31. Juli 2005 Anreise |
Ohne Fahrrad war die Anreise gar nicht so schlimm. Eigentlich sogar recht angenehm. Nicht zuletzt, weil ich mich mit einem alten Bekannten quasi verabredet hatte. Hagen, der mir schon 2002 in mehrfach begegnet war, wollte wieder mit dem Fahrrad nach Island und hatte wieder den selben Hinflug wie ich. Wir haben uns schon im Zug auf dem Weg zum Flughafen getroffen, und natürlich gleich gefachsimpelt über Hochlandrouten und Fotografieren und überhaupt. Beim Check-In am Flughafen Schönefeld ist mir außerdem recht bald ein Paar aufgefallen, die ähnlich erschreckend große Rucksäcke am Rücken hatten wie ich, und im Gegensatz zu den restlichen Reisenden keine tausend zusätzlichen Taschen umgehängt hatten. Die wollten auch Wandern, dachte ich mir. Und so war es auch. Frank und Sybille sind mir noch mehrfach wiederbegegnet, außerdem hat sich schnell herausgestellt, daß wir auch in 4 Wochen wieder gemeinsam zurückfliegen würden. Der Flug nach Keflavík war angenehm. Ich hatte wieder einen Fensterplatz, rechte Seite, und so konnte ich Anflug auf die Insel schon gleich mal meine Route überblicken. Nördlich des Vatnajökull war gute Sicht auf Snæfell, Kverkfjöll und den Sandsturm bei der Askja. Südlich und westlich war allerdings nichts als Wolken zu sehen. So landeten wir auch am frühen Nachmittag in völlig bewölkten aber trockenen Keflavík. Und da stand auch schon der erste Abschied der Reise an, denn Hagen wollte gleich von Keflavík aus losradeln, während Frank, Sybille und ich nach den Flybussen in Richtung Reykjavík Ausschau hielten. Auf dem Weg über die Reykjanes war beste Sicht, die Wolken standen hoch und die Reihe von Gipfeln südlich der Straße überragte wie eh und jeh die flache Lavalandschaft davor. In Reykjavík hatte sich hingegen schon wieder einiges verändert, und ich hätte das BSI-Terminal fast nicht wiedergefunden, vor lauter neuen Straßen. Dort am Terminal war eigentlich Umsteigen angesagt, weil der Busfahrer eigentlich nur Gästehäuser und Hotels anfahren wollte. Erst als ich ihm erklärte, daß ich "zum Zeltplatz direkt neben der Jugendherberge" wollte, ging das in Ordnung. Nach dem Zeltaufbau war es dann schon fast Abend. Falls der nächste Bónus heute überhaupt offengehabt hätte, hätte ich ihn bestimmt nicht mehr innerhalb der Öffnungszeit erreicht. Meine Besorgungen müsste ich also morgen erledigen, was sehr ungünstig war. Denn morgen war Bankfeiertag, einer der Tage, die am schlechtesten für einen Großeinkauf geeignet sind. Fürs erste begnügte ich mich also mit einer Flasche Coleman-Fuel für den Kocher und einem kleinen Abendessen vom 10-11 neben dem Zeltplatz. Eine kleine pyrotechnische Einlage beim Anzünden des Kochers erheiterte die Zeltnachbarn, ich schraubte die Benzinflasche nochmal ordentlich dicht, dann erst gabs Abendessen. Außerdem war während des Fluges meine Flasche Sonnencreme aufgeplatzt, und der Inhalt machte sich jetzt in meinem Deckelfach und vorzüglich meiner Mütze breit. Alles zusammen ein gelungener Start in den Urlaub. Ich wollte nur noch ins Bad nebenan und eine Stunde lang im Hot-Pot abschalten! Bilder der Tages:
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1. August 2005 Vorbereitung der Tour |
Es war weiterhin wolkig am nächsten Tag. Sehr wolkig. Aber immerhin trocken. Ich hab ein bißchen Skýr zum Frühstück gelöffelt, dann ging die Packerei los, denn ich wollte gleich heute weiterfliegen nach Höfn. Diesmal hab ich das Zelt nach außen gepackt, was ich während des langen Herfluges nicht unbedingt machen wollte. Somit hatte ich jetzt innen im Rucksack genug Platz fürs Essen, allerdings abgesehen davon ein absolutes Chaos. Bis ich auswendig wüßte wo welches Stück hinkommt, würden wohl noch ein paar Tage vergehen. Frank und Sybille hatten sich schon aus Deutschland zwei Kisten mit Trekkingfutter mitgebracht. Die wollten sie jetzt zum Busterminal bringen. Und ich wollte meinen fertig gepackten Rucksack dort irgendwo erstmal zwischenlagern und dann erkunden, wo ich mein Futter für die nächsten drei Wochen herbekommen könnte. Also sind wir zusammen zum BSI marschiert, 5km quer durch die Stadt. Und ich hab mich zum ersten mal fast richtig ausgekannt in Reykjavík, und mich nur ganz knapp um einen Häuserblock verlaufen. Immerhin sind wir angekommen. Meinen Rucksack zu lagern war natürlich kein Problem, also hab ich meine beiden Ortlieb Packsäcke als Einkaufstauschen rausgekramt und die restlichen 20kg erstmal unter Dach und Fach gewußt. Außerdem hab ich noch Frank und Sybille geholfen, "Nýidalur" auszusprechen, damit ihr Vorratspaket auch da ankommt, wo es hin sollte. Danach hab ich mich von den beiden verabschiedet, daß wir uns spätestens beim Rückflug wiedersehen würden war ja klar! Tja, normalerweise verlaufe ich mich ja regelmäßig in Reykjavík. Und daß ich wüßte, wo man dort günstig Lebensmittel einkauft, kann ich auch nicht wirklich behaupten. Natürlich kenne ich den Laugarvegur und auch den Bónus, den es dort gibt. Aber es war wie gesagt Bankfeiertag, also war da dicht. Überhaupt war überall alles dicht. Und auf den belebten Einkaufsstraßen war nirgends ein Mensch unterwegs. Hin und wieder ein paar an Kameraausrüstung und Outdoorjacke erkennbare Touristen, aber auch das waren wenige. Ich hab schließlich einen 10-11 gefunden, der immer offen hat. Und einen 11-11 auch. Beides nicht gerade billige Supermärkte, aber heute wohl die einzige Möglichkeit. Also hab ich kiloweise Nudeln, Müsli und Müsliriegel eingekauft, wobei der 11-11 eindeutig die bessere Auswahl an Müsliriegeln hatte. Beim Einkauf hab ich immer genau mitgerechnet, wann ich für welche Etappe was hätte und wieviele Reservetage dann noch übrig waren. War ein sehr eigenartiges Gefühl. Und das alles dann in zwei Ortlieb-Säcken zu verstauen. Ich möchte nicht wissen, was die Kassiererinnen von mir gedacht haben. Kiloweise Nudeln, und so viele Kekse dazu... Naja, alles noch zweimal zur Kontrolle durchgerechnet bin ich dann wieder zum BSI Terminal gelaufen. Dabei ist mir aufgefallen, daß das eigentlich erschreckend wenig ist, mit was ich da auskommen wollte. Insbesondere als ich dann alles versandfertig gepackt hatte, kamen mir Gewissensbisse. Also nochmal neu umgepackt, alles was ich hatte in die beiden Packsäcke verstaut, und mir vorgenommen, heute abend in Höfn nochmal für die ersten paar Tage bis zum Versorgungspaket einzukaufen. In Höfn gibts auch einen 11-11, den kannte ich schon. Als letztes noch eine Liste mit GPS-Koordinaten in jeden Packsack, einen kleinen Brief auf isländisch an die Hüttenwärter, dann abgeschickt. Einen zur Dreki-Hütte an der Askja, den anderen zur Hütte am Snæfell. Kein Problem meinte der Mann am Schalter. Na, ob das mal was wird, dachte ich mir. Den Flug nach Höfn für heute Abend hatte ich schon von Deutschland aus gebucht, bis zum Start hatte ich aber noch mehr als vier Stunden Zeit. In Downtown Reykjavík war heute nichts geboten, bzw. da war ich schon ausgiebig genug. Also bin ich in Richtung Flughafen losgestiefelt, wollte dort mein Gepäck irgendwie einchecken, was aber noch nicht ging, und stand dann also da mit dem Rucksack. Aber zum Glück hab ich von einem Fuß- und Radweg an der "Südküste" von Reykjavík gehört, der auch zum beheizten Badestrand führt, zwei neue Ecken der Stadt die ich noch gar nicht kannte. Der Fußweg war asphaltiert, führte tatsächlich südlich um den ganzen Flughafen herum, und war mit dem Rucksack am Rücken eine nette Übung vor die bevorstehende Tour. Den beheizten Badestrand hab ich auch gefunden, hatte aber keine Lust, dort noch zu baden. Am Rückweg bin ich zur Perlan hinaufgestiegen, dann war meine Runde um den Flughafen komplett. Eine halbe Stunde vor Abflug stand ich wieder im Terminalgebäude und konnte diesmal mein Gepäck einchecken. Der Flug hatte allerdings Verspätung, so daß ich noch eine volle Stunde rumsitzen und warten musste. Währenddessen kam eine ganze Horde richtig abenteuerlicher Gestalten an, allesamt mit sehr viel Gepäck, einige sicher 40kg und mehr. Einer hatte das sogar in vielen wasserdichten Tonnen verstaut. Irgendein Flug aus Grönland war angekommen, das war offensichtlich. Ich musste an ein paar Kommilitonen denken, die einige Zeit nach mir zu so einer "abenteuerlichen Expedition" nach Grönland wollten und wohl auch durch dieses Terminal mussten. Irgendwie ist mir Grönland aber ein bißchen unsympathisch, so als Abenteuerspielplatz für Erwachsene, und außerdem wollte ich nach einem Jahr Entzug unbedingt wieder nach Island. Außerdem war ein Jahr später wohl keine Gelegenheit mehr, in das Staudammgebiet zu kommen. Drum saß ich jetzt alleine da und muss mir dann selbst was einfallen lassen, wenn ich wirklich mal nach Grönland möchte. Über solche Betrachtungen verging auch die verlängerte Wartezeit. Nach dem langen Rumsitzen ging es endlich raus zu der kleinen Propellermaschine, die uns nach Höfn bringen sollte. Drin konnte man kaum aufrecht stehen, 20 Sitzplätze sollte das Ding haben, eine Sitzreihe auf jeder Seite. Jeder hatte einen Fensterplatz. Etwa 10 andere Passagiere waren noch im Flieger, allesamt Isländer und keiner hatte eine Outdoor-Jacke an. Ich kam mir richtig blöd vor. Naja, der Flug war unspektakulär. Außer Wolken in allen Größen un Variationen gab es absolut nichts zu sehen. Und als wir in Höfn landeten war Regenwetter, oder "súld" auf Isländisch. Der kleine gemütliche Flughafen war voll von Leuten, die auf den Abflug warteten, oder grade Verwandte abholten. Nur ich stand irgendwie verloren da, mit meinem großen Rucksack, und wurde von niemandem abgeholt. Bevor alle verschwunden waren hab ich kurzerhand den erstbesten gefragt, ob ich vielleicht mitfahren könnte in die Stadt. Ich hatte nämlich keine Lust, meine Wanderung mit 7km Farmland bei Regen zu beginnen. Und natürlich konnte ich mitfahren. Und wo es doch immer heißt, alle Isländer könnten Englisch, die nette Familie, die mich mitnahm, das waren nur die ersten auf der Reise, die sich nicht daran hielten. Mit meinem kläglichen Isländisch und deren bißchen Englisch konnten wir uns aber doch verständigen, und sogar über so komplizierte Themen wie das Wetter in Reykjavík und Höfn reden. Am Zeltplatz in Höfn bedankte ich mich nochmals bei meinem "Taxi". Nachdem es nicht so aussah, als wollte es jede Minute mit dem Regnen aufhören, hab ich das Zelt einfach bei Regen aufgebaut. Direkt neben mir stand noch ein knallrotes Zelt mit einem Paar gut verpackter Skier davor, das mir irgendwie gleich auffiel. Aber den Besitzer konnte ich nicht ausmachen. Also bin ich erstmal zum zweiten Großeinkauf des Tages losmarschiert und kam kurz danach mit zwei Plastiktüten Beute zurück. Noch mehr Nudeln, noch mehr Müsli, noch mehr Kekse. Und ein paar leckere Kjötbollur fürs Abendessen. Ich hab mich noch kurz mit einigen Radlern unterhalten, die nicht ganz glücklich dreinschauten, mich erkundigt, wann der Bus morgen in die Lónsöræfi fahren würde, nochmal die ganze Ausrüstung durchgeschaut und die Tagesrationen gezählt, dann unruhig geschlafen. Immerhin, mein altes Zelt hielt immer noch trocken und warm war es hier unten an der Küste auch einigermaßen. Bilder der Tages:
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2. August 2005 Lónsöræfi |
Am nächsten Morgen war immer noch Regen angesagt. Immerhin gab es hin und wieder eine kleine Pause, so daß ich voller Hoffnung erstmal gemütlich Skýr frühstückte. Als ich dann mit dem Packen angefangen wollte, war natürlich wiedermal keine Regenpause. Naja, erstmal konnte ich noch in aller Ruhe im trockenen Zelt versuchen, meine ganzen Nahrungsvorräte in den Rucksack zu stopfen. Nach dieser logistischen Meisterleistung war aber immer noch Regen, und das Zelt würde ohnehin nicht trocknen, bis der Bus abfuhr. Und dummerweise musste ich mich an den Fahrplan halten. Das nasse Zelt also außen an den Rucksack dran und noch die Regenhülle drüber, dann war ich abfahrbereit. Während ich auf den Bus wartete, hab ich auch den Skifahrer wiederentdeckt. Ich fragte ihn gar nicht erst nach dem Namen, weil ich mir Namen sowieso nicht merken kann, aber im nachhinein hab ich erfahren, daß es Martin Hülle war, falls den jemand kennt. Jedenfalls wollte er schnellst möglich zum Snæfell und von dort aus per Ski über den Vatnajökull. Irgendwo bei Jökulheimar oder dem Langisjór wollte er dann rauskommen und noch irgendwie das Stückchen nach Landmannalaugar schaffen. Er hatte eine Unmenge Ausrüstung dabei, vor allem natürlich Lebensmittel für die gesamte Tour. Das meiste davon konnte er unterwegs natürlich auf einer Pulka transportieren, und bei dem letzten Stück ohne Gletschereis wären die Vorräte ja dann aufgebraucht, meinte er. Naja, ich wünschte ihm jedenfalls noch viel Glück! Mein Bus zur Múlaskáli war nicht schlecht besetzt. Etliche Tagestouristen kamen mit den Mietwagen zum Zeltplatz angefahren, und wollten auch noch mit. Insgesamt waren wir etwas über 10 Fahrgäste und ein isländischer Fahrer. Ich war der einzige Wanderer und hatte dementsprechend auch den einzigen großen Rucksack dabei. Pünktlich um halb neun gings los. Erstmal auf die Ringstraße, dann durch den neuen Tunnel an der Allmannaskarð, und nördlich des Austrarhorns war es dann auch schon fast ein bißchen sonniger. Zumindestens leuchteten die Weiden zu beiden Seiten der Straße recht sonnig. Im Tal der Jökulsá í Lóni bogen wir von der Ringstraße ab, und der Weg wurde sehr bald sehr holprig. Außerdem kamen wir an etlichen nicht weiter beschilderten Kreuzungen vorbei, Schotterpiste links, Schotterpiste rechts, Schotterpiste geradeaus. Vor 6 Jahren war ich die Strecke schonmal gefahren, hatte sie aber irgendwie anders in Erinnerung. Diesmal fuhren wir recht bald direkt neben dem Fluß entlang, ein paar mal auch durch kleinere Seitenarme die es bis an den Talrand geschafft hatten. Der Hauptarm in einem Kilometer Entfernung war aber immer zu sehen, und dazwischen eine weite Ebene aus Kies, Sand und kleinen Flüsschen. Nicht sehr einladend. Ich wunderte mich schon die ganze Zeit, ob der Bus heute wohl ganz alleine unterwegs wäre, und auch an der Furt war kein anderes Begleitfahrzeug zu sehen. Wenigstens hatten wir einen dieser riesigen Hochlandbusse, wo man erstmal zwei Meter klettern muss, um die Tür zu erreichen. Und das war auch gut so, denn vor uns lag jetzt "die Furt". Durch die Skyndidalsá sollte es gehen, und als ich das letzte Mal dort war, wusste ich schon, daß ich den Fluss lieber nie zu Fuß durchqueren wollte. Heute war er vergleichsweise harmlos, und unser Busfahrer, der die Strecke täglich fährt, musste nur etwa eine Viertelstunde lang im Fluss herummanövrieren, bis er eine günstige Stelle gefunden hatte. Ich machte mir schon fast Sorgen um meinen Rucksack unten im Gepäckraum, aber die Türen und Luken müssen bei so einem Bus natürlich wasserdicht versiegelt sein. Hinter der Furt ging es dann auf den Eskifell zu und langsam in vielen Windungen auf die Kjarrdalsheiði hinauf. Nichts für Leute mit Höhenangst. Aber von dort oben hatte man eine prima Aussicht. Und unter anderem hab ich dabei eine (Fußgänger-)Brücke entdeckt, die wohl beim Austurskógar von Norden her über die Jökulsá í Lóni führt. Ärgerlich, denn wenn ich das vorher gewußt hätte, hätte ich die Busfahrt eingespart und wäre noch zwei Tage mehr gewandert, von Stafafell zum Austurskógar und weiter zur Múlaskáli. Aber auch so erreichten wir bald den Parkplatz auf dem Illikambur. Und somit das Ende der Straße. Hier mussten alle aussteigen und es ging endlich zu Fuß los. Also hab ich den schweren Rucksack gesattelt und die Wanderstöcke ausgepackt, und dann noch drauf gewartet, daß die anderen alle ihre Regenjacken herausgekramt und angezogen hatten. Nieselregen. Die Hütte konnte ich schon bald sehen und die ersten paar hundert Meter steil bergab ins Tal waren auch problemlos zu laufen. Unten angekommen war es aber ziemlich anstrengend, gemeinsam mit den anderen zu gehen, die alle nur einen leichten Tagesrucksack dabei hatten. Die ersten paar Bäche waren auf Steinen allesamt einfach zu überqueren. "Die ersten, und tausend weitere kommen noch", scherzte der isländische Busfahrer. Kann durchaus sein, daß es noch tausend wurden, einige Stunden später hab ich bei zehn aufgehört zu zählen. Über die (Fußgänger-)Brücke kamen wir schnell zur Hütte Múlaskáli. Ein englischer Wandertrupp wartete dort bereits und die isländische Hüttenwirtin Helga. Die wusste gleich gar nichts, als ich nach dem weiteren Weg fragte, der Guide der Engländer meinte, ich sollte nicht versuchen, zwischen Geldingafell und dem Eyjabakkarjökull über den Gletscher auszuweichen. Und die Engländer, die er geführt hatte, wünschten mir schonmal viel Spaß bei den Furten, die ich dann durchqueren müsste. Mein Mut sank ein bißchen, aber das werden wir ja mal sehen, wenn ich dort bin. Meine Busgruppe hatte noch einen "guided Tour" in die nähere Umgebung auf dem Programm, und nachdem ich heute nicht mehr zur nächsten Hütte losmarschieren wollte, ließ ich den schweren Rucksack in der Hütte zurück und folgte den anderen nur mit der leichten Fototasche als Gepäck. Während wir durch die Krüppelbirkenwälder am Fluß entlang gingen, kam doch tatsächlich immer mehr Sonne durch die Wolken, und es war dann eine Zeit lang richtig schönes Wetter. Wir gingen natürlich zu der "großen Attraktion" der Lónsöræfi, einer ehemaligen Magmagangfüllung, die heute als Basaltmauer die übrigen Schichten senkrecht zerteilt. Diese Basaltmauer verlief in den Fluß hinein und zu beiden Seiten des Tales noch ein gutes Stück weiter. Und auf einem abenteuerlichen Kletterstieg konnten wir sogar ein Stück weiter hinauf, wo ein schöner Wasserfall den gefüllten Gang als Bachbett nutzte. Und in einer Rutsch- und Schlitterpartie ging es an anderer Stelle wieder ins Flusstal hinunter. Lustig, so ohne Gepäck. Aber der Bus musste sich an seinen Fahrplan halten und die Gruppe drehte um in Richtung Múlaskáli. Die englische Gruppe wollte ebenfalls mit dem Bus zurück in die Zivilisation, und die Hüttenwirtin auch. Sie meinte, ich hätte die Hütte wohl für mich alleine heute Nacht, von einer weiteren Wandergruppe wusste sie nichts. Na, das klang ja nicht schlecht, auch wenn mir zum ersten Mal ein Fehler bewusst wurde: Ich hatte gedacht, wo ich im Hochland was bezahlen könnte, da kann ich mit Karte zahlen. Hier nicht. Die einzige bemannte Hütte, wo mir das in Island jemals passiert ist. Naja, Kontonummer aufgeschrieben, und vorgenommen, das am Ende der Reise zu überweisen. Jedenfalls bekam ich noch das restliche Mittagessen der englischen Gruppe, und dann waren plötzlich alle weg und ich hatte die Hütte für mich alleine. Nachdem ich mein Zelt im Vorraum ein wenig zum Trocknen aufgehängt hatte, machte ich mich auf den Weg, noch ein wenig die nähere Umgebung zu erkunden. Einen Rundwanderweg zum Stórihnaus sollte es geben, der angeblich 2-3 Stunden dauern sollte. Direkt hinter der Hütte ging es auf den Berg hinauf, und einen Teil der Strecke hatte ich schon von der anderen Flußseite beim Abstieg vom Parkplatz gesehen. Hoch über dem Fluß ging es hier an einem steilen Hang entlang, bis ich endlich wieder auf sicherem, grün bewachsenen Boden war. Ein Stück weiter stand ich vor der nächsten tief eingeschnittenen Schlucht, der Meingíl. Am oberen Ende plätscherte der kleine Bach, der die Schlucht ausgegraben hatte, über mehrere schöne Wasserfälle hinunter. Das war mein nächstes Ziel. Von den Wasserfällen ging es auf einem leicht ersichtlichen Pfad um einen kleinen sumpfigen Bergsee herum, hinter dem sich der Ausblick wieder flußaufwärts ins Tal der Jökulsá öffnete. Und direkt zu meinen Füßen ging es in die nächste unüberquerbare Schlucht hinunter, Stórahnausgíl. Sehr beeindruckend konnte man hier die ebenmäßigen, tertiären Schichten betrachten, durch die sich wiedermal die eine oder andere Gangfüllung als deutlicher Einschnitt oder deutliche Basaltmauer zog. Mit den gelegentlichen kurzen Sonnenblicken, die sich durch die Wolken immer wieder zeigten, ein ziemlich beeindruckender Anblick. Endlich wieder Island! Der weitere Weg ging nur noch geradewegs bergab, durch leichtes Geröll zurück zur Múlaskáli. Nachdem ich bergab musste, war es ein Heidenspaß, hinunter zu rennen auf daß die Steine durch die Gegend flogen. Aber bergauf sicher sehr lästig. Während ich noch bergab zur Hütte unterwegs war, konnte ich auf dem Fußweg unten am Fluß ein paar vereinzelte leuchtende Wanderer sehen, die offensichtlich von der nächsten Hütte Egilssel kamen und auch unterwegs waren zu "meiner" Hütte. Also doch keine einsame Nacht im Hochland. Ich packte mein ausgebreitetes Zelt wieder ein und suchte meine sieben Sachen zusammen, die ich schon über die ganze Hütte verstreut hatte. Gerade noch rechtzeitig, bevor der erste Wanderer mich mit "Góðan daginn" begrüßte. Auch wenn ich mich noch so anstrengte, die Antwort genauso fließend isländisch klingen zu lassen, seine nächste Frage war "So, you are not icelandic?"... irgendwas muss ich wohl falsch gemacht haben. Kurz und gut, sehr bald waren auch die anderen 11 Wanderer angekommen und hängten ihre triefenden Jacken und Regenhosen in "meinem" Vorraum auf. Abgesehen von einem niederländischen Paar waren alles Isländer, und sie hatten beim Parkplatz auf dem Illikambur einige Vorratspakete deponiert, sagten sie. Ich hatte diese zwar nicht gesehen, aber zwei Stunden später kam der ausgesandte Spähtrupp mit gut gefüllten Rucksäcken zurück. Lammfleisch, Kartoffeln, frisches Gemüse. Sie wollten hier zwei Tage bleiben und das glückliche Ende ihrer Tour ein bißchen genießen. Natürlich fiel auch für mich halbe Portion noch was vom Abendessen ab, und wir hatten einen recht lustigen Abend auf der Hütte. Auf ihrem Weg hatte die Gruppe bis heute übrigens bestes Wetter. Sie waren über den Gletscher gelaufen, anstatt durch die Gletscherflüsse wie die Engländer, und hatten dabei auch noch eine prächtige Aussicht. Na, das machte mir ja wieder ein bißchen Mut für meine eigene Tour, die Morgen endlich so richtig losgehen sollte. Bilder der Tages:
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3. August 2005 nach Egilssel |
Die Nacht über war es in der Hütte ziemlich warm. Dafür war es draußen umso kälter und nässer, am nächsten Morgen genauso wie Tags zuvor. Irgendwann gegen Abend hatte es sich eingeregnet und heute Morgen wollte und wollte es nicht wieder aufhören. Ich ließ mir also Zeit beim Frühstücken, und so langsam wurden auch die Isländer einer nach dem anderen wach. Gegen 10 Uhr verabschiedete ich mich dann aber doch endlich, eingepackt in Regenjacke und Regenhose und mit Regenhülle überm Rucksack. Ich wusste noch nicht, daß das die letzten Menschen für die nächsten drei Tage waren, freute mich aber andrerseits auch, daß ich endlich alleine unterwegs war und meine Wanderung beginnen konnte. Das erste Stückchen ging auf dem altbekannten Pfad am Fluss entlang, der selbe Weg, den die Bus-Gruppe am Tag zuvor schon als ultimatives Lónsöræfi-Erlebnis gegangen war. Auf dem Pfad an den Geröllhängen entlang und durch die Krüppelbirkenwälder fand ich mich langsam mit dem schweren Rucksack ab, den ich die nächsten Wochen tragen würde. So schlimm fand ich ihn noch gar nicht. Unterwegs ging es auch über die nächsten paar kleinen Bäche, tausend weitere wurden mir ja schon prophezeit, aber solange die sich alle so einfach auf Steinen überqueren ließen, hatte ich nichts dagegen. Ich konnte den gelben Wegmarkierungen unten direkt am Fluss entlang folgen. In einigen Reiseberichten hatte ich von steilen Kletterpassagen gelesen, aber begegnet sind mir diese nicht. Eigentlich war die Strecke sogar sehr angenehm, eben und abwechslungsreich. Mal ging es wieder durch dichten Wald, also ein paar Krüppelbirkenbüsche mit ner Menge Gras dazwischen, zeitweise über den Kies im Flußtal. Gelegentliche Stufen über Wurzeln waren noch die größte Schwierigkeit. Aber nach den nächsten zwei drei Kilometern änderte sich das langsam. Es ging immer mehr bergauf und wurde langsam auch immer steiler. Laut Karte sollten hier etwa 600 Höhenmeter auf die Leiðartungur folgen. Aber eigentlich hatte ich kein Problem, mit Sack und Pack aufwärts zu steigen. Ich genoss eher die immer besser werdende Aussicht, auch wenn es natürlich immer noch überwiegend regnerisch und trüb war. Nach dem ersten Bergabsatz hatte ich die größere Vegetation hinter mir gelassen, und es gab nur noch Moose, Flechten und ähnliches Kleinzeug. Darüber ragte der erste Wegmarkierungs-Steinhaufen deutlich heraus und in dessen Regenschatten machte ich dann auch gleich eine Pause. Der Hausberg der Múlaskáli-Hütte, den ich tags zuvor umrundet hatte, verschwand zusehends aus meinem Blickfeld. Dafür konnte ich jetzt vor mir jenseits des Canyons der Jökulsá í Lóni mit dem Axarjökull den ersten Ausläufer des Vantajökull erahnen. Allerdings war der weitaus größte Teil des Gletschers noch in dichten Wolken verborgen. Vor mir war schon von Weitem der nächste große Bergabsatz zu erkennen. Weiter oben am Hang gab es sechseckigen Säulenbasalt, und der bröckelte so langsam herunter und hatte sich schon auf dem ganzen Hang breitgemacht. Überall alles sechseckig, in alle Richtungen. Ein sehr ungewohnter Anblick. Aber der Weg führte zum Glück nicht geradewegs hindurch, sondern in weitem Bogen an den Felsen vorbei, weiter durch niedrige Pflanzen, Moos und spärliches Gras. Unterwegs kam ich an einer kleinen Abzweigung auf den Kollumúli vorbei, oder zumindest stand das auf dem Schild. Da wollte ich heute nicht hin, also ging es geradeaus weiter. Sehr bald war ich am oberen Ende des Bergabsatzes angekommen und stand an der nächsten Kreuzung. Der Fußweg ging geradeaus weiter und die gelben Wegmarkierungen in schafem Bogen rechts ab. Ich war ein bißchen verwirrt, aber die Fußspuren mussten wohl geradewegs zum Tröllakrókahnjúkur führen, wähernd die Wegmarkierungen der Richtung nach definitiv zu meiner nächsten Hütte führten, Egilssel. Ich folgte also den gelben Punkten, mittlerweile durch eine ziemlich öde Steinlandschaft. Vorbei an einem kleinen See, der sicher bei besserem Wetter ausgetrocknet wäre, ging es noch eine Weile schnurgeradeaus. Dann konnte ich vor mir schon den Kollumúlavatn erkennen, ein größerer See in einem vergleichsweise üppig grasgrünen Tal. Und neben dem See war ein kleiner heller Fleck, die Hütte Egilssel. Ich musste nur noch bergab und schnurgeradeaus gehen. Naja, fast. Ein paar steile Felshänge waren auch noch dabei, wiedermal sechseckiger Basalt und diesmal ging es im Zickzack quer durch. Außerdem musste den Wegbeschreibungen nach irgendwo vor der Hütte noch der Abfluss des Sees liegen. Und der war bisher noch nicht zu sehen. Und zu hören war auch nichts außer dem Geprassel des Regens. Erst als ich direkt davor stand, sah ich den Bach. Außerdem sah ich einige verlockende Steine quer hindurch, die mir das Furten so kurz vor meinem Tagesziel ersparen könnten. Mit den Stöcken als Stütze schaffte ich es auch wirklich, trocken hinüber zu kommen. Dann noch ein paar Schritte nach oben und ich war in der Hütte. Erstmal war die Hütte natürlich mit Holzläden und einer dicken Schraube "verschlossen" und ich musste auch die Fensterläden erst aufmachen. Aber bei genauerer Inspektion und mit ein bißchen Licht innen drinnen fand ich sie dann richtig niedlich. Als erstes fielen mir fünf große blaue Tonnen im Vorraum auf, von denen mir sowohl die Engländer als auch die Isländer bereits erzählt hatten. Das Reiseunternehmen der Engländer hatte die Tonnen hier herauf geschickt, randvoll mit Essen. Nudeln, Kekse, Schokolade (!), scharfe Mexiko-Sauce, Burritos, Nutella... Und leider leider leider sind wohl nur wenige der geplanten Touren zustande gekommen, so daß sich jetzt jeder von den überflüssigen Vorräten bedienen konnte. Das stand auch nochmal extra auf einem Zettel neben den Tonnen. Hmmmm... ich hätte glatt die nächsten Wochen hier wohnen können. Naja, wo ich noch in den ganzen nassen Sachen war, machte ich gleich nochmal eine kurze Runde in der Umgebung der Hütte. Die Tagesetappe war recht kurz gewesen und trotz der Steigung empfand ich sie nicht als anstrengend, eben eine gute Etappe zum warm werden. Also bin ich mit den Fotosachen nochmal raus, es schien nämlich grade auch ein wenig schwächer zu regnen als den restlichen Tag. Irgendwo hinter der Hütte musste es hinunter ins Viðidalur gehen und am Fuß des Tales sollten die Ruinen eines verlassenen Hofes zu sehen sein. Das wollte ich mir zumindest mal von oben anschauen. Ich fand recht bald eine Steinwarte, die vielleicht den Abstieg ins Tal markierte. Aber als ich das Tal dann vor mir sah, wollte ich lieber doch nicht mehr ganz da runter und vor allem danach wieder nach oben laufen. Statt dessen bin ich am oberen Rand des Tales entlanggelaufen zum Abfluss des Kollumúlavatn. Der hat sich dort seinen Weg durch malerische Basaltformationen gebahnt, und bei denen knipste ich ein wenig vor mich hin. Nicht allzu lange, da goß es schon wieder in Strömen. Ohne die Ruine im Tal gefunden zu haben machte ich mich schleunigst wieder auf den Weg in "meine" Hütte. Klarer Fall, heute wird nicht gezeltet! Statt dessen hab ich mit dem großen Eimer Wasser vom Bach geholt, draußen die großen Gaskartuschen auf Flamme gestellt, und mir ein leckeres Abendessen zubereitet. Leider war auch das viele Essen aus den Tonnen meist eher langhaltbares Trockenfutter, wie Nudeln. Die verderblichen Sachen waren alle weg. Aber für ein bißchen was dazu zu den Nudeln hat es allemal gereicht. Nach dem Abendessen hab ich vergeblich versucht, den Holzofen anzuwerfen, bzw. mich dabei unheimlich dumm angestellt, mir danach im kalten Bach draußen den Ruß von den Händen gewaschen, und mich dann in alle meine Pullover gehüllt bei Kerzenlicht über meine Reiselektüre hergemacht. Irgendwann zu später Stunde dann ab in den Schlafsack, der bei diesen Temperaturen genau im Komfortbereich war. Ich hörte noch lange dem Regen zu, wie er auf Dach trommelte. Ansonsten weit und breit keine Menschenseele und absolute Ruhe. Bilder der Tages:
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4. August 2005 nach Geldingafell |
Irgendwann über Nacht hat es wohl zu regnen aufgehört, und es gab fast ein bißchen Sonnenschein, als ich am nächsten Morgen aufgewacht bin. Mit dem Nutella aus einer der blauen Tonnen war die Welt also fast perfekt. Ich überlegte mir ernsthaft, ob ich nicht doch meinen restlichen Urlaub hier auf der Hütte verbringen sollte. Aber ich bin natürlich doch aufgebrochen, hab die Hütte noch schön saubergemacht, aber, was mir ein paar Kilometer später eingefallen ist, vergessen, die Gaskartuschen außen an der Hütte wieder zu verriegeln. Mit dem schweren Rucksack machte ich mich auf, zunächst wieder auf den selben Steinen durch die Múlaþverra auf die Südseite des Kollumúlavatn. Dort irgendwo führte der weitere Weg zur Hütte Geldingafell und zum Snæfell entlang. Wegmarkierungen gab es allerdings keine mehr. Und eine ausgetretene Fußspur auch nicht. Das war ein bißchen Neuland für mich, so ganz ohne Weg unterwegs zu sein, deswegen hab ich mich anfangs recht oft per GPS selbst versichert, daß zumindest die Richtung stimmte. Erst im Laufe der Zeit nahm mich die Landschaft mehr und mehr gefangen und ich verzichtete auf den elektronischen Schnickschnack. Südlich des Kollumúlavatn ging es also vorbei, dann geradewegs nach Westen auf eine breite Passhöhe zu. Unterwegs querte ich immer wieder kleinere Bäche und grünbemooste Täler, kam an ein paar kleinen Seen vorbei, und musste gelegentlich auch über kleinere Stein- und Geröllfelder. Aber eigentlich ging es ganz gut vorwärts, trotz des ständigen auf und ab. Und so langsam öffnete sich vor mir wieder der Canyon der Jökulsá í Lóni mit den Ausläufern des Vatnajökull dahinter. In einer kleinen grünen Senke vor dem Canyon lag ein idyllischer keiner Bergsee, am jenseitigen Rand des Canyons stürzte ein malerischer Wasserfall zu Tale, darüber das Gletschereis und ein blau-weißer Himmel... Alleine für diesen Anblick lohnt es sich, den ganzen Tag zu wandern. Am oberen Canyonrand sollte jetzt mein Wanderweg weiterführen, bis ich zu einem größeren Bach mit dem Namen Vesturdalsá käme, mit einem schönen Wasserfall darin. Und unterwegs gab es eine tiefe Kerbschlucht, die ich möglichst weit oben umgehen sollte. So stand es einvernehmlich in allen Reiseführern und -berichten die ich gefunden hatte. Allerdings stand nicht drinnen, daß ich dabei fast durchgehend auf groben Geröllfeldern laufen müsste. So stolperte ich mehr schlecht als recht über die Steine, hielt mich weit oberhalb der Kerbschlucht, und fand dort sogar ein paar Fußspuren in einem Altschneefeld. Also ist das wohl doch der normale Weg, auch wenn mir das Geröll fast den ganzen Spaß an der Landschaft wieder verderben konnte. Als ich noch ein Stückchen weiter war, konnte ich schon den Einschnitt der Vesturdalsá erkennen. Dummerweise hatte ich bis dahin noch ein paar weitere unangenehme Geröllfelder vor mir. Immer wieder blieb ich mit den Stöcken zwischen Steinen hängen, und schleppte sie mehr als unnützen Balast mit mir. Andrerseits kamen auch gelegentlich Steine ins Kippeln, so daß die Stöcke doch wieder sehr hilfreich waren, das Gleichgewicht zu behalten. Irgendwann kam, was ich schon lange erwartet hatte, ich fiel auf die Nase, oder bessergesagt seitlich und halb auf meinen Rucksack. Sehr unangenehm, irgendwie hatte ichs geschafft, mich bei der ganzen Aktion an der Hand aufzuschürfen, und die kleine Schramme wurde ich bis zum Ende der Reise nicht mehr recht los. Naja, hätte schlimmer kommen können, und kurz danach machte ich eine ausgiebige Pause an der Vesturdalsá, mit frischem Trinkwasser aus dem Bach und einmal Rucksack absetzen. Im Laufe des Tages zog es aber auch immer mehr zu, und von dem schönen blauen Himmel, den ich grad eben noch hatte, war nicht mehr viel übrig. Als ich grade ein paar Meter am Bach entlang gegangen war, um den schönen Wasserfall ein bißchen besser fotografieren zu können, fing es auch schon leicht an zu tröpfeln. Außerdem wehte ein starker Wind und beim Fotografieren mir wurde richtig kalt. Also schnell zurück zum Rucksack und weitermarschieren. Der kleine Bach, an dem ich Pause machte, war eigentlich nur ein Nebenfluss der Vesturdalsá. Den konnte ich bequem auf ein paar Steinen überqueren. Der Hauptarm lag aber noch vor mir, und eigentlich dachte ich, nicht weit von mir eine Stelle gesehen zu haben, wo ich den vielleicht auch noch bequem auf Steinen überspringen konnte. Aber der offizielle Weg ging auf dieser Seite entlang, und wenn mir schon hier so eine Stelle geradezu vor der Nase lag, dann könnte ich bestimmt noch ein Stück weiter flußauf gehen, wo es laut den Berichten immer einfach rüber ginge. Der Fluß war mehr oder weniger eine Aneinanderreihung von kleinen Seen, und zwischen den Seen floß er jeweils rasch und flach über ein paar Steine. Und neben den Seen konnte man eigentlich auch ganz gut über den feineren Schutt gehen. So kam ich noch etwa einen Kilometer gut voran. Dann stand ich am Fremstavatn, einem richtigen, großen See, aus dem auch die Vesturdalsá abfloss. Genau dort am Ausfluss war ein kleiner Pegelmesser angebracht, und dort sollte man leicht rüber kommen. Naja, leicht schon, aber nicht mit trockenen Füßen. Und eigentlich war ich auch seit einem Kilometer nicht mehr an einer Stelle vorbeigekommen, wo ich mich trockenen Füßen rübergekommen wäre. Besonders angenehm war, daß es genau jetzt auch noch richtig zu regnen anfing, im Gegensatz zum leichten Tröpfeln bisher. Beste Vorraussetungzen also, die Wat-Sandalen herauszukramen, Schuhe aus, und ab durchs kalte Wasser zu gehen. Irgendwie ärgerte ich mich richtig. Aber wenigstens kam ich in einem Zug durch, und musste nicht, wie mit dem Fahrrad, Furten in drei Zügen. Der weitere Weg ging am Süd- und Westufer des Fremstavatn entlang, und dann über eine trostlose Steinwüste weiter nach Nordwesten. Das Geröll war meistens nicht mehr ganz so grob und unangenehm wie zuvor, aber mit dem Regen kam trotzdem keine richtige Freude bei mir auf. Außerdem hatte ich Gegenwind, aus Nord bis Nordost. Ich war zwar warm und trocken eingepackt, aber angeblich hätte ich schon seit längerem den Snæfell irgendwo vor mir aufragen sehen sollen, mein nächstes größeres Etappenziel. Statt dessen nichts als Wolken, schwarze Steine und zwischendrin ein bißchen Moos. Ich wanderte also entlang der Seen Fremstavatn, Miðvatn und Innstavatn, wobei ich jeweils nur an ganz kleinen Bächen vorbei kam, die meistens komplett mit Moss überwachsen waren. Vor dem nächsten See, dem Kelduárvatn, kam ich sogar wiedermal an einer Steinwarte vorbei. Und ab hier ging es auch wieder leicht bergab, was ich vor allem an der Fließrichtung der Bäche merkte. Außerdem hatten die Bäche deutlich mehr Wasser als zuvor, und manches mal hatte ich fast Probleme, trocken drüber zu kommen. Einmal ging das nur noch, nachdem ich einen Stein als zusätzliche Trittstelle eingebaut hatte. Irgendwo unterwegs in Regen und Nebel hatte ich vor lauter Steinen auch mein Zeitgefühl verloren. Meiner Meinung nach hätte ich schon längst die nächste Hütte, Geldingafell, zumindest sehen sollen. Verfehlen konnte ich sie eigentlich nicht, ich lief am Westufer der Kelduá und bei der Hütte musste von noch weiter westlich die Blandá hinzukommen. Beides Flüsse, die man wohl nicht so einfach auf Steinen überspringen konnte. Nach einer halben Ewigkeit stand ich endlich auf einem kleinen Bergkamm und direkt zu meinen Füßen lag die gelb-rote Hütte. So schön der Tag auch angefangen hatte, das letzte Stück durch Nebel und Regen war irgendwie zu trostlos, so daß ich mich schon lange nur noch nach dieser Hütte sehnte. Im Vorraum hab ich erstmal meine nassen Sachen ausgezogen. Darunter war alles angenehm trocken. Ich machte mich gleich über den Holzofen her, der als Heizung und Kochstelle diente, und dank des Benzinkanisters direkt daneben, verstand ich diesmal auch, wie man das Ding am besten zum Laufen bringt. Im Nu war es angenehm warm herinnen, ich machte noch die Fensterläden ringsherum auf, ging kurz raus zum Bach um einen Eimer Wasser zu holen, und freute mich auf eine trockene und warme Hüttennacht. Auch hier standen übrigens wieder einige große blaue Tonnen mit Essen herum, aber die besten Leckereien waren wohl schon aufgebraucht. Außerdem wollte ich endlich meine eigenen Vorräte ein bißchen dezimieren, damit ich in Zukunft weniger zu Schleppen hätte. Also gab es heute mal wieder Nudeln. Und nach dem Abendessen studierte ich noch ein wenig die diversen Karten, die ich dabei hatte und die hier deponiert waren. Morgen könnte noch ein ziemlich interessanter Tag werden, mit Gletscher oder Gletscherflüssen, und ich konnte mich nicht entscheiden, was davon bei dem Wetter das kleinere Übel war. Bilder der Tages:
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5. August 2005 Eyjarbakkar |
Am nächsten Morgen war das Wetter auch nicht wirklich einladend. Es war ziemlich kalt, dicht bewölkt, aber immerhin trocken. Ich hatte drei Optionen, von hier aus zur Hütte am Snæfell zu kommen. Bei der Planung war mir die Möglichkeit, an der Blandá entlang nach Süden und dann über den Gletscher zu gehen die sympathischste. Die Engländer hatten mir davon abgeraten, die Isländer waren diesen Weg gelaufen und hatten noch eine wunderbare Aussicht dabei. Aber bei der Bewölkung, die ich heute hatte, war mir eine Gletschertour dann doch zu heikel, wenn man so gar nicht sieht, ob man geradewegs auf ein Spaltengebiet zuläuft oder nicht. Die andere Option war, am Nordrand des Gletschers durch etwa 6 Flüsse zu furten, dann auf dem selben Weg wie weiter oben über den Eyjabakkajökull. Ich mag Furten aber nicht besonders, und in Anbetracht der momentanen Temperaturen strich ich auch diese Variante. Als dritte Möglichkeit könnte ich zu den Eyjarbakkar laufen, dem Abflussgebiet des Eyjabakkarjökull, und dort im Grasland entlang der Jökulsá í Fljótsdal bis ich zur Baustelle für den neuen Staudamm Ufsárlón käme. Dort müsste ich über eine Brücke, und käme dann von Norden her zur Snæfellsskáli. Vielleicht keine besonders reizvolle Route, aber bei den beiden anderen Alternativen war mir das dann doch noch die liebste. Den ganzen Tag in der Hütte rumsitzen und auf besseres Wetter warten kam gar nicht in Frage! Also packte ich meine sieben Sachen, verabschiedete mich mit einem Gästebucheintrag von der Hütte, kehrte nochmal ordentlich aus und machte mich auf den Weg. erstmal konnte ich ein paar Jeep-Spuren nach Norden folgen und mir eine schöne Furt durch die Blandá suchen. So zum wachwerden einmal quer durch einen Gletscherfluss, das verfehlt seine Wirkung nicht! Mit kalten Füßen folgte ich noch ein wenig den Jeep-Spuren nach Norden, aber die verloren sich recht bald und ich wollte ohnehin weiter nach Westen. Dort sollte es eine verfallene Hütte geben, Eyjabakkarkofi. Und an dieser Hütte vorbei gab es laut der "East-Iceland Highlands"-Karte von Landsvirkjun einen kleinen Wanderweg nach Norden. Geradewegs zur Brücke. Soweit zu meinem Plan. Ich marschierte eine ganze Weile querfeldein über Moos, Gras und Steine. Irgendwo mittendrin sah ich gelegentlich immer wiedermal Jeep-Spuren, die grob in meine Richtung führten, aber nach wenigen Metern schon wieder verschwunden waren. Bald stand ich am Kofakvísl, einem etwas größeren Bach, der mich wohl geradewegs zur Hütte (kofi) führen würde. Ich folgte dem Bach eine Weile, musste aber eigentlich nicht zur Hütte weiter nach Süden, sondern zur Brücke weiter nach Norden. Recht glücklich war ich also nicht mit dem Bach. Erst als für wenige Augenblicke die Sonne durchkam und ich endlich einen Blick zumindest auf den unteren Teil des Snæfell werfen konnte, gefiel mir die Gegend richtig. Also gab es eine frühe Mittagspause in der mittlerweile wieder recht grünen und grasigen Landschaft am Kofakvísl. Während der Rast beschloss ich, die Eyjabakkakofi links liegen zu lassen und direkt zur Brücke weiter zu marschieren. Wahrscheinlich war das sowieso nur eine eingefallene alte Schäferhütte. Nachdem ich wenige Minuten unterwegs war, stieß ich auf ein paar neue Jeepspuren, vermutlich die Piste zur Eyjabakkakofi. Aber die Spuren bogen im weiteren Verlauf zu weit nach Osten ab, wo ich gar nicht hinwollte. Also war ich bald wieder weglos unterwegs, woran ich mich am Vortag schon gewöhnt hatte. Links neben mir lagen jetzt die Eyjabakkar, eine riesige grüne Ebene, durch die sich einige schmale Bäche und Flüße zogen. Alles Nebenarme der Jökulsá í Fljótsdal. Weiter im Norden mussten sich die vielen Verzweigungen vereinen und dort gab es hoffentlich irgendwo die Brücke. Also suchte ich mir einen Weg am Rande der Ebene, entlang von flachen Hügeln, die den Übergang zu höhergelegenem, steinigem Terrain bildeten. War ich dabei zu weit unten im Gras unterwegs, musste ich regelmäßig kleinere Bäche überqueren, die teilweise metertiefe Hindernisse im Gras bildeten. Oft stieß ich auch auf sumpfige Stellen, die meist durch das häufige Wollgras schon von Weitem zu erkennen waren. Und zwischen den sumpfig nassen Grasstellen weiter unten und den steinigen Stellen weiter oben gab es noch eine Buckelwiese, wo ich entweder von einer kniehohen Grasinsel zur nächsten hopsen, oder dazwischen von einer Pfütze in die nächste stapfen konnte. Allessamt nicht so angenehm zum Laufen und ich bereute fast ein wenig, nicht den Jeep-Spuren weiter östlich gefolgt zu sein. Die Strecke zog sich endlos dahin, aber ich hatte Rückenwind und gelegentlich sogar ein kleines bißchen Sonnenschein zwischen einer Wolkenlücke, so daß ich insgesamt doch recht zügig vorankam. Am späten Nachmittag wurde das Tal der Eyjarbakkar dann zusehends enger und ich lief bald ausschließlich in den höher gelegenen, trockenen Steingebieten. Und ich begegnete mal wieder einer leeren Jeep-Piste. Diesmal führte sie geradewegs von Ost nach West, zu einer alten Furt durch die Jökulsá í Fljótsdal. Aber die Furt wollte ich mir zu Fuß lieber ersparen, zumal es ja nur wenige Kilometer nördlich irgendwo eine Brücke geben musste. Es ging weiter und weiter durch Steine und Gras, bis ich auf die nächste Piste stieß, die endlich mal genau meine Richtung einhielt. Nordwärts. Auf dem gegenüberliegenden Ufer konnte ich auf einem Hügel die Containersiedlung der Bauarbeiter ausmachen. Die war mittlerweile genau westlich von mir. Noch ein Stück und ein paar unbeschilderte Kreuzungen weiter, dann sah ich endlich die langersehnte Brücke. Und über die Brücke führte eine gut ausgebaute Schotterautobahn, die nächste Piste also. Die muss sich aber wenige hundert Meter weiter hinter einem Hügel spurlos auflösen, sonst wäre ich ihr schon früher begegnet. Wie auch immer, hauptsache meine Brücke war da wo sie sein sollte. Auf die ging ich jetzt geradewegs zu, und somit auch auf die Bagger und Lastwägen, die auf der anderen Flußseite damit beschäftig waren, die Schotterpiste noch breiter und besser auszubauen. Ich war schon fast drüben, als von den Bauarbeitern ein Jeep ausgesandt wurde, mir entgegen. Drinnen saß der erste Mensch, der mir seit der Múlaskáli begegnete. Ein Isländer der mit unverkennbarem Akzent fragte: "Wherrre arre you going to?". Zum Snæfell. Das ging noch eine Weile hin und her, dann meinte er "You know, we had some trrouble with prrotesters!". Das war also der Grund für das Begrüßungskommitee. Ich hatte die Nachrichten schon länger via Internet mitverfolgt. Eine handvoll Demonstranten, Isländer und Ausländer, haben ganz in der Nähe des Staudammes ein Zeltlager aufgebaut. Bald darauf kam es wohl häufiger zu merkwürdigen Zwischenfällen, von wegen Geräte beschädigt oder Schilder beschmiert oder Demonstranten mit Ketten an Fahrzeugen befestigt. Kurz vor meiner Reise wurde das Zeltlager dann aufgelöst und in die Gegend südlich von Egilsstaðir verlegt. Ich wurde aber scheinbar als harmlos eingestuft und noch auf einen Kaffee eingeladen. Ich hätte auch Jeepfahren dürfen, war aber dankbar als der Isländer dazufügte "But I guess you want to walk anyway!". Ich war dann ein paar Minuten nach ihm bei der Containersiedlung, stellte meinen Rucksack ab, und suchte drinnen die Cafeteria. Ein paar Kekse und Kaffee, und mir wurde noch auf einer Karte gezeigt, nur 5 km südlich von hier, am Ufer der Hafursá, da sei es wunderschön zum Zelten. Und wenn wir da heute Nacht ein Zelt sehen, wissen wir ja, daß du das bist... Noch 5 km also, bis ich zelten durfte. Ich hatte schon etwa 22 km hinter mir und es war auch schon fast 6 Uhr abends, aber dafür hab ich mich auch aufgewärmt und gestärkt. Ich lief die folgenden 5 km durch, fast ohne anzuhalten. Zunächst ging es quer durch die Containersiedlung, was nicht so reizvoll war. Dahinter kam ich dann auf die selbe alte Piste, die ich schon auf der anderen Flußseite gekreuzt hatte, und die hier geradewegs nach Süden zur Furt durch die Jökulsá í Fljótsdal führte. Eine halbe Stunde später stand ich direkt oberhalb dieser Furt, und musste laut Wegbeschreibung der Bauarbeiter nach Westen abbiegen. Auch in dieser Richtung gab es eine holprige Jeep-Piste. Außerdem fiel mir an dieser Stelle auf, daß ich geradewegs aus einem Sperrgebiet kam. Quer über die Straße und zu beiden Seiten daneben war jeweils eine Schranke mit einem entsprechend großen Hinweisschild. Baustelle, Sprengungen, Lebensgefahr, usw. Ups! Dabei war die Piste so friedlich, wenn man die Baustelle hinter sich hatte. Auch der weitere Weg war eigentlich sehr einladend. Die Höhenzüge des Snæfell und dessen nördliche Ausläufer lagen vor mir, aber dazwischen gab es noch eine weite grasbewachsene Ebene mit einem kleinen Bach darin, die Hafursá. Sogar einen kleinen Wasserfall hatte ich bald erreicht, und überlegte schon, ob ich da wohl oben oder unten schöner zelten könnte. Als ich direkt davor stand fand ich, daß der Wasserfall eigentlich gar nicht mehr so klein war, und daß morgen früh genausowenig Lust hätte, mein Gepäck die steile Abbruchkante wieder hochzuschleppen, wie ich heute Lust hatte, einen Umweg zu suchen, um dort hinunter zu kommen. Also wird oben gezeltet. Noch ein Stückchen weiter aufwärts konnte ich den Fluß trockenen Fußes überqueren, verließ somit die Piste, und ließ den Rucksack auf der anderen Seite geschafft zu Boden. Ganze 27 km hatte ich zurückgelegt, und das merkte ich auch recht deutlich in allen Knochen. Aber die Bauarbeiter hatten nicht untertrieben, als sie meinten, das wäre eine schöne Stelle zum zelten. Ich hatte Frischwasser, eine angenehme trockene Wiese daneben, und eine schöne Aussicht über die Eyjarbakkar und auf den Gletscher südlich davon. Es sah immer noch recht wolkig aus, und während ich versuchte, die verschiedenen Wegbeschreibungen über den Gletscher und unten durch die Flüsse dort in den Bergen am Horizont wiederzufinden, war ich irgendwie doch ganz zufrieden, die einfache Variante im Flachland gewählt zu haben. Auch wenn die Gletscher andererseits auch ganz verlockend aussahen. Mit solchen Gedanken im Kopf saß ich im Gras, die Beine weit von mir gestreckt, kochte nebenher meine Nudeln. Auch die Strecke für den morgigen Tag suchte ich schonmal, irgendwo in den unberührten grünen Hängen. Da hörte ich plötzlich in der Ferne Motoren. Nicht mehr direkt von der Baustelle, die war viel zu weit weg. Das Geräusch kam immer näher, und nach einer ganzen Weile sah ich dann zwei Quad-Fahrer die auf der Piste Hügel um Hügel näher kamen. Die Worte "we had some trrouble with prrotesters" kamen mir wieder in den Sinn. Das meinten sie wohl ernst. Aber nachdem sie mein Zelt ja kannten, fuhren beide Quads an mir vorbei, ganz so als wären sie nicht auf der Suche nach "prrotesters", sondern viel zu sehr mit der Straße beschäftigt, und damit, möglichst elegant über die jede Erhebung zu springen und bei den kleinen Bächen das Wasser möglichst weit spritzen zu lassen... Bald waren sie wieder verschwunden und die Ruhe kehrte zurück. Die Nacht über war nur noch das Plätschern vom Bach neben mir zu hören. Bilder der Tages:
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6. August 2005 zur Snæfellsskáli |
Früh am nächsten Morgen hörte ich Schafe am Gras rund um mein Zelt herumzupfen. Nachdem es aber noch viel zu früh zum Aufstehen war, ließ ich mich davon nicht allzusehr beeindrucken. Als ich eine Weile später aber immer noch nicht wieder richtig eingeschlafen war, schaute ich doch endlich mal raus. Das erste was ich sah: strahlend blauer Himmel und blendender Sonnenschein. Das zweite waren dann die Schafe, die sich in respektvollem Abstand an der Hafursá versammelt hatten. Das gute Wetter nutzend brach ich gleich mal auf, ein Foto zu schießen von der prächtigen Aussicht auf den frisch mit Schnee überzuckerten Snæfell. Andererseits hatte ich schon oft in Island einen wunderschönen Morgen und danach einen sehr verregneten Tag. Also packte ich lieber recht bald zusammen und kam früh los. Auch wenn ich bestes Wetter hatte, steckte mir der gestrige Tag mit seinen 27 km doch noch in den Knochen. Ich machte viele kleine Pausen, um ein Foto zu knipsen oder einen Schluck aus dem Bach zu trinken, an dem ich entlang ging, oder einfach nur so. Der Bach, dem ich folgte, war ein kleiner Zufluss zur Hafursá, und an diesem Bach und in den Wiesen rings herum tummelten sich etliche Schafe. Morgens hatte ich die Piste direkt an der Hafursá entlang verlassen, um querfeldein auf den Pass nördlich um den Snæfell herum zuzuhalten. Aber meine Route kreuzte bald wieder die Piste, auf der ich die Quad-Fahrer vom Vorabend auf ihrer Patroullie verschwinden sah, nach Norden in Richtung Sanddalur. Ich hielt statt dessen geradewegs auf eine kleine Scharte zwischen Vatnskollur und Sandfell zu, beides zwei nördlich gelegene Vorberge des Snæfell. Und dazwischen war mein kleiner Einschnitt und laut Karte das Vatnsdalur. Dort hindurch gab es einen Weg, nördlich rund um den Snæfell herum. Den Anstieg hatte ich gestern schon vom Zelt aus und in der Karte ausgiebig studiert, heute musste ich ihn nur noch hinaufgehen. Nach hinten hin hatte ich einen immer beeindruckenderen Ausblick über die Eyjabakkar und auch auf die Gletscher südlich davon. Bei so einem Wetter hätte man sicher leicht einen Weg über das Eis finden können. Aber für mich war es dazu jetzt zu spät, ich kämpfte mich weiter zum Vatnsdalur hinauf, etwa 20km Luftlinie nördlich. Nach vorne hin sah es aus wie im Lande Mordor. Rabenschwarze, kahle Hänge aus recht feinem, sandigen Schutt, dazwischen einige spitze Felsnadeln die in alle Richtungen aufragten, darüber noch ein paar Reste von frischem Neuschnee, der über Nacht gefallen war und jetzt in der schwarz-weiss Landschaft vor mir lag. Mit den Gedanken in der Fabelwelt der Elfen und Orks kam ich immer zügiger voran, je näher ich dieser eigenartigen Landschaft kam. Oben angekommen sah ich zunächst einen See, der auf den Karten viel kleiner eingezeichnet war. Außerdem entdeckte ich einige Fußspuren, die südlich um den See herumführten. Dort schloss sich ein flaches Tal an, durch das sich einige kleine Bäche zogen mit Moos dazwischen. Schluss mit Mordor, das sah wieder typisch isländisch aus. Ich fürchtete fast eine Sumpfpartie, so wie gestern. Aber als ich bei der Hochebene angekommen war, stellte ich fest, daß sich dort eigentlich ganz gut laufen ließ. Zwischen Moos und Bächen war fester Kies und kein sumpfiges Erdreich. Ich musste in einer weiten Schleife einigen Ausläufern der bizarren schwarzen Bergwelt rund um mich ausweichen. Hinter der Biegung sammelten sich die kleinen Rinnsale mehr und mehr zu einem größeren Bach, der dann Richtung Nordwesten das Tal verließ. Ich wollte aber nach Südwesten, und dabei musste ich im Gegensatz zum Bach einen kleinen Bergrücken überqueren. Von Fußspuren war weit und breit nichts mehr zu sehen, also lief ich wieder einfach querfeldein. Je höher ich auf diesen zweiten Bergrücken kam, desto mehr konnte ich vom Hochland westlich des Snæfell erahnen. Schließlich stand ich am oberen Ende eines recht steinigen Berghanges, der vor mir wieder nach unten führte. Unten lagen die Sandar, eine weite, größtenteils ebene Fläche am westlichen Fuß des Snæfell. Rechts konnte ich die vier Bäche erkennen, die die Piste zur Snæfellsskáli kreuzen, und einer davon war mein Bach aus dem Vatnsdalur. Direkt vor mir lagen die Gipfel der Grábergshnjúkar, hinter denen die Vesturöræfi anfangen musste. Jenseits dieses Bergzuges konnte ich in der Ferne auch schon den Herðubreið und die Kverkfjöll erahnen. Links von mir ragte der Tíutíu auf, und vor diesem Berg streckte sich noch eine Ebene von etwa 2 km hin. Den Tíutíu sollte ich laut Karte außenherum umgehen. Zwischen dem Berg und dem Snæfell hätte ich bestimmt auch einen Weg gefunden, aber dort sammelte sich gerade eine dichte Nebelbank. Ich entschied mich also, quer durch die Ebene zu laufen, wie in der Karte verzeichnet. Erstmal musste ich aber von meinem steilen Abhang herunter. Das ging beschwerlich über grobe, scharfkantige Lavablöcke, war von der Höhe her aber zum Glück überschaubar. Dann ging es lange schnurgeradeaus auf den rechten Fuß des Tíutíu zu, der einfach zu erkennen war. Etliche kleine Bäche kreuzten hier wieder meinen Weg, der letzte direkt am Fuß des Tíutíu war etwas größer. Ich erinnerte mich auch daran, daß etwas flußab eine Furt auf der Piste zur Snæfellsskáli war, durch die ich vor zwei Jahren mein Fahrrad geschoben hatte. Aber hier etwas weiter oberhalb waren die verschiedenen Bachläufe einfach einzeln zu überspringen. Als ich um die Ecke des Tíutíu bog, wurde die Landschaft schlagartig grün und vergleichsweise üppig bewachsen. Ich suchte mir noch einen trockenen Weg über den letzten Bach und machte dann eine Pause in der grünen Wiese. Die Umgebung hatte ich schon bald wiedererkannt, bis zur Piste und auch zur Hütte am Snæfell war es nicht mehr weit. Die letzten Kilometer legte ich auf der Piste zurück. Es war ohnehin kein Auto unterwegs, und die Richtung konnte ich auch nicht sehr viel besser wählen. Am frühen Nachmittag tauchte dann die Hütte auf, so wie ich sie in Erinnerung hatte, bloß zur Hälfte in frischem Grün gestrichen. Ein kurzer Tag eigentlich, aber mit der langen Etappe vom Vortag zusammengenommen war mir das auch genug. Bei der Hütte angekommen stellte ich sehr bald fest, daß der Hüttenwart fließend Deutsch sprach, auch wenn er Isländer war. Im Moment war er alleine, ich war der einzige Gast. Ich baute schnell mein Zelt auf und gönnte mir eine Dusche, dann war ich wieder halbwegs gewappnet für ein bißchen Zivilisation. Sehr bald fragte ich auch, ob denn mein Vorratspaket schon angekommen sei. War es noch nicht. In Reykjavík am Schalter hatte man offenbar verbummelt, daß zum Snæfell nur alle paar Tage mal ein Bus fährt, und daß das vielleicht etwas länger dauern könnte. Aber immerhin war der rote Packsack schon unterwegs und irgendwo in Egilsstaðir gesichtet worden. Und ich war noch nicht lange vor Ort, da kam ein Jeep angefahren und ein Isländer stieg aus und brachte meinen rotem Packsack mit. Ich musste also doch nicht die nächsten Tage hier auf meine Vorräte warten! Ich hatte den restlichen Tag eigentlich keine weiteren Pläne, für eine ausgiebige Wanderung auf den Gipfel war das Wetter zwar bestens geeignet, aber irgendwie war ich zu müde vom vielen Laufen. Ich setzte mich also in die Hütte, nahm mein Buch mit und hörte dem Hüttenwart Leifur ein wenig beim Harmoniumspielen zu. Bald kamen wir aber ins Gespräch und weder Buch noch Harmonium waren noch wichtig. Ob ich schon öfters in Island war, ja war ich, mit dem Fahrrad. "Ah, aber in Erlangen kann man viel besser Radfahren als in Island!". Wohlgemerkt, daß sagte der isländische Hüttenwart Leifur auf der abgelegenen Berghütte zu mir, der ich 5 Jahre lang in Erlangen studiert hatte. Nicht umgekehrt. Ich war gelindegesagt ein bißchen verblüfft. Er hat dort ein paar Bekannte, Anna und Kollbrún, und die kannte ich natürlich auch wieder... die Welt ist eben klein, und Island ein Dorf! Als nächstes meinte er, er wolle im Herbst anfangen, Mathematik zu studieren, und deswegen hatte er eine Menge Bücher mit Matheaufgaben dabei. Nachdem Mathe und Informatik ja eng beieinander liegen und ich schon immer mal wissen wollte, wie ein isländisches Mathebuch von innen aussieht, wurde ich neugierig, und sehr bald haben wir über irgendwelchen abwegigen Matheaufgaben gebrütet. Die Zeit verging wie im Fluge während der Rechnerei und der Gespräche. Eigentlich hätte Leifur noch die Hütte außen streichen sollen, auf der Rückseite fehlte noch ein Stückchen. Aber "es kann heute noch anfangen zu regnen", also war Streichen natürlich keine Option. Gegen Abend füllte sich die Hütte langsam mit Gästen und die Mathe-Sachen verschwanden. Wir legten noch ein paar Vorräte zusammen, ich hatte ja jetzt wieder genügend und er auf seiner Hütte erst recht, und dann gab es ein leckeres Abendessen. Später am Abend dann noch langwierige Diskussionen mit anderen Gästen über das Staudammprojekt, Touristenziele, Deutschland, Island und den Rest der Welt. Und einen tollen Sonnenuntergang gab es auch mal wieder. Insgesamt eine unvergessliche Begegnung und sicher einer der schönsten Tage dieser Reise. Bilder der Tages:
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