wieder ein wenig auf und ab, aber das war mir insgesamt lieber als die öde Ebene hinter mir. Und nach ein paar Biegungen entdeckte ich an den schwarzen Hängen sogar leuchtend rote und andere Gesteine, so daß es richtig was zu sehen gab. Und im Handumdrehen stand ich dann auch schon vor einem einsamen gelben Wegweiser und hatte meine erste Etappe für heute erreicht. Ich war überrascht, daß ich keine Probleme mit tiefem Sand hatte bisher.
Ich bog ab auf das verbleibende Stück Piste Richtung Kverkfjöll. Der Weg führte geradewegs wieder hinaus aus den Bergen und vor mir öffnete sich die Landschaft wieder, diesmal in Form eines Lavafeldes. Und irgendwo am Ende des Lavafeldes müßte ich an eine Hütte kommen. Also radelte ich mit gutem Mut voran, ein Stück hinauf, ein Stück hinab, über blanken Basalt und über ein wenig Sand. In Windeseile kam ich vorwärts. Zumindest hatte ich so einen Eindruck.
Als sich der Pistenverlauf ein wenig beruhigt hatte und ich nurmehr auf einer Steinebene unterwegs war, ohne dem zerklüfteten Lavafeld, kramte ich nochmal die Karte raus. Das Stück kam mir deutlich länger vor, als es da eingezeichnet war. Nagut, zum Falsch-Abbiegen hatte ich nicht so viel Gelegenheit in letzter Zeit, also muß ich ja irgendwann ankommen.
Über mir zogen dicke Wolken her, und eigentlich rechnete ich jeden Moment mit Regen. Nicht zuletzt deswegen war ich so begierig, anzukommen. Aber ich kam nur an immer neuen einsam in der Ebene stehenden kleinen Bergen vorbei, die Hügelkette links neben mir führte auch ewig geradeaus in die selbe Richtung, und die steinige Ebene nahm sowieso kein Ende. Bald hatte ich die verstreuten Gipfel auf meiner rechten Seite alle hinter mir gelassen und eine offene Sicht auf den Gletscher Dyngjujökull, wie der Vatnajökull hier heißt. Rund um diesen Eisschild flossen unzählige kleine Schmelzwasserbäche ab und vereinten sich zur Jökulsá á Fjöllum. Schon jeder einzelne dieser "Bäche" war beeindruckend, erst recht je weiter sie am Nordende der Eiszunge waren. Irgendwo hinter dem unentwirrbaren Geflecht aus Inselchen und Wasseradern konnte ich den alten Schildvulkan Trölladyngja erkennen und später auch die Askja östlich davon, über der sich schon wieder ein Sandsturm zusammenbraute.
Alles in allem kam ich nach sehr viel mehr Zeit als ich gedacht hätte und mit sehr viel weniger Sand als ich gefürchtet hätte auf einen letzten Hügel. Vor mir lag eine steile Abfahrt, und am anderen Ende des kleinen Tals sah ich die Hütte, Sigurðskáli. Endlich. Auf dem letzten Stück überholten mich mal wieder zwei Jeeps, aber insgesamt war wenig Verkehr unterwegs heute. Und als ich mein Fahrrad an der Hütte abstellte, sah ich auch viele alt bekannte Fahrzeuge der letzten Tage wieder. Unter anderem den kleinen weißen Bus ohne Allradantrieb mit dem Anhänger.
Erstmal ging ich in die Hütte, um für den Zeltplatz zu zahlen. Und um herauszufinden, wo denn die berühmten heißen Quellen eigentlich zu finden sind und wo man sonst noch hinwandern könnte. Und, wie erwartet, traf ich dort die Isländerin wieder, die mir gestern angeboten hatte, mein Gepäck zu transportieren. Sie empfahl mir zwei Wanderungen, den Biskupsfell hinauf, gleich hinter der Hütte, und das würde so etwa 4 bis 5 Stunden dauern. Oder eine Tageswanderung ins Hveradalur, zu den heißen Quellen. Allerdings ist die Brücke auf dem "normalen" Wanderweg vor etwa zwei Wochen davongespült worden, also müßte ich über den Gletscher. Und da gibt es hier und dort ein paar Spaltenfelder, da müßte ich aufpassen. Und das würde so etwa 8-10 Stunden dauern. Hmm. Über den Gletscher. Na das klingt ja lustig.
Aber nachdem es mittlerweile sowieso schon Nachmittag war, beschloß ich erstmal mein Zelt aufzubauen und heute nur noch auf den Biskupsfell zu steigen. Also suchte ich mir ein grünes Fleckchen auf dem "idyllischen" impotierten Rollrasen, direkt unter dem großen Stein, falls den jemand kennt, und schlug mein Lager auf. Dabei merkte ich, daß einer der Reißverschlüße in meinem Außenzelt nicht mehr schloß. Offensichtlich nahm mein Zelt mir das übel, daß ich gestern zum ersten Mal in der Hütte geschlafen hatte und das Zelten bleiben ließ. Aber solang es nicht regnet und wenn ich ja bald sowieso am Ende meiner Reise wäre, konnte ich damit leben.
Einigermaßen frustriert hatte ich bald meine Sachen vom Anhänger ins Zelt umgeladen und ließ das alles hinter mir um mich mit meinen Wanderstiefeln aufzumachen in Richtung Biskupsfell. Unterwegs besserte sich meine Laune wieder zusehends. Der Weg war zunächst gut markiert und einfach zu gehen, und als die Hütte erstmal ausser Sicht war und ich auch an ein paar schnatternden Italienern vorbei war, war auch das letzte bißchen Zivilisation schier endlos weit weg.
Über schwarze Geröllbrocken führte mein Pfad. Überhaupt war schwarz schon fast seit Hvannalindir durchgehend die dominierende Farbe. Die Berge, Hänge und Hügel rundherum waren schwarz, der Weg sowieso, das Gletschereis, das man gelegentlich sah, war auch eher schwarz-grau, und am Himmel zogen ebenfalls mehr und mehr dunkelgraue Wolken zusammen. Eine düstere Mondlandschaft.
Der Weg teilte sich und führte mich bald steil den Hang hinauf, über ein paar Schneefelder und immer steiler immer weiter hinauf. Allerdings hielt sich die Aussicht in Grenzen, auf der einen Seite ging es nur bergauf, auf der anderen Seite war fast nur der Virkisfell zu sehen. Als ich aber schließlich nach einem weiteren Bogen endlich an den Gipfel des Biskupfell kam, war das schon deutlich besser mit dem Rundumblick. Im Norden erhoben sich die vielen Bergrücken des Kverkfjallarani, rundum im Süden war der Eispanzer des Vatnajökull zu sehen. Besonders gut zu sehen war allerdings der Kverkjökull, eingerahmt auf beiden Seiten von steilen Bergwänden.
Auf dem westlichen Teil des Kverkfjöll, über dem Gletscher und über einem Schneefeld, sollte das Hveradalur liegen mit den berühmten heißen Quellen. Ich konnte sogar den Dampf aufsteigen sehen, oder bessergesagt erahnen. Von da hat man sicher ne tolle Aussicht. Aber als ich so davorstand sank mir ein wenig der Mut. Über den Gletscher, da hinauf? Na das kann ja heiter werden. Für heute drehte ich erstmal wieder um, nachdem ich genug Aussicht genossen hatte, und wanderte den ganzen steilen Weg wieder zurück. Im Vergleich zu dem Gletscher da drüben war das hier wohl doch eher Kleinkram.
Um trotzdem nicht genau die selbe Route zurückzuwandern, die ich schon hergekommen war, wandte ich mich bei der einzigen Weggabelung weit und breit nach rechts, um auf der anderen Seite des Virkisfell herauszukommen. Das Ende dieses Weges hatte ich vom Fahrrad aus schon gesehen, denn das letzte Stück führte direkt an der Piste entlang. Aber soweit war ich noch nicht.
Als der Kverkjökull von etwas weiter unten nicht so recht zu sehen war, sah der Biskupsfell auch gleich viel beeindruckender aus. Und es ist immer ein wenig ein eigenartiges Gefühl, wenn man denkt, da oben auf dem Felsen war ich grad eben noch gestanden. Auch der weitere Abstieg gestaltete sich interessanter als der Herweg. Ich kam an ein erkaltetes Lavafeld, in das Schnee und Schmelzwasser richtige glatte Rinnen geschliffen hatten. Dort zu laufen war wiedermal etwas völlig anderes und machte richtig Spaß.
Schließlich war ich aber wieder beim Zelt und bei der Hütte. Ich wollte noch zu Abend essen und mich bei der Gelegenheit ein wenig umhören, wie das denn nun ist mit dem Gletscher. Von der Hüttenwärtern hatte ich erfahren, daß eine Gruppe heute die Tour zum Hveradalur hinauf gemacht hatte und morgen noch eine Gruppe hinauf wollte. Die zweite Gruppe war gerade draußen beschäftigt, im Wind ihre Zelte auszupacken und aufzubauen. Die erste Gruppe versammelte sich grade drinnen zum Essen.
Ein klein wenig überrascht war ich schon, aber eigentlich war ja zu erwaten, daß das die Gruppe mit dem kleinen weißen Bus ohne Allradantrieb und mit Anhänger war. Sie erzählten mir, daß sie gestern abend angekommen waren, nachdem sie noch dreimal im Sand steckengeblieben waren, und heute eben mit Guide über den Gletscher und so geklettert waren, und daß das alles ganz toll war und so, und daß die Gletscherspalten aber ganz schön beeindruckend waren und so, und daß sie das ohne einem ortskundigen Guide auf keinen Fall machen würden. So schön wie die das da oben beschrieben haben, igendwie kam in mir mehr und mehr die Vermutung auf, daß ich morgen da hochklettern würde, mit oder ohne Guide. Mal sehen, was die andere, französische Gruppe morgen machen würde.
Ausserdem stellte sich heraus, daß die meisten aus der Gruppe ihre Reise über Bruno in Hamburg organisiert hatten, mit dem ich vor langer Zeit auch schonmal E-Mail Kontakt hatte, und der hatte ihnen die "Fire&Ice"-Tour vom Mývatn hierher wärmstens empfohlen. Tja, so klein ist Island. Ich hatte meine Nudeln bald fertiggegessen, knabberte ein wenig Kekse und trank Tee. Irgendwann zog ich mich dann in mein Zelt zurück, nachdem ich doch keine praktischeren Tips bekommen konnte als "ohne Guide kommt man da aber nicht hoch". Wenigstens bekam ich von der netten Hüttenwärterin, die ich gestern schon getroffen hatte, noch ein paar alte Ski-/Wanderstöcke geliehen, für den Gletscher...
Bilder der Tages:

20. August 2003
Kverkfjöll





Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war es bewölkt, hauchfeiner Nieselregen hing in der Luft und alles war recht nass. Aber ich dachte mir, das bin ich ja gewöhnt, entweder es lockert bis spätestens 12 Uhr auf und ich hab heut noch einen wunderbaren Sonnentag, oder das wird nichts mehr mit dem Wetter und ich kann auch nichts dagegen machen. Also kann ich ja getrost mal aufbrechen in Richtung Hveradalur und später immer noch umdrehen. Soviel zum Plan.
Erstmal bin ich jedenfalls rausgekrochen aus meinem Zelt und traf endlich mal meinen Zeltnachbarn, den Australier aus der Busgruppe. Wir kamen ein wenig ins plaudern, eigentlich ist er auch Radler wie gesagt, er ist schon über Sprengisandur und Gæsavatnaleið gekommen dies Jahr, hatte dort einen Sandsturm und nun fürs erste genug vom Sand. Aber noch nicht vom Hochland. Deshalb hat er diese Bustour mitgemacht. Australier, Gæsavatnaleið, ratterratterratter. Ich fragte ihn, ob er vielleicht mal eine E-Mail an einen deutschen Radler geschrieben hatte wegen Informationen zur Gæsavatnaleið, irgendwann dies Frühjahr. Tatsache. Das war ich. Er hatte meine Mail ausgedruckt, von Australien nach Island mitgeschleppt, reichlich benutzt und jetzt in seinem Zelt direkt vor meiner Nase liegen. So klein ist Island. Viele Grüße an dieser Stelle an Mike in down-under...
Aber der kleine weiße Bus ohne Allradantrieb und mit Anhänger und Mike mußte bald weiter Richtung Askja und zurück zum Mývatn. Der alte rote Nissan oder sowas fuhr als Begleitfahrzeug mit, falls der Sand gar zu schlimm würde. Und ich brach auch bald auf Richtung Gletscher. Ich packte die geliehenen Ski-/Wanderstöcke auf meinen Rucksack, nahm noch eine Thermoskanne voll heißem Tee mit und radelte los.
Erstmal mußte ich noch ein kurzes Stück bis zum Fuß des Gletschers fahren. Da führte die Piste noch hin, und da wollte ich mein Rad dann deponieren. Unterwegs gab es jedoch noch einen recht tiefen Fluß zu furten, also änderte ich den Plan und wollte schon hier loswandern. Und gerade als ich mein Rad hingelegt hatte und die Watsandalen herauskramte, da kamen ein paar französiche Landrover an. Sie boten mir an, mich das kurze Stück mitzunehmen. Angesichts des kalten reißenden Gletscherflusses nahm ich das Angebot dankend an, es waren sowieso nur noch wenige hundert Meter bis zum Ende der Piste.
Die Franzosen waren noch nicht die Busreisegruppe, die heute auf den Gletscher wollte, sondern auf eigene Faust mit ihren Fahrzeugen unterwegs. Sie hatten eigentlich nur recht wenig Zeit, wollten einmal in ihrem Urlaub ein wenig auf einen Gletscher laufen und mußten dann schon wieder weiter. Und sie waren größtenteils aus Strassburg und sprachen ein wenig Deutsch. Also spazierten wir ein Stückchen gemeinsam vom Parkplatz aus weiter, zunächst zur berühmten Eishöhle am Fuß des Gletschers. Betreten konnte man die nicht, das Wasser war zu reißend und ein trockenes Ufer gab es nicht. Trotzdem beeindruckend, was da für Wassermassen unter dem Gletscher hervorquollen.
Und sehr beeindruckend war auch der Gletscher oben drüber. Ich war eigentlich noch nie auf sowas entlanggeklettert und hatte keine Ahnung davon. Hoffentlich kommt die Gruppe bald, die da heute auch hinaufwill und nimmt mich mit. Und während wir ein wenig zurückmarschierten um einen Aufstieg auf das Eis zu finden, kam auch tatsächlich der Bus an. Ich unterhielt mich ein wenig mit deren Guide. Die machte einen ziemlich lustlosen Eindruck als hingen ihr die ewigen Touristen langsam zum Halse heraus, und sie meinte, daß sie heute wohl nur ein Stückchen hinauf auf den Gletscher wollten und nicht ganz bis zu den heißen Quellen am Hveradalur.
Also würde ich das wohl doch alleine versuchen müssen. Wenigstens hatte die Hüttenwärterin mir schon gesagt, wenn ich bis abends nicht zurück wäre, würde sie sich persönlich aufmachen um mich zu suchen.
Zusammen mit vielen Franzosen um mich und doch irgendwie allein marschierte ich also in Richtung Eis. Die Stöcke hatte ich natürlich schon lange griffbereit, aber solang ich noch auf dem Gletscherschutt unterwegs war, fand ich die eher störend. Irgendwann ging es dann über ein bißchen Schnee, und bevor ich es richtig merkte war ich auch schon auf hartgefrorenem Eis unterwegs. Auf dem Gletscher. Es war ein wenig rutschiger, aber ansonsten eigentlich als ginge man auf hartem, blankem Fels herum. Die Skistöcke waren jetzt doch recht praktisch, nachdem ich keine Grödel unter den Schuhen hatte waren sie eigentlich das einzige was mir einigermaßen sicheren Halt bot. Wenn ich sie nicht gehabt hätte, wäre ich auch nach einer kleinen Runde auf dem Eis wieder umgedreht in Richtung sicheres Zelt. Aber so ging ich munter weiter und weiter hinauf.
Die reichlich große Gruppe verstreute sich recht bald auf der Eisfläche, nichts von gerade in einer langen Reihe bergauf, sondern eher in kleinen Dreiergrüppchen oder so nebeineinander her. Die Busgruppe blieb gleich etwas zurück und montierte erstmal Grödel unter den Schuhen. Die Landroverpiloten drehten bald einer nach dem anderen um, sie mußten ja noch ein Stück weiter heute. Und so war ich schnell völlig allein.
Unter meinen Füssen waren ständig kleinere Rinnen, in denen das Schmelzwasser abfloß. Da konnte ich aber immer problemlos drüber steigen. Ständig gurgelte und gluggerte es überall in verschiedensten Tonhöhen, meistens irgendwo tief unten im Eis. Diese Geräuschkulisse wurde jetzt um so deutlicher, als sich alle anderen verabschiedetet hatten und ich alleine auf dem Eis war.
Nach allem was ich wußte gab es derzeit drei größere Spaltenfelder im Eis und man konnte zwischen zweitem und drittem oder hinter dem dritten irgendwie hindurchkommen auf die andere Seite des Gletschers. Dort drüben sollte es dann in einem einfachen Schneefeld weiter bergauf zu den heißen Quellen im Hveradalur gehen. So zumindest sah das auf der Karte aus, die in der Hütte an der Wand hing, und das Schneefeld und den Fußpfad quer dort hindurch konnte man auch problemlos von unten erkennen. Aber auf dem Eis konnte ich mich nicht so recht orientieren, ob das jetzt das zweite oder das dritte Spaltenfeld war... oder vielleicht ist das schon das vierte?
Jedenfalls hielt ich mich daran "ein ganzes Stück auf der einen Seite hinaufgehen, dann in einer geraden Linie hinüber zum Anfang des Schneefeldes", das hatte mir der Guide der Franzosen grade eben noch gesagt und das war einfach zu finden. Also nahm ich mir vor, oberhalb eines Eisbuckels, das dritte Spaltenfeld meiner zählweise, in gerader Linie hinüber zu wandern. So weit, so gut. Die Rinnen unter mir wurden immer tiefer und tiefer, bald mußte ich schon richtig weite Schritte machen um hinüberzukommen. Einige der Rinnen waren mittlerweile auch richtig tief. Aber oberhalb von meinem Buckel hinüber geradewegs auf das Schneefeld zu, das müßte doch der richtige Weg sein.
Die Rinnen wurden zusehends zu richtigen Spalten, dazwischen wie Inseln einige Eisblöcke auf denen ich gut vorankam. Problem war nur immer von einer Insel zur nächsten zu kommen. Und so kam ich nur schleppend voran, drehte immer wieder ein paar Schritte um, und kam mehr und mehr zum Schluß, daß das hier doch nicht der richtige Weg sein könnte. Mitten durch ein Spaltenfeld, das bisher hinter dem Eisbuckel verborgen war, kletterte ich nun "bergab", dort unten schien es wieder angenehmer zum Laufen zu sein und mit weniger Spalten. In Gedanken sah ich mich aber schon irgendwo zwischen den glatten Eiswänden festsitzen, meine Teekanne aus dem Rucksack kramen und zu waren, daß jemand von der Hütte mich suchen kommt. Andererseits saß ich sowieso schon mitten drin in diesen Spalten und würde nie und nimmer gefunden werden. Die Wanderstöcke waren wieder fast ein wenig hinderlich, meistens kletterte ich irgendwie auf allen Vieren von der einen Eisinsel zur naechsten. Und nach ein bißchen Nervenkitzel hatte ich das Schlimmste auch bald hinter mir. Die Spalten wurden wieder kleiner und kleiner, eher zu Rinnen in denen das Schmelzwasser abfließt. Ich kam wieder zügiger voran. Und endlich wanderte ich wieder mit Stöcken und recht bequem über eine glatte Eisebene, das letzte Stück vor dem Schneefeld und dem sicheren, festen Untergrund. Ich empfehle das hiermit nochmal ausdrücklich nicht zur Nachahmung, auch wenn ich offensichtlich nochmal Glück hatte!
Das war also hoffentlich nicht der einfachste Weg, den ich da gewählt hatte. Aber wenn ich jetzt schonmal so weit war, dann wollte ich die einfachere Hälfte übers Schneefeld bis zum Hveradalur auch noch in Angriff nehmen. Zurück müßte ich allemal irgendwie. Vor mir lief der Gletscher in einem Schneefeld aus, unter und neben dem man schon Fels und Geröll sehen konnte. Dort ging es sich deutlich einfacher. Auch wenn der Weg bald steil anstieg, ich hatte deutlich mehr Zeit und Ruhe, den fantastischen Ausblick zu genießen, der sich hinter mir nach Norden und Westen hin öffnete und mit jedem Höhenmeter noch ein bißchen besser wurde.
Der Weg war natürlich schon längst nicht mehr markiert. Hier oben im Schnee konnte ich aber den Spuren der gestrigen Gruppe folgen. Es ging zeitweise über kleine Geröllflächen, die aus dem Schnee herausragten, insgesamt war dies jedoch der deutlich einfachere Teil meiner heutigen Tour. Und nach etwa einer guten Stunde Aufstieg konnte ich schon Schwefelgeruch wahrnehmen. Mein Ziel war also nicht mehr weit.
Die heißen Quellen reihten sich bald eine an die andere. Teilweise waren sie unter dem Schnee und man konnte nur die Dampfabzugslöcher sehen. Teilweise lagen die schweflig rot und gelb leuchtenden Solfataren direkt am Rand von Eis und Schnee. Aber was mich eigentlich noch viel mehr faszinierte war die Aussicht. Unter mir lag das gesamte östliche Hochland. Angefangen mit dem gewaltigen Vatnajökull und seinem Ausläufer Dyngjujökull, der mit seinen unzähligen kleinen Schmelzwasserbächen die Jökulsá á Fjöllum speist, dahinter im Dunst der Schildvulkan Trölladyngja, Askja und die Dyngjufjöll, das ganze Jahr über mit den typischen kleinen Schneefeldern gesprenkelt, der unverwechselbare Tafelberg Herðubreið, klein daneben die Pyramide der Upptyppingar und schließlich die vielen Reihen und Bergketten in Nord-Süd Ausrichtung. All das überspannt von einem strahlend blauen Himmel, nachdem sich mittlerweile die Wolken fast spurlos aufgelöst hatten. Einfach unbeschreiblich, besser kann man sich das gar nicht wünschen.
Ich machte eine ausgiebige Rast, die ich mir nach dem anstrengeden Aufstieg verdient hatte und genoß es eine Weile einfach nur dazusitzen. Irgendwann brach ich aber doch nochmal auf, um ein wenig weiter bergauf zu gehen, weiter an den heißen Quellen entlang. Schließlich kam ich an ein richtiges Tal, das wohl erst den Namen Hveradalur verdient hat. Aus schwarzem Gestein stieg hier Dampf auf, überall waren Schneeflecken dazwischen. Unglaubliche Farbkontraste auf engstem Raum.
Ein Stückchen weiter oben sollte die Hütte eines Gletscherforschungsvereins sein. Ich wanderte noch ein wenig in dieser Richtung auf dem ausgetretenen Pfad durch den Schnee. Aber mittlerweile zogen oberhalb über den Bergkamm wieder ein paar neue Wolken und Nebelschwaden. Und nachdem sich das Wetter in den Bergen ja angeblich schneller ändert als man denkt, und ich nicht im geringsten Lust hatte, bei Regen oder Nebel über den Gletscher zurückzuwandern, beschloss ich doch lieber wieder umzudrehen. Die Tour hatte sich trotz der Strapazen voll und ganz gelohnt, die heißen Quellen und die Aussicht waren den Tag mehr als wert.
Also kehrte ich um, stapfte durch den Schnee zurück an den heißen Quellen vorbei und hinunter in Richtung Gletscher. Vor mir lag nun die ganze Zeit das atemberaubende Panorama des Hochlandes, auch wenn sich der blaue Himmel von Osten her zusehends wieder eintrübte. Auch hatte ich jetzt Gelegenheit, mir von oben mit mehr Übersicht (und mehr Erfahrung) eine bessere Route über das Eis zu suchen. Spaltenkletterei muss ja nicht schon wieder sein und ich konnte eine Route ausmachen, die ziemlich spaltenfrei aussah und einfach zu bewältigen.
Beim Absteigen durch den Schnee waren die Skistöcke wieder eine große Hilfe. Unzählige Male rutschte ich aus und konnte mich an den Stöcken festhalten. Insgesamt kam ich aber sehr zügig voran, es ging ja auch bergab. Nach nur einer halben Stunde bergab durch den Schnee stand ich dann wieder auf dem Eis.
Meine neue Route führte mich deutlich weiter unten über den Gletscher. Das Spaltenfeld umging ich somit komplett und es ging geradeaus und zügig voran. So machte das richtig Spaß auf dem Gletscher. Außerdem war die Oberfläche jetzt am Nachmittag deutlich rauher und weniger glatt, angetaut von den Sonnenstrahlen. Ich kam bald an eine große ebene Fläche unterhalb des Eisbuckels, den ich am Vormittag umwandert hatte. Hier fanden ich unzählige große Haufen schwarzen Sandes. Und außerdem hörte ich Wasser rauschen, so als wäre ich direkt über dem Fluß der am Ende des Gletschers ans Tageslicht kommt. Bald merkte ich aber, daß stattdessen eine große Schmelzwasserrinne das Geräusch verursachte. Und diese Rinne kreuzte zum Glück nicht einmal meinen Weg, sondern mündete in ein großes tiefes Loch, etwa ein Meter im Durchmesser und vermutlich unendlich tief. Dort hinein in die Dunkelheit stürtzte auch das Wasser. Faszinierend, was man am Gletscher so alles entdecken kann, aber einen respektvollen Abstand hielt ich doch lieber auf der etwas rutschigen Oberfläche.
Mittlerweile waren richtig viele Wolken über den Bergkamm gezogen. Ich wäre zwar wahrscheinlich noch problemlos mindestens bis zu dieser Gletscherforscherhütte oben am Berg gekommen, aber nachdem ich ja nicht wußte, daß ich bergab so viel schneller und einfacher vorankäme als bergauf war ich insgesamt froh, daß ich schon fast wieder unten und in Sicherheit war. Fast. Vor mir lag nur noch die spaltenfreie nordöstliche Hälfte des Gletschers. Und dann war da ja noch dieser Gletscherfluss, den ich heute morgen so bequem im Jeep überqueren durfte.
Weil es gar so gut voranging und wie gesagt mittlerweile richtig Spaß machte, am Gletscher zu "spazieren", beschloß ich, ihn komplett zu queren und somit den Fluß auch diesmal trockenen Fußes zu umgehen. Gesagt getan wanderte ich schnurstracks zügig vorwärts geradeaus. Die Sonne hatte ja mittlerweile die Oberfläche des Gletschers deutlich angeheizt und aufgerauht. Außerdem hatte sie aber die kleinen Schmelzwasserrinnsale von heute morgen zu richtigen Bächen anschwellen lassen. Somit war für mich die zweite Hälfte des Gletschers diesmal zwar spaltenfrei, stellenweise aber ziemlich rutschig und nass mit all dem Wasser. Und in gerader Linie weit unter mir kam der Gletscherfluß gerade aus dem Eis hinaus, eine unangehme Aussicht für einen Ausrutscher.
Aber ich hatte auch diesmal Glück und so kam ich bald zwischen Steinen, Sand und Geröll an der Endmoräne heraus. Zunächst war das auch recht schwieriges Gelände, ich sackte tief in den feuchten Boden ein während es hangabwärts ging. Aber schließlich kam ich auf die Höhe des Gletscherflusses, der jetzt harmlos neben mir dahinfloß und mir nicht den Weg versperrte. Im Flußbett waren unzählige kleine Steine die für einen festeren Untergrund sorgten, als der Sand weiter oben an den Hängen. Außerdem kam ich bald wieder auf einen markierten Wanderweg mir rot leuchtenden Pflöcken. Der restliche Heimweg würde also ein Kinderspiel werden.
Die Pflöcke führten mich geradewegs zu meinem Fahrrad zurück, daß ich bei der Furt und bei der Piste deponiert hatte. Dort hatte ich mir wieder eine Pause verdient, und blicke zurück auf den Gletscher, das Schneefeld und den Gipfel. Meine gesamte Route konnte man von hier sehen, und auch den Dampf der heißen Quellen, der sich gerade mit Wolken und Nebelschwaden vermischte, die über den Hang krochen. Ein atemberaubender Tag mit vielen Erlebnissen war das, vermutlich einer der besten meines ganzen Urlaubs.
Ich packte die Wanderstöcke wieder an den Rucksack und los ging es mit dem Fahrrad auf der Piste in Richtung Hütte. Dort traf ich gleich den Guide der französischen Truppe wieder, die nur ein bißchen am Gletscher herumklettern wollten. Sie fragte mich, ob ich ganz hinauf gekommen wäre und wie lang ich gebraucht hätte. Sieben Stunden. Normalerweise ist die Tour für 8-10 Stunden ausgelegt. Ich bereute doch ein wenig, daß ich nicht bis zur Gletscherhütte hinaufgewandert war. Trotzdem, eine unvergessliche Tour.
In der Hütte traf ich auch die Hüttenwärterin wieder, eifrig beschäftigt neue Gäste unterzubringen. Also brachte ich ihr nur schnell die Skistöcke wieder und meldete mich zurück. Muß mich an dieser Stelle nochmal herzlichst bei den diesjährigen Hüttenwarten dort oben bedanken. Die waren wirklich sehr nett.
Mittlerweile war noch eine andere Busgruppe angekommen. Insgesamt waren jetzt die Franzosen, ein englischer Geologentrupp und eine buntgemischte "englische Gruppe" an der Hütte. Die Franzosen mussten draußenbleiben bei ihren Zelten und in ihrem Gruppenzelt. Die Geologen hingen ständig am Funkgerät, studierten Karten und diskutierten. Irgendwo wollten sie einen Flieger chartern für Luftaufnahmen oder so, sie hatten scheinbar ständig was Neues im Sinn. Und die "englische Gruppe" war eigentlich gar keine englische Gruppe, sondern eine Gruppe mit ein paar Amerikanern, ein paar Engländern, ein paar Australiern und einem neuseeländischen Guide, der praktischerweise Andy hieß, genau wie der Guide der Geologentruppe. Das führte dann auch zu lustigen Verwirrungen als das NMT-Funktelefon klingelte und jemand Andy sprechen wollte. Aber nicht "Andy the Kiwi" natürlich.
Die Gruppe erwähne ich deshalb so ausführlich, weil die mich zum Abendessen einluden. Ich hatte zunächst nur den einsam in der Hütte sitzenden Busfahrer kennengelernt, ein Isländer der noch nie hiergewesen war und sich aber sehr dafür interessierte, was es nicht alles für Verrückte gibt, die sogar mit dem Fahrrad hierher radelten. Als nächstes hatte ich in der Küche unter anderem deren isländische Köchin kennengelernt, aber deren Geschichte kommt später. Und schließlich hatte ich auch "Andy the Kiwi" kennengelernt, der schon zig mal in Island war und auch Isländisch sprach und als einziger von der ganzen Truppe wußte, wo's langging.
Und die luden mich nun zum Abendessen ein. Sie hatten Kartoffeln, Gemüse, Kjötbollur (Fleichbällchen) und sogar Wein aus nem TetraPak. Irgendwie clever, sich all sein Luxusgerümpel im Bus mitzunehmen. Jedenfalls war ich für die genauso eine Besonderheit, als Radler mit Anhänger und Zelt, wie die für mich eine Besonderheit waren, als leicht chaotische Reisegruppe die mal nicht nur mit sich selbst beschäftigt ist, wie die meisten, sondern auch für andere offen ist.
Jedenfalls verging der Abend wiedermal wie im Fluge und ich wurde pappesatt und bekam sogar noch Kjötbollur als Wegzehrung für morgen eingepackt. Draußen hatte es dagegen mittlerweile zu regnen und zu stürmen angefangen. Richtig ungemütlich. Trotzdem verkroch ich mich in mein Zelt draußen, das schon so manchem Wind in Island getrotzt hatte. Auch wenn der kaputte Reißverschluß jetzt irgendwie ärgerlich war.
Bilder der Tages:

21. August 2003
zur Askja

Es hat die ganze Nacht weiter gestürmt. An sich störte mich das nicht und ich konnte ganz gut schlafen. Aber igendwie tröpfelte das durch den Reißverschluss doch ein wenig durch, so daß der Sturm nicht ganz so spurlos an mir vorüberging wie mancher andere. Naja, was mich mehr störte, es sah auch nicht so aus als würde es bald aufklaren und ich wollte heute weiterradeln. Eigentlich mußte ich sogar weiterradeln, weil ich bald in Akureyri sein mußte, zum Studieren. Außerdem hatte ich nicht so viel Lust darauf, in einem Zelt mit Loch einen Regentag auszusitzen. Also bekam ich wohl doch noch meinen Regen ab nach so viel Sonnenschein in den letzten paar Wochen.
Erstmal frühstückte ich ein wenig in der Hütte, während Boden von Isomatte und Zelt noch ein wenig trocknen durften, soweit das bei solchem Wetter möglich wäre. Natürlich war auch die englische Gruppe grade beim Frühstück. Die hatten eigentlich vorgehabt, heute zum Hveradalur aufzusteigen, saßen bei dem Regen aber dann doch lieber in der Hütte. Als ich erzählte, ich würde heute wohl noch weiterradeln, boten sie mit an, doch bis morgen zu warten und dann bei ihnen im Bus mitzufahren. Aber irgendwie lehnte ich das dankend ab. So ein bißchen Regenwetter, das gehört doch dazu zum Islandurlaub. Und ich mußte doch wenigstens einmal komplett durchnäßt werden, sonst fehlt was an dem Urlaub. Ich verabredete mich aber mit der Gruppe, die wollten nämlich morgen ebenfalls zur Askja. Wenn es dann weiter regnen würde, dann vielleicht.
Ich packte also meine Sachen zusammen, alles war irgendwie ein wenig näßer und schwerer als sonst. Am Ende stand nur noch das Zelt und ich saß drinnen. Das Zelt ist bei solchem Wetter immer das komplizierteste und vorhin konnte ich schon zuschauen, wie die französische Gruppe ihre roten Firstzelte mit Müh und Not und vielen Händen bei dem starken Wind zusammenrollten. So ähnlich hab ich das dann auch gemacht, bloß mit weniger Händen und dafür im Windschatten der Hütte. Im übrigen blies es aus Norden, also zum einen vom offenen Atlantik her und ohne Regenbarriere, und zum anderen mir geradewegs entgegen.
Ich verabschiedete von der ganzen Hüttenbesatzung, bekam etliche bemitleidende Blicke und die besten Wünsche mit auf den Weg und es ging los, eingepackt in all mein Regenzeug. Ich war noch nicht lange unterwegs da schien es mir, daß es doch noch aufklaren würde, der Regen ließ ein wenig nach und hörte zeitweise sogar ganz auf. Aber von blauem Himmel immer noch keine Spur.
Nach einer Stunde hatte ich die erste Etappe durch die schwarze Steinwüste und vorbei an den schwarzen Bergstümpfen hinter mir und war wieder an der Wegkreuzung mit der F903 in Richtung Hvannalindir. Außerdem war ich jetzt ein Stück lang geschützt vom stärksten Regen und Wind zwischen den Bergen unterwegs. Und es gab im übrigen noch einen Grund, warum es mir gar nicht so viel ausmachte bei dem Regenwetter unterwegs zu sein. Der Sand, durch den ich so beschwerlich nach Süden geschoben hatte, war durch das viele Wasser gebunden und fest. Absteigen und Schieben war für heute nicht mehr angesagt.
So radelte ich durch die Täler der Kverkhnjúkar und war noch ganz guter Laune. Als ich dann am Nordende herauskam und wieder eine Ebene um mich hatte, sank meine Laune aber wieder. Ich konnte richtig zuschauen, wie der Wind die Regenschauer über das Land vor mir hinpeitschte. Aus der Ebene ragt normalerweise ein letzter versprengter Berg, Rifnihnjúkur. Von dem sah ich aber wieder nur den unteren Stumpf und sonst nur Regen, Nebel oder Wolken, wie mans nimmt. Wo die Tropfen am Boden zwischen Steinen und Sand aufschlugen spritzte es gleich wieder auf, so daß von unten ebenfalls eine feine nebelartige Wolkenschicht aufstieg. Und irgendwo dazwischen stand ich mit Fahrrad und Anhänger und Regenzeug. Mein altes Regenzeug war derartigen Wassermassen aber nicht mehr ganz gewachsen, die Kapuze wurde sowieso meistens nach hinten weggeweht. Kurz gesagt wurde ich einigermaßen durchnäßt, vom kalten Nordwind schön ausgekühlt und bereute nun doch ein wenig, heute überhaupt aufgestanden zu sein. Aber ich kam vorwärts, und der Rifnihnjúkur gab einen schönen Orientierungspunkt ab, an dem ich das mit dem Vorwärtskommen auch mitverfolgen konnte. Bald dahinter kam ein deutlich kleinerer Hügel in Sicht, ein nächster Punkt zum anpeilen.
Auf der Piste begegnete mir die ganze Zeit kein Auto mehr, aber dafür sah ich bald Fahrradspuren. Es war ein bißchen schwer zu zählen, weil die Radler offensichtlich in einer Reihe neben der Piste hergeschoben hatten nach Süden, dann aber keine Lust mehr hatten, sich durch den Sand zu quälen und in ihren eigenen Spuren wieder zurück nach Norden geschoben haben. Vermutlich waren sie zu dritt, aber ich hatte seit Tagen keine anderen Radler mehr gesehen und auch nur von einem einzelnen gehört, der eigentlich kurz nach mir zu den Kverkfjöll hätte kommen müssen, aber wohl ebenfalls umgedreht hatte.
Jedenfalls war ich weiterhin allein unterwegs und rechnete schon fast nicht mehr damit, heute überhaupt noch ein anderes Fahrzeug zu Gesicht zu bekommen. Aber dann sah ich vor mir auf der F910 quer zu meiner Richtung zwei einzelne Jeeps fahren. Das gab mir wieder Hoffnung und einen neuen Orientierungspunkt. Auf dieser Piste wäre es nicht mehr weit bis zur Brücke über die Jökulsá á Fjöllum, und dort wäre ich in westlicher Richtung unterwegs, endlich ohne Gegenwind. Vor mir sah ich wieder die Pyramiden der Upptyppingar aufragen, diesmal jedoch nicht in ihrer vollen Pracht sondern nur etwa das unterste Viertel. Und an diesen Bergen konnte ich wieder zuschauen, wie die Regenschauer in immer neuen Schüben übers Hochland getrieben kamen, geradewegs auf mich zu.
Als ich endlich bei der lang ersehnten Kreuzung ankam und nun auf die F910 in Richtung Askja einbog war ich einigermaßen erschöpft. Ich aß die letzten verbliebenen Kjötbollur, die ich gestern als Proviant fast schon aufgezwängt bekam, und die mal einen wirklich guten Ersatz für die Kekse abgaben. Verkehr war jetzt auf längere Sicht wiedermal nicht auszumachen. Und so war ich bald in der Mitte der Spur unterwegs durch den Regen in Richtung Brücke. Im Windschatten der Upptyppingar ging das irgendwie viel angenehmer und es regnete auch nicht so stark, so daß ich sogar ein wenig weiter voraus schauen konnte als bis zum nächsten Bergansatz der in die Wolken aufragt.
Und so sah ich dann auch schon von weitem die Brücke vor mir und stand bald auch direkt davor. Dort löste sich endlich noch ein weiteres Rätsel, das mich seit Tagen beschäftigte. Bei der Kreppá-Brücke stand, es seien 40 km bis zur Hütte an den Kverkfjöll, das kam mir untertrieben vor nachdem ich dort langgefahren war. Hier stand nun, es seien 60 km bis zu der Hütte, das kam mir aber reichlich übertrieben vor. Na wenn da mal nicht einer die Schilder vertauscht hat.
Was mir außerdem auffiel bei dieser Brücke war der Nebenarm der Jökulsá in einem neuen Flußbett, das neben der Bücke verlief und wohl noch zu furten wäre. Als ich so davorstand hatte ich aber keine Lust, bei dem Wetter die Watsandalen auszupacken. Außerdem lag ein großer Stein in Schrittweite im Bach. Vielleicht kommt man da ja auch trockenen Fußes rüber. Also probierte ich, aufs Fahrrad gestützt von Stein zu Stein da rüber zu springen. Das ging allerdings reichlich daneben. Die Furt war deutlich tiefer als ich gedacht hätte und die Strömung deutlich stärker. Bald stand ich dann im Fluß, klammerte mich an mein Fahrrad und bekam doch nasse Füße. Obwohl, eigentlich waren die Füße vom Regen sowieso schon patschnass, wie alles an mir. Also war mir das auch egal. Nach dieser reichlich uneleganten Flußüberquerung radelte ich schnell weiter, aber mir hatte sowieso niemand zugeschaut.
Nicht mehr weit dann müßte ich an die F88 Öskjuleið kommen, die Straße zur Askja. Auf halber Strecke dorthin sah ich den Miðfell aufragen, wieder ein Orientierungspunkt den ich anpeilen konnte und an dem ich mein Vorankommen messen konnte. Ich war nicht allzu schnell unterwegs. Trotzdem änderte sich die Landschaft bald wieder grundlegend. Vorhin hatte ich allerlei dunkles, normales Gestein rund um mich. Jetzt waren die Steine gelblich hell und kleiner, Bimsstein. Endlose Mengen Bimsstein, vermutlich alle von der letzten Eruption der Askja 1875 oder so. Und während ich noch darüber staunte, kam ich doch langsam am Miðfell vorbei und weiter auf den Hügelzug Herðubreiðartögl zu. An deren Fuß lag die nächste Kreuzung, und dort war wieder Pause angesagt. Es war schon etwa halb fünf nachmittags, aber das längste Stück hatte ich geschafft.
Die letzten 12 km Richtung Askja hatte ich nun fast schon ein wenig Rückenwind. Zumindest war es deutlich weniger kalt vom Fahrtwind her und eigentlich hätte ich jetzt auch noch stundenlang so weiterradeln können. Der "Sturm" hatte mittlerweile nachgelassen, die Tropfen stoben nicht mehr wie wild durcheinander wenn sie am Boden auftrafen. Ein normaler Regentag und ein ziemlich durchnäßter Radler blieben übrig.
Und während das Massiv der Askja langsam immer größer vor mir aufragte und ich weiter auf dessen Nordrand zufuhr, kam ich bald wieder an einen kleinen Bach der gefurtet werden wollte. Allerdings war der wirklich klein genug, daß ich problemlos durchradeln konnte. Ein paar Kurven danach konnte ich zwischen Lavafelsen hindurch die Hütten erkennen, denn richtig eben war die Ebene hier nicht mehr. Nach einem weiteren noch kleineren Bach stand ich endlich am Parkplatz vor den Hütten. Es war spät, nass und kalt und ich war hungrig und ein wenig müde. Irgendwann unterwegs hatte ich beschlossen, daß ich mir wieder eine Nacht in einer trockenen Hütte leisten würde heute.
Und so kam ich triefend in die Hütte mit dem Informationsschild außen dran und wurde dort gleich mal freundlich von einer halb mitleidig halb bewundernd lächelnden Hüttenwärterin empfangen. Natürlich war noch ein trockener Platz frei und ich konnte sogar meine Bargeldreserven schonen und mit Kreditkarte bezahlen, was mindestens ein weiteres Lächeln meinerseits wert war. Und so stellte ich bald das Rad neben der Dreki-Hütte ab, packte das Notwendigste aus und setzte mich ins Trockene. Das heißt, erstmal schälte ich mich aus meinem Regenzeug und zog mir was Trockenes an.
Drinnen saß schon eine französische Familie um den Tisch und machte sich ihr Abendessen. Während ich mir einen Topf Nudeln kochte, boten sie mir ein Gläschen Wein aus dem TetraPak an, also schon wieder ein Abend mit Rotwein. Nachdem ich aber sowieso schon spät dran war, verzogen sich die Franzosen bevor ich mich richtig breit machen konnte. Übrig blieb noch eine deutsche Familie, mit Kind und Kegel und dickem Jeep draußen vor der Tür. Die waren vor ein oder zwei Tagen mit der Fähre angekommen und wollten jetzt ein wenig auf Abenteuertour durchs Hochland fahren. Später gesellten sich noch zwei weitere Deutsche dazu, die ebenfalls mit Allrad unterwegs waren und mit der selben Fähre gekommen waren, allerdings draußen in ihrem Fahrzeug übernachteten. So hörte ich noch ein wenig den Sorgen der Autofahrer zu, Tankstellen, Furten bis soundsoviel Zentimeter Tiefe, GPS am Laptop und all sowas. Beide wollten am nächsten Tag über die Gæsavatnaleið. Naja.
Immerhin hatte einer von denen daheim in Deutschland einen Fahrradladen und kannte sich gut mit Rädern aus und so konnte ich auch ein wenig fachsimpeln. Aber ich war ohnehin müde genug, daß ich mich bald in den Schlafsack verkroch und mich von einem der anstrengendsten Tage der Reise erholen konnte.
Bilder der Tages:

22. August 2003
zum Herðubreið





Am nächsten Tag wollte ich eigentlich lang ausschlafen, aber das ging in dieser Hütte nicht. Ich war ja nicht der einzige Gast. Aber ich war fast der Letzte beim Frühstück. Ich bekam sogar noch zwei Liter frische H-Milch für mein Müsli aus den Reserven der Allradler. Aber bald waren alle aufgebrochen und ich war allein in der Hütte.
Somit hatte ich Zeit, Pläne für den Tag zu machen. Draußen sah es wolkig und naß aus, regnete aber nicht. Der Wind kam immer noch aus Norden und brachte laufend Nachschub für einen dunklen Himmel. Alles in allem zwar besser als gestern, aber ich hatte in dem Moment gut und gerne Lust, mich von einem Bus "retten" zu lassen. Davor wollte ich aber noch zum Krater der Askja hinauf, wenn ich nun schonmal hier war. Die Piste führte noch einige Kilometer weiter dorthin, den letzten Rest bis zum dampfenden Kratesee Víti mußte man laufen.
Erstmal packte ich meine Sachen, alles was zum Trocknen ausgebreitet war und so weiter, und kramte dabei meine Badesachen hervor. Oben im Kratesee sollte man baden können. Ich ließ mir ziemlich viel Zeit dabei. Eigentlich wartete ich sogar absichtlich. Die "englische Gruppe" von der Kverkfjöll-Hütte müßte bald vorbeikommen.
Während ich wartete traf ich auch einen anderen Radler, der erste der mir seit dem Aufbruch ins Hochland begegnete, ein Schwede. Er hatte draußen in seinem Zelt übernachtet und war in der anderen Richtung unterwegs, bald zog er weiter. Und ich wartete weiter und machte währenddessen einen kurzen Spaziergang in Richtung der Dreki-Schlucht, die der Hütte den Namen gegeben hatte. Dann kam endlich "mein" Bus. Die Insassen waren alle recht freudig überrascht, mich hier wiederzutreffen und glaubten mich eigentlich schon verloren, nachdem ich bei dem Sturm gestern unterwegs war. Und sie waren gern bereit, mich mitzunehmen die letzten Kilometer ans Ende der Piste, und zum Krater, und dann natürlich zurück zu meinem Rad.
Nachdem sie eine kurze Pause von der anstrengenden Sitzerei im Bus gemacht hatten fuhren wir also los, nochmal durch ein paar kleine Bäche und Furten und bergauf zum Kraterrand. Lustig fand ich hieran, daß auf den Bächen Bimsstein in nicht geringen Mengen herumschwamm. Das Zeug schwimmt also wirklich. Mit dem schaukelnden Bus kam ich bequem und trocken zum Parkplatz, ab dem es nur zu Fuß weiterging in den Krater. Im übrigen ging es von dort auch zu Fuß weiter mitten in ein Lavafeld hinein auf dem Wanderweg zu den Dyngjufjöll, zumindest laut Wegweiser.
Für heute wanderte ich mit den "Engländern" in die andere Richtung. Die Wolken hingen tief, nur knapp darunter lag eine schwarze Schuttwüste mit vereinzelten rötlichen Steinen. Eine unwirkliche Landschaft, die gelb leuchtenden Wegmarkierungen und verstreuten knallig blauen und roten Wanderer dazwischen ergaben einen noch unwirklicheren Kontrast. Die Schritte knirschten im lockeren Gestein vermischt mit einem dumpfen hohlen Echo von irgendwo unterhalb. Alles wirkte wie für einen fremden Planeten aus einem Science Fiction Film erfunden.
Trotz der Atmosphäre blieb auf dem halbstündigen Marsch genug Gelegenheit für Gespräche. Dabei erfuhr ich, daß die isländische Köchin der Gruppe Klemenz kannte, meinen Auslandsbeauftragten der Uni in Akureyri und sogar über ein paar Ecken mit ihm verwandt war. Kürzlich hatte sie nämlich auf der Hochzeit ihrer Cousine gekocht, als diese Klemenz geheiratet hatte. Ganz Island ist eben ein Dorf.
Schließlich waren wir am Krater Víti angekommen. Die ganze Askja-Caldera ist bekanntlich entstanden, als sich die Magmakammer darunter so schnell geleert hatte, daß die darüberliegende Decke eingestürtzt war. Die restliche Magma wurde daraufhin vom Gewicht ebenfalls hinausgedrückt, durch einen zweiten Krater, der heute den tiefsten See Islands bildet, Öskjulón. Neben diesem ist noch ein sehr viel kleinerer Krater, Víti, an dessen Grund ebenfalls ein See ist, der türkis leuchtet und Badetemperatur hat. Und während des Weges lief auch schon eine heiße Diskussion, wer denn alles da drinnen Baden würde, und wer nie und nimmer. Die mutigsten eilten gleich hinunter und machten sich badefertig. Und da konnte ich mich natürlich nicht lumpen lassen, als knallharter Islandradler. Das Wasser war relativ kalt, etwa 30 Grad. Ein angenehmes Schwimmbecken also, aber von einem Hot Pot weit entfernt. Aber natürlich ein unvergessliches Erlebnis mitten in einer solchen Landschaft.
Viel Zeit blieb allerdings nicht, der Terminplan der Reisegruppe war recht eng. Und so mußten wir nach dem Bad und ein paar "Ich war da"-Fotos auch schon wieder umkehren in Richtung Bus. Wir wandten den Kratern und Seen den Rücken und stapften zurück durch die fremdartige Landschaft. Unterwegs setzte ein leichter Nieselregen ein, aber trotzdem blieb es erstaunlich trocken für die kompakte Wolkenschicht dicht über unseren Köpfen. Und im Bus merkte man dann auch gar nichts mehr von der Kälte da draußen.
Wir fuhren zurück durch die paar Bäche, machten noch einen kurzen Fotostop mitten in der Bimssteinfläche und waren bald am Ziel, der Dreki-Hütte. Dort verabschiedete ich mich abermals von der ganzen Gruppe, ich wollte doch lieber mit dem Fahrrad weiter, statt der langweiligen Variante im Bus. Das relativ trockene Wetter hielt sich scheinbar, trotz des stetigen Nordwindes und der immer neuen Wolken. Und so rauschte der Bus mit der "englischen Gruppe" von dannen.
Mein Fahrrad wartete abfahrbereit. Ich zog mich noch schnell in der Toilette um, die Wanderklamotten waren zwar zum Wandern angenehm, aber am Fahrrad zog ich doch meine Radlerkluft vor. Nach dieser kurzen Pause zog auch ich los. Ursprünglich hatte ich vor, ein Stückchen auf der Gæsavatnaleið in Richtung Westen zu radeln und dann auf die Dyngjufjallaleið abzubiegen, die geradewegs zum Barðardalur und Goðafoss führen sollte. Eine etwas abenteuerliche Route. Mit meinem leicht defekten Zelt und dem wolkenverhangenen Himmel, den stürmischen gestrigen Tag noch in Erinnerung, entschied ich mich aber dann doch für die normale Route, auf der F88 Öskjuleið am Herðubreið vorbei zum Mývatn. Ich wußte auch gar nicht so genau, wie ich die richtige Abzweigung mitten in der Ódáðahraun überhaupt finden sollte, wo angeblich schon die Hauptroute der Gæsavatnaleið nicht immer eindeutig zu erkennen ist.
Auf der einfacheren Variante würde ich heute wohl noch eine gemütliche Nachmittagsetappe bis zur Hütte Herðubreiðarlindir vor mir haben. Die ersten 12 km war ich gerade gestern erst gefahren und kannte sie somit schon, die kleinen Furten eingeschlossen. Ich legte dieses Stück schnell zurück und stand dann wieder an der Kreuzung am Fuße der Herðubreiðartögl. Diesmal wählte ich den Weg nach Norden, weiter entlang am Fuß der Hügel. Lange Zeit änderte sich die Landschaft kaum, weiterhin unglaubliche Mengen Bimsstein zu beiden Seiten des Weges und unter den Reifen natürlich ebenfalls. Einzig der Herðubreið rückte langsam näher und näher. Meine anderen ständigen Begleiter, die Upptyppingar-Pyramiden, blieben wiedermal zum größten Teil in den Wolken verborgen.
Bald zweigte die Sackgasse zur Westseite des Herðubreið ab während die Hauptpiste einen Bogen nach Osten machte. So ging es weiter durch die Bissteinebene, aber links von mir im Norden konnte ich schon das Lavafeld sehen, durch das sich der Weg bald schlängeln würde. Ich kam insgesamt zügig voran, die Piste war sehr angenehm zu fahren und von dem Sand in dem viele andere Radler steckengeblieben sein sollen merkte ich überhaupt nichts nach dem Regentag gestern. So war ich bald wieder in nördlicher Richtung in besagtem Lavafeld unterwegs.
Rechts neben mir hörte ich die Jökulsá á Fjöllum rauschen, gelegenlich konnte ich auch die graubraunen Fluten zwischen einigen Lavaskulpturen erkennen. Näher heran kam ich bei meiner nächsten Pause auf einem kleinen Parkplatz. Die Straße führte direkt an den Fluß heran, und die letzten zwanzig Meter lief ich dann zu Fuß. Imposant, was für Wassermassen da entlangströmen.
Kurz danach konnte ich schon mein heutiges Tagesziel erkennen. Neben dem Fluß lag eine kleine grüne Oase, Herðubreiðarlindir. Die Dächer der Hütten kamen bald immer näher und im Nu war ich angekommen und stellte auf dem kleinen Parkplatz mein Fahrrad ab. Schon während der Fahrt hatte ich entschieden, daß ich heute wieder im Zelt übernachten würde. Der Himmel war zusehends aufgeklart und ich hoffte, daß mein nasses Zelt endlich trocknen konnte. Als ich jetzt bei den Hüttenwärtern klopfen und mich gleich mal melden wollte, waren diese allerdings gerade nicht da. Also suchte ich mir erst mal eine gemütliche windgeschützte Stelle, heute wieder mit echtem Gras und richtigen Büschen. Erstmal baute ich nur das Zelt zum Trocknen auf, einrichten wollte ich mich erst später.
Nach einem kurzen Abendessen, zum ersten Mal seit langem wieder vom eigenen kleinen Kocher, machte ich mich auf, noch ein wenig durch die Landschaft zu spazieren. Die Tage wurden schon deutlich kürzer und die Dämmerung setzte schon langsam ein. Trotzdem stiefelte ich ein wenig durch die faszinierenden Stricklavafelder und auf den markierten und liebevoll beschilderten Wanderwegen rund um den Zeltplatz. Auch die "Hütte" von Fjalla-Eyvindur fand ich, einer der unzähligen Unterschlüpfe in denen der Geächtete seinerzeit mal überwintert haben soll. Im letzten Abendlicht genoß ich auch die Fernsicht, denn nach Norden hin waren kaum noch Wolken zu sehen. Dafür konnte man um so besser die Bergketten zu beiden Seiten des Möðrudalur sehen. Außerdem schaute ich unterwegs wieder bei den Hüttenwärtern vorbei und bezahlte diesmal für die Übernachtung. Somit war meine Runde beendet.
Nach ein wenig Tee und einem kurzen Plausch mit den Zeltnachbarn zog ich mich auch bald in mein Zelt zurück. Das war wunderbar getrocknet und mit dem Gemurmel eines kleinen Bächleins im Ohr, der direkt hinter dem Zelt vorbeifloß, schlief ich bald ein.
Bilder der Tages:

23. August 2003
zurück zum Mývatn




Am nächsten Tag hatte ich wieder eine lange Tagesetappe vor mir. Aber nach einem kurzen Blick nach draußen freute ich mich schon richtig darauf. Es war sonnig, nur einige wenige sehr hohe Wolken waren zu sehen und es wehte sogar ein leichter Südwind. Also war nichts mit lange Ausschlafen, sondern ich war nach einem kurzen Frühstück mit H-Milch bald am Zusammenpacken. Das machte wieder sehr viel mehr Spaß, wo alles trocken war und auch der Wind nichts davonwehen wollte. Sogar meine Schuhe waren zwei Tage nach dem Regen wieder einigermaßen getrocknet.
Meine weitere Route sah auf der Karte recht eintönig aus, drei kleinere Furten standen zwar an aber ansonsten erwartete ich eine öde Steinwüste bis zur Ringstraße und dann noch ein kurzes Stück auf dem alt bekannten Weg zum Mývatn zurück. Nicht auf der Karte eingezeichnet war jedoch die Fußgängerbrücke hinter dem Zeltplatz, auf der ich mich um die erste Furt gleich mal herumschummeln konnte. So stand ich bald mit immer noch trockenen Füßen auf der anderen Seite der Furt, wo die Piste nach Norden weiterging.
Zunächst führte sie über eine weitläufige Ebene, eine kilometergroße Sandbank zwischen dem reißenden Gletscherfluß Jökulsá á Fjöllum, der hier schon mit der Kreppá zusammengeflossen war, und der Lindaá, dem kleinen Quellwasserfluß, der diese grüne Oase im Hochland ermöglichte. Ich hab auch schon Geschichten gehört, wonach die ganze Schwemmebene dort unter Wasser stand. Das konnte ich mir auch gut vorstellen, gelegentlich kam ich an richtig großen Pfützen vorbei, die teilweise auch bis auf die Piste reichten. Jedenfalls kam ich hier sehr gut vorwärts, auch wenn mich natürlich einige eilige Jeeps überholten.
Ich kam auch bald an der zweiten Furt durch die Lindaá an. Diese war deutlich breiter und steiniger als die von heute Morgen. Und außerdem gab es keine Fußgängerbrücke ein paar Meter weiter. Also kam ich nicht darum herum, meine Sandalen auszupacken. Mit diesen watete ich dann ein wenig ins Wasser hinein um auszuloten, wie und wo ich am geschicktesten rüberkäme. Allzu tief schien mir der Fluß nicht zu sein, knapp bis zum Knie. Die Kieseln am Grund, die man durchs klare Wasser auch sehr gut sehen konnte, waren recht groß und zusammen mit der recht starken Strömung schien mir das auch das größere Problem zu sein, als die Tiefe. Aus Faulheit beschloß ich in einem Zug zu furten, anstatt Fahrrad und Anhänger einzeln rüber zu tragen. Also schob ich munter drauf los mit Sack und Pack. Aber irgendwie kam die tiefste Stelle erst noch in der Mitte. Da reichte das Wasser dann schon bis knapp übers Knie, oder bis über die Tretkurbel an meinem Rad. Zu allem Überfluß geriet mir auch genau hier ein richtig unangenehmer Kiesel in meine Sandale und wollte beim besten Willen nicht mehr raus. Und damit nicht genug zerrte die Strömung recht kräftig an meinem richtig tief eingetauchten Packsack am Anhänger. Mit Müh und Not schleppte ich mich doch wieder in flacheres Wasser, pulte den Kiesel aus der Sandale und machte daraufhin am Ufer erschöpft eine Kekspause. Vielleicht wäre Furten in drei Zügen doch die bessere Variante gewesen.
Während meiner Pause war eine ganze Kolonne von Jeeps am Ufer zusammengekommen. Keiner von denen hatte den Mut, als erster durch die Furt zu fahren. Statt dessen gab es eine Fotopause, die sich bei dem herrlichen Blick nach Süden aber auch lohnte. Herðubreið spiegelte sich im klaren Wasser der Lindaá, daneben am Horizont sah ich die Kverkfjöll und konnte sogar den Wanderweg durchs Schneefeld noch erahnen, den ich vor einigen Tagen eingeschlagen hatte, noch weiter links war heute wieder freie Sicht auf die Upptyppingar. Wie schön das doch alles wieder aussah, ohne Wolken und im Sonnenlicht.
Aber die Jeepversammlung löste sich wieder auf, einige fuhren zurück nach Norden, andere wagten doch das bißchen Furtdurchquerung. Und ich selbst radelte weiter nach Norden. Sofort war ich wieder in einer völlig anderen Landschaft. Die Piste schlängelte sich abermals durch ein Lavafeld und es ging ständig ein wenig hinauf und hinab und um Kurven herum und und und. Abweschlung von der Schwemmebene hinter mir.
An einigen spektakulären Aussichten auf den breiten Strom der Jökulsá neben mir kam ich vorbei, dann ließ ich aber das Lavafeld auch schon wieder hinter mir. Statt dessen breitete sich wieder eine von Steinen übersäte Ebene vor mir aus. Ödes, trockenes Hochland, wie ich es südlich von hier bis zur Askja nicht in dieser Form erlebt hatte. Und schnurgerade hindurch führte meine Piste, schier endlos. Das typische "nicht-vorwärts-komm"-Syndrom stellte sich ein. Bei einem Blick zurück konnte ich immer noch die alt bekannten Berge sehen, diesmal jedoch nicht mit einer grünen Flußlandschaft, sondern mit einer Steinwüste und dem dunklen Streifen eines Lavafeldes im Vordergrund.
Aber auch diese Ebene nahm ein Ende, bald wurde es wieder hügeliger. In und hinter dem ersten Tal sah es auch wieder deutlich grüner und fruchtbarer aus. Und in diesem ersten Tal sah ich auch schon die nächste Furt, diesmal durch die Grafarlandaá. Es staute sich wiedermal eine kleine Kolonne am anderen Ufer, scheinbar fehlte auch denen der Mut. Mich konnte das bißchen Wasser nicht wirklich schockieren, eine kleine Furt die man problemlos durchschieben konnte und die nicht das Kaliber der Lindaá hatte. Also wieder in die Sandalen und los ging es. Unter dem Beifall der Autofahrer stand ich im Nu am anderen Ufer.
Die beiden Fahrzeuge hatten italienische Kennzeichen, die Insassen unterhielten sich lautstark. Ich machte ungerührt erstmal ein gemütliches Päuschen. Aber schließlich fragten mich die Italiener, wie viele solche Furten denn noch kämen bis zur Askja und ob die denn auch so tief wären und allerlei. Offensichtlich waren sie noch nie durch sowas gefahren und waren reichlich verunsichert. Immerhin hatten sie Allrad und was man sonst so braucht, wenn auch keine richtig großen Jeeps. Interessant war dann auch der Fahrstil, erst vorsichtig ins Wasser hinein, dann schön ordentlich gleichmäßig hindurch und auf dem letzten Stück dann mit Vollgas ans trockene Ufer gerettet. So sollte man das nicht machen, das gibt tiefe Fahrrinnen. Aber für die erste Furt ihres Lebens ließ ich das nochmal durchgehen und winkte zum Abschied hinüber.
Ich selbst machte mich auf, um das letzte Stück durch das Herðubreið-Naturschutzgebiet hinter mich zu bringen. Ein paar Hügel hinauf und hinunter durch eine wie gesagt grüne Landschaft und auf einer angenehm festen Bodenschicht. Auch außerhalb des eingezäunten Schutzgebiets ging es noch im Grünen weiter. Ein paar Hügel später, an einem besonders hohen und schönen Aussichtspunkt, von wo aus man die Jökulsá und die Lambafjöll am anderen Ufer überblicken konnte, stand eine einfache Hütte abseits der Piste. Ein schöner Ort für eine Pause, und so warf ich einen Blick in die verlassene Schaftreiberhütte, die wohl nur zur Not ein wenig Unterschlupf bot.
Das nächste Stück der Piste hatte wieder einen völlig anderen Charakter. Bald hinter der Hütte blieben die grünen Flecken zurück und ich war in einer öden Steinwüste unterwegs. Diesmal jedoch nicht in Form einer Ebene, sondern weiterhin ein bißchen hügelig. Nach ein paar Kurven sah ich vor mir auf einer solchen Hügelkuppe einen Bus stehen. Nach Pinkelpäuschen sah das nicht aus, so lange wie der dort stand. Außerdem sah ich einen kleinen Jeep, der ebenfalls bei dem Bus gehalten hatte. Das Rätsel löste sich, als ich ankam und das Vorderrad des Busses sah. Dort war nämlich der Reifen in einige Einzelteile zerfallen, wie zu erwarten auf einer dermaßen steinigen und wellblechigen Piste. Die Passagiere waren schon weggebracht und es wurde eifrig montiert an dem Rad, also war ich keine große Hilfe mehr.
Ich unterhielt mich ein wenig mit dem Jeepfahrerpärchen, das hier ebenfalls eine Pause machte. Die waren, welch Überraschung, aus Deutschland und "kannten mich schon". Sie hatten meine diversen Hüttenbucheinträge gelesen, außerdem war ich wohl sowieso der einzige Radler weit und breit, und sie hatten meine Spuren und Schlenker auf der Piste verfolgt. Aufmerksam!
So schlenkerte und spurte ich weiter auf der Piste, weiter durch die öde Steinlandschaft. Vor mir konnte ich am Fuße des langgezogenen Hügels Ferjuás aber schon den nächsten Streckenabschnitt erkennen, wieder durch ein Lavafeld. Dort kam ich bald an, nicht ohne jedoch von dem aufmerksamen deutschen Jeeppärchen überholt zu werden. Nach einem kurzen kurvigen Stück durch die Lavafelsen ging es zwischen dem Hügel und dem Rand des schwarzen Gesteins weiter, durch ein recht sandiges kleines Tal. In diesem Sand war es fast schon wieder ein wenig mühselig zu fahren, nach der Trockenheit die seit eineinhalb Tagen herrschte. Dennoch kam ich vorwärts und auch bald an der Hochspannungsleitung vorbei, an der ich im letzten Jahr umgedreht hatte. Irgendwo zwischen dem kärglichen Stradgras in den Dünen neben dem Weg hatte ich damals gezeltet, am nächsten völlig nebel- und wolkenverhangenen und eiskalten Morgen aber wieder umgedreht nach Norden.
Somit kannte ich das letzte Stück des Weges schon, weiter in dem Tal entlang an einem kleinen Tümpel vorbei. Bald danach gab es abermals eine völlig andere Landschaft mit viel Stein und Fels entlang der Piste. In der Ferne konnte ich den immer näher rückenden Krater Hrossaborg erkennen. Langsam machten sich zwischen Felsen und Sand auch wieder mehr und mehr kleine Gräser breit. Am Horizont waren ohnehin schon längst grüne Weidehügel zu erkennen. Gegen fünf Uhr abends radelte ich an dem markanten Krater vorbei und stand dann auf dem Parkplatz bei der Kreuzung mit der Ringstraße. Am Ende der Piste F88 Öskjuleið. Nach 8 Tagen wiedermal an einer asphaltierten Straße. Hinter mir lag das Hochland mit den altbekannten Schildern, die die Naturschutzgebiete ankündigten und die nächste Tankstelle in zweihundertsoundsoviel Kilometern. Und hinter mir lag der wahrscheinlich unvergesslichste, abwechslungsreichste und schönste Teil meiner diesjährigen Tour...
Ich gönnte mir eine ausgiebige Pause und ließ nochmal den Blick über das Hochland hinter mir schweifen, mit all den Berggipfeln an denen ich so langsam vorbeigeradelt war. Erst danach raffte ich mich auf zu den letzten paar Kilometern zum Mývatn, in die Zivilisation, zu einem Supermarkt, zu einem Freibad. Als ich mich somit geradewegs nach Westen wandte, merkte ich, daß der Südwind im Laufe des Tages ordentlich zugenommen hatte und mir die ganze Zeit das Vorwärtskommen erleichtert hatte. Jetzt wehte er hauptsächlich von der Seite, ein klein wenig auch von Vorne. Aber sollte er nur, solang die Sonne oben drüber scheint. Dies Jahr hatte ich sowieso schon mehr als genug Glück mit Wind und Wetter gehabt.
Auch wenn ich auf dem etwas ungewohnten Asphalt nicht so wirklich viel schneller vorwärts kam, sah ich schon bald die rot leuchtenden Hänge der Námafjall in der Ferne vor mir aufragen, kam nach einer Weile an der Abzweigung nach Norden zum Dettifoss vorbei und hatte wieder die Reihe der aufgeschichteten Steinhäufchen als Wegmarkierung neben mir. Es war viel Verkehr auf der Straße unterwegs, das war ich genausowenig gewohnt wie den Asphalt. In Gedanken stellte mich das wieder um auf Zivilisation. Mit dem Mývatn hatte ich gleich mal einen touristischen Ballungsraum vor mir und ein extremes Kontrastprogram zur Einsamkeit der vergangenen paar Tage.
Als ich endlich am Fuß der Námafjall ankam sah ich schon wieder Menschenmassen rund um die heißen Quellen und blubbernden Schlammtöpfe stehen. Ich begnügte mich damit, an den Dampfsäulen vorbeizuradeln. So lange war das noch gar nicht her, daß ich hier in der anderen Richtung unterwegs war. Schließlich arbeitete ich mich wieder über den kleinen Pass in der Námaskarð. Am Parkplatz mit dem Rundumblick über den See mußte ich aber doch eine Pause einlegen. Diesmal hatte ich den Flecken völlig für mich alleine. Vor mir lagen die Dampfschwaden, der See, der Ort Reykjahlíð und das Kieselgurwerk mit seinem grünen Abflußsee. Und ich war wohl noch nicht mal zu spät dran für das Schwimmbad und hatte endlich wieder einen Supermarkt, heute gibt es bestimmt ein Festessen zu Abend.
Während des letzten kurzen Stückchens zum Eldá Zeltplatz kam ich auch direkt an der "grünen Lagune" vorbei, besagtem Abflußsee. Dort war mächtig was los, etliche Autos waren geparkt und noch viel mehr Köpfe tanzten im Wasser hin und her. So voll hatte ich den See noch nie erlebt. Aber soll mir egal sein, bald baute ich mein Zelt am Ufer des Mývatn auf, nicht genau an meinem Stammplatz, denn der war schon belegt. Nachdem ich gezahlt hatte und den Aufkleber an einer Abspannleine festgemacht hatte, packte ich schnellst möglich mein Badezeug aus und radelte durch den Ort zum Freibad, unter anderem mit der ersten Dusche seit langem. Entspannen im Hot Pot, das war jetzt genau das Richtige.
Aber der Hunger meldete sich bald, und einkaufen mußte ich auch noch. Nach nur einer guten Stunde brach ich also wieder auf in der Absicht, auf dem Rückweg noch den Supermarkt zu plündern. Als ich dann aber davor stand, hatte der ärgerlicherweise schon geschlossen. Während der letzten zwei Wochen hatten sich die Öffnungszeiten geändert, und so mußte ich mich mit meinen letzten Hochlandvorräten begnügen. Nudeln. Immerhin traf ich bei deren Zubereitung im Kochzelt noch ein paar mehr Radler. Die hatten sich zwar alle schon mehrfach immer wieder getroffen und waren deswegen in erster Linie mit sich selber beschäftigt, aber als dann einer von denen Kaiserschmarrn anmachte, da bekam ich selbstverständlich auch was ab.
Aber in Gedanken war ich immer noch im fernen Hochland irgendwo unterwegs, nicht so sehr bei der lustigen Runde am Eldá Zeltplatz. Außerdem war ich recht müde nach wiedermal weit über 100 km Hochland am Tag. Also verabschiedete ich mich bald und suchte mein Zelt und meinen Schlafsack. Mittlerweile wurde es schon richtig zeitig dunkel draußen und eine Taschenlampe hatte ich natürlich nicht. Trotzdem fand ich alles, und schlief bald wie ein Stein.
Bilder der Tages:
  • 03-3-80-linda.jpg(50435 bytes): Der Herðubreið von der Lindá-Furt aus bei bestem Sonnenwetter
  • 03-3-82-grafarlandaa.jpg(28881 bytes): Bei der Furt über Grafarlandaá mit Blick auf Herðubreið
  • 03-3-83-oskjuleid.jpg(30366 bytes): Steinfeld entlang der F 88 Öskjuleið
  • 03-3-84-hrossaborg.jpg(28629 bytes): Basaltsäulen, Steine und der Krater Hrosaborg am Anfang der F 88 Öskjuleið
  • 03-3-85-namafjall.jpg(23145 bytes): Die heißen Dampfquellen am Fuße des Námafjall
  • 03-3-86-myvatn.jpg(22927 bytes): Dampfende Landschaft mit vielen Kratern: Mývatn
  • pano-herdubreid-linda.jpg(93164 bytes): Das Hochland und die grüne Oase Herðubreiðarlindir, beste Sicht auf Upptyppingar, Kverkfjöll und Herðubreið. (Panorama erstellt aus 2 Einzelbildern)

24. August 2003
nach Akureyri

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war ich nicht wirklich überrascht, schon wieder eine Wetteränderung zu haben. Regen trommelte leicht außen aufs Zelt. Immerhin war es dazu einigermaßen windstill, und durch meinen defekten Reißverschluß tropfte es noch nicht allzusehr hinein.
Vor mir lag heute noch das Stück Strecke nach Akureyri. Auch wenn das noch ein ganzes Stück war, ließ ich mir mit dem Packen Zeit. Heute brauchte ich zwangsläufig noch einen Supermarkt, denn meine Keksreserven waren alle. Und isländische Supermärkte haben zwar länger offen als deutsche, machen aber auch deutlich später auf. Gegen 10 Uhr fuhr ich dann mit meinem Gespann los und machte auf der anderen Straßenseite schon wieder eine Pause. Kekse bekam ich immerhin, aber die Softeis-Maschine war leider defekt.
Es regnete immer noch leicht und der Himmel war dicht verhangen, als ich auf der Ringstraße losfuhr in Richtung Akureyri. Ich wollte diesmal größtenteils auf der 1 bleiben und erst später, am Eyjafjörður, vielleicht noch eine Alternativstrecke ausprobieren, je nachdem, wie sich das Wetter entwickelte. Erstmal jedoch ging es durch die Büsche und Lavafelder an der Ostseite des Mývatn, vorbei an den Abzweigungen zur Grótagjá und zum Hverfjall. Ich kam irgendwie nur schleppend in die Gänge, und so wollte ich beim nächsten Parkplatz doch noch eine Pause machen. Und der nächste Parkplatz war beim Park Höfði in der Südostecke des Sees.
Dort stellte ich das Rad ab und spazierte ein wenig durch den Birkenwald. Eine völlig andere Welt als das karge Hochland der letzten paar Tage. Und während ich so spazierte, ging der Regen erst in ein leichtes Nieseln über und hörte schließlich ganz auf. Ich begann sogar zu hoffen, daß sich vielleicht noch die eine oder andere Wolkenlücke im Laufe des Tages breit machen würde.
Nach einer knappen Stunde Rast ging es schon eilig auf Mittag zu, und ich hatte immer noch knappe hundert Kilometer vor mir. Also radelte ich doch endlich los, am Südufer des Sees entlang. Dort gab es aber schon bald den nächsten Rastplatz in Skútustaðir. Irgendwie konnte ich es mir nicht verkneiffen, mir dort doch noch ein Softeis zu besorgen, nachdem es in Reykjahlíð keins gab, und die Woche vorher im Hochland erst recht nicht. Mit Eis in der Hand ist Island doch gleich viel angenehmer, und so spazierte ich wiedermal ein wenig durch die Pseudokraterlandschaft auf der anderen Straßenseite.
Aber das alles brachte mich meinem Etappenziel nicht näher. Schließlich brach ich auf und nahm mir fest vor, bis zum Goðafoss keine Pause mehr zu machen. Bald hatte ich den Abfluß des Mývatn erreicht, die Laxá, und radelte an ihr entlang die Hügel hinauf zum Másvatn. Von anderen Radlern hatte ich schon gehört, daß es dort eine Baustelle gibt mit vielen großen Steinen und alles in allem nicht sehr toll zum Radeln. In etwa so war das dann auch. Bergauf ging es natürlich nochmal ein wenig langsamer. Als Radler ist man da ein gefundenes Fressen für die unzähligen Mücken, die zwar nicht stechen aber nervig überall hin schwirren und krabbeln. Immer wieder versuchte ich sie abzuhängen, ein wenig schneller fahren so daß Fahrtwind aufkommt. Aber ich wurde doch immer wieder aufs Neue eingeholt.
Schließlich kam ich oben an und sah rechts neben der frisch asphaltierten Straße den Másvatn, idyllisch blau in der grünen Heide. An dessen Südspitze kam ich am Schild vorbei, das das Naturschutzgebiet Mývatn für den Gegenverkehr ankündigt. Und nach einer Kurve nach Norden war die Baustelle auch schon einigermaßen durchquert. So kam ich zügig voran durch dichte Wolken, immer noch ohne Regen. Die Abfahrt ins Reykjadalur war dann ein reines Vergnügen, letztes Jahr war die Baustelle noch an dieser Abfahrt und es gab sogar vereinzelt Verkehrsstaus und vor allem richtig große Kieseln auf diesem Stück Straße. Auch die anschließende Fahrt durch das Reykjadalur verlief recht ereignislos und schneller als erwartet stand ich an der Abzweigung der Straße 845 ins Aðaldalur und nach Grenjaðarstaður.
Aber meine heutige Strecke führte mich über den nächsten Hügelzug, auf dessen anderer Seite wieder der Goðafoss lag. Mühselig arbeitete ich mich bergauf, mit der Aussicht auf die Abfahrt auf der anderen Seite. Von oben gab es aber noch eine andere Aussicht, nämlich auf die deutlich steileren Hänge der Ljósavatnsskarð und den Wasserfall unter mir. Beides alte Bekannte, die noch vor mir lagen, zunächst aber die lange Abfahrt nach Fosshóll. Dort stellte ich wiedermal mein Gespann an der Tankstelle ab und wanderte zu meinem Lieblingswasserfall, dem Goðafoss. Für den muss einfach immer eine Pause sein, wenn ich hier vorbeikomme.
Es war schon etwa 4 Uhr Nachmittags bis ich wieder aufbrach. Meine Abfahrt wurde immer wieder verzögert durch neue Radler, die aus Akureyri hier eintrafen, und mit denen ich mich immer wieder ein wenig unterhielt. Am Himmel wurden die Wolken langsam wieder dichter, nachdem man zwischenzeitlich sogar ein wenig Blau erahnen konnte. Mein Regenzeug war sowieso ganz obenauf gepackt, und so fuhr ich dann doch endlich weiter.
Die selbe Strecke war ich vor noch gar nicht allzu langer Zeit ja in der Gegenrichtung unterwegs, also kannte ich mich auch hier wieder bestens aus. Bald kam ich am Ljósavatn vorbei, ließ den schönen Parkplatz an dessen Ufer aber links liegen, nachdem er bei den dicken Wolken gar nicht so schön und einladend aussah. Ebenso fuhr ich an der Internatsschule und dem Fosshotel am Westufer des Sees vorbei. Auf dem letzten Stück durch das breite Tal Ljósavatnsskarð fielen mir vor allem die schon leicht rötlich gefärbten Wälder an den Talhängen auf, die zusammen mit den Wolken die die Hänge hinunterkrochen ein recht herbstliches Bild abgaben.
Schließlich kam ich an der Abzweigung zum Vaglaskógur vorbei und wenig später an die Straße 835, die im Tal der Fnjóská entlang nördlich der Ringstraße an den Eyjafjöeður führte. Die andere Alternativroute führte ein Stück südlich über die Vaðlaheiði hinüber, war jedoch von dichten Wolken vehüllt. Auf die Ringstraße hatte ich keine Lust mehr, es war schon den ganzen Tag ein verhältnismäßig dichter Verkehr unterwegs. Also radelte ich hier nach Norden im Tal und am Fluß entlang. Ich hatte Glück, denn obwohl es an den Hängen und überhaupt rund um mich überall zu regnen schien, bekam ich kaum einen Tropfen ab.
Aber nicht nur das gefiel mir an der Strecke. Waren zunächst noch saftige grüne Weiden auf beiden Seiten der Straße, wurde das Tal mit der Zeit immer enger und und Hänge steiler. Ich fühlte mich fast ein wenig an eine norwegische Fjordlandschaft erinnert, etwas untypisch für Island. Zusätzlich waren die Hänge nämlich recht dicht bewaldet und die Herbstfärbung der Bäume war nicht mehr zu verkennen. Besonders den zweiten Abschnitt der Strecke, der direkt durch die Dalsmynni nach Westen führte anstatt nach Norden, fand ich sehr schön. Allerdings war die ganze Strecke recht hügelig, so daß ich bergmäßig nichts gegenüber den Pässen weiter südlich einsparte.
Nach etwa einer Stunde kam ich ans Ende des Tales und vor mir lag wieder einmal der Eyjafjörður. Hier zweigte die Straße 83 ab und führte am Fjord entlang auf die Ringstraße weiter südlich. Kurz hinter dieser Kreuzung sollte in Laufás ein Museum in einem alten Torfhaus sein, wiedermal ein alter Priestersitz, Dejavu. Das Museum fand ich auch, allerdings hatte es gerade vor wenigen Minuten geschlossen. Naja, die Torfhäuser und das kleine Kirchlein waren auch von außen schön anzusehen, und eine Kekspause kam mir gerade gelegen.
Als ich weiterradelte in Richtung Akureyri, waren eine Weile lang neben mir ein paar Reiter unterwegs. Ein recht großer Reiterhof von Polarhestar liegt irgendwo dort in der Gegend. Aber ich war irgendwie schneller und hängte sie bald ab. Das letzte Stück am Fjord entlang fand ich recht langweilig, die dichten Wolken hingen tief und ich konnte kaum das andere Ufer erkennen. Außerdem setzte langsam wieder feiner Nieselregen ein. Als ich auf die Ringstraße kam, nahm außerdem der Verkehr wieder drastisch zu. Insgesamt war es heute nicht gerade angenehm, dort entlangzuradeln, aber es blieb nichts anderes übrig.
Irgendwann kam ich aber doch noch an in Akureyri, fand schnell den Weg zum Zeltplatz und ließ mich dort nieder. Im Supermarkt gleich nebenan ging ich endlich mal wieder richtig einkaufen und kochte mir danach ein richtiges Festmahl. Zwei der Radler vom Vorabend am Mývatn traf ich ebenfalls wieder, sie waren mit dem Bus hierher gefahren. Sie sponsorten mir noch ein paar Kartoffeln, nachdem sie selber viel zu viele gekocht hatten. Somit wurde ich mal wieder pappsatt an dem Abend.
Am nächsten Morgen müßte ich mich an der Uni melden und herausfinden, wo ich während dem nächsten Semester wohnen würde. Außerdem müßte ich mich endgültig für ein paar Kurse entscheiden und eben alles was sonst noch zu einem Auslandssemester dazugehört. Außerdem müßte ich bald mal mein "Versorgungspaket" aus Deutschland finden, mit frischen Klamotten und anderem Luxus. Meine Radtour ging somit zuende, aber die Heimreise lag noch in ferner Zukunft.
Dreieinhalb Wochen Islandreise waren vergangen, fünf Monate Studieren in Island brachen gerade erst an.
Bilder der Tages:

Statistik:
Reisezeit1.8.2003 - 24.8.2003 : 24 Tage
Übernachtungen im Zelt23
Übernachtungen in Hütten2
Zeltplätze15 + 2 mal wild zelten
Hütten2
Zelt auf-/abgebaut19 mal
ausgegebenes Geldca. 1.000 EUR, inclusive Flug
Verwendete VerkehrsmittelEinmal ein kurzes Stück im Jeep, einmal ein kurzes Stück im Bus, sonst immer Fahrrad
zurückgelegte Strecke mit Fahrradca. 1750 km
zu Fuß (Wanderungen)ca. 100 km
Strecke insgesamtca. 1850 km
Fotosca. 100 MB, verteilt auf 230 Bilder
Panoramen19 mit insgesamt 79 Bildern
Museumsbesuche2
Besuchte Kirchen6
Gletscherüberquerungen1 (hin und zurück)
Gepäckca 15 kg + Fahrrad + Handgepäck + Laptop
Pannen etc.einmal platter Anhängerreifen, einmal Ventil nicht richtig zugedreht, einmal Metallspleiß in ner Bremsbacke, von der Anhängerpanne in London mal abgesehen
Hering-Bilanzeinen Hering verloren
Sonnentagemindestens 12, eher ein paar mehr
Regentageeinen... auch wenn man empfindlich ist höchstens noch zwei oder drei mehr

Der Übersicht wegen gibt es diesen Reisebericht auf mehrere Teile aufgespalten:
Gesamt Teil 1 Teil 2 Teil 3

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last update Sat Oct 14 19:22:30 2006